TTIP

Kanada verhandelt mit 1 Prozent der EU

Weil der Protest gegen CETA jetzt in aller Munde ist, ist auch ein Regionalparlament in Belgien aufgewacht und versucht nun in direkten Verhandlungen mit Kanadas Handelsministerin Verbesserungen zu erreichen. Die EU muss sich unterdessen fragen lassen, ob sie überhaupt noch zu einer gemeinsamen Position fähig ist.

von Marta Orosz

Paul Magnette, Ministerpräsident im Wallonischen Regionalparlament© Bildnachweis: Paul Magnette von UNCTAD unter Lizenz CC BY-SA 2.0

Die CETA-Gegner feiern schon das Scheitern des Freihandelsabkommens. Der Hashtag #makehistory macht die Runden in den sozialen Medien.

Ihr Held: Paul Magnette, Sozialdemokrat, Präsident des wallonischen Regionalparlaments. Magnette stand in diese Woche im Mittelpunkt des Gipfeltreffens der EU-Staats-und Regierungschefs. Er weiss, dass jedes der fünf Regionalparlamente in Belgien durch ein Veto Entscheidungen der belgischen Bundesregierung verhindern können. Magnette macht derzeit unter den Blicken der Weltöffentlichkeit davon Gebrauch und lässt Belgien dem EU-Kanada Freihandelsabkommen vorerst nicht zustimmen.

Dabei geht es bei ihm keineswegs um neue Kritikpunkte. Magnette redet über mögliche Gefahren für die Bauer in Wallonien und sorgt sich um die öffentlichen Dienstleistungen und um den Investorenschutz – aber darüber reden sie schon seit Jahren.

Die Kommission hat angeblich allen Forderungen der Belgier zugestimmt

Nach Gesprächen mit der Handelskommissarin Malmström am Donnerstag bleibt Magnette aber weiter unzufrieden und kündigt an, dass es mit der Kommission keinen Verhandlungsspielraum mehr gebe. Dabei erzählen EU-Diplomaten, dass die Kommission allen Forderungen der Belgier zugestimmt hätte, berichtet das stets gut informierte Onlineportal „EU Inside Trade“.

Magnette will lieber mit den Kanadiern selbst reden, sagt er am Donnerstag. Die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland musste deshalb also kurzfristig ins Flugzeug steigen und nach Namur reisen, in die 100.000-Einwohner Stadt Südbelgiens, in der Magnette und das wallonische Parlament sitzt.

Der CETA-Endspurt hängt jetzt also von Verhandlungen zwischen dem Präsidenten eines regionalen Parlaments, der ein Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertritt, und Kanada ab.

Dabei schwächt Belgien die EU-Position: Denn längst geht es nicht nur um das konkrete Abkommen, sondern über die Verhandlungsfähigkeit der EU insgesamt. In internen EU-Protokollen der vergangenen Wochen, die CORRECTIV vorliegen, heißt es, dass es bei der CETA-Entscheidung „insgesamt um die Glaubwürdigkeit der EU gehe“. Also darum, ob Kanada die EU überhaupt noch ernst nehmen kann.

Belgien hatte längst die Gelegenheit, Bedenken zu äußern

Wie ernst haben Magnette und Belgien das Thema Freihandelsabkommen bisher überhaupt genommen? Die EU verhandelt immerhin seit 2008 über CETA. In den vergangenen Jahren tauschten sich auch Vertreter Belgiens immer wieder mit der Kommission über die Inhalte aus. Spätestens seit TTIP und CETA in der breiten Bevölkerung immer strittiger geworden sind, hätten auch die Belgier und ihre regionalen Parlamente die Chance gehabt, ihre Bedenken zu äußern und bei der Kommission auf Verbesserungen zu drängen. Doch Belgiens Stimme war bis vor kurzen in diesen internen Protokollen nicht oft zu hören.

Die Chance auf den letzten Metern vor dem geplanten EU-Kanada-Gipfel Sonderwünsche durchzusetzen, also auf das sogenannte Endgame zu hoffen, haben auch viele andere Länder ausgenutzt. Deutschland hat maßgeblich daran mitgewirkt, dass eine Zusatzerklärung, die als eine Interpretationshilfe dient, mit Kanada verabschiedet wird.

Auf Wunsch von Deutschland und Österreich konnten sogar späte Änderungen in der CETA-Zusatzerklärung noch rechtsverbindlich beschlossen werden. Die Rumänen und Bulgaren konnten sogar noch Visa-Liberalisierungen durchsetzen, die mit dem eigentlichen CETA-Abkommen kaum etwas zu tun haben.

Belgien, wie die anderen Mitgliedsstaaten, war von Anfang an bei den regelmäßigen Beratungen mit dem Handelskommissariat dabei. Dennoch entfaltete sich im südbelgischen Regionalparlament erst sechs Tage vor der geplanten Unterzeichnung die Diskussion über CETA.

Erst am Freitag dieser Woche teilten Abgeordnete des wallonischen Parlaments mit, dass sie noch mehr Zeit brauchen, um strittige Fragen besser einschätzen zu können. Ein Abgeordneter freut sich darüber, dass sein Präsident Paul Magnette in den vergangenen Tagen mehr erreicht habe, als die Verhandler in den vergangenen zwei Jahren. Er sagt auch, dass Wallonien ein Beispiel für die EU setzt. Man solle unbedingt diese Chance mit Kanada nutzen, auch wenn die diesbezügliche Verhandlungen weitere sechs Monate dauern würden.

Kann der EU-Kanada-Gipfel in einer Woche stattfinden?

Kommissionspräsident Juncker beendete am Freitagnachmittag die Sitzung des Europäischen Rates – ohne ein Ergebnis zu CETA zu haben. Der Poker geht also weiter. Juncker lässt gegenüber Journalisten durchblicken, dass es in den kommenden Tagen doch noch zu einer Einigung zwischen den Wallonen und Kanada kommen soll. Sonst müsste man die Kanadier nächste Woche höflich ausladen und den EU-Kanada Gipfel am 27./28. Oktober absagen.

Der Fall Wallonien zeigt, dass erst die Anti-TTIP und Anti-CETA-Kampagnen es geschafft haben, das Thema auf die Tagesordnung zu bringen. Es sind diese Gegner, die eventuell Geschichte schreiben und nicht Paul Magnette, ein Politiker, der in der letzten Minute zwischen Kommission, kanadischer Handelsministerin und seinem eigenen Parlament hin- und herläuft, um einen langen und schwierigen Prozess für einige Tage spektakulär lahmzulegen.

Am Ende wird Magnette aber weder CETA verhindern, noch bahnbrechende Verbesserungen erzielen können. Er wird in der Geschichte dieses Freihandelsabkommens als ein kurzes, spannendes Kapitel seinen Platz finden – und gleichzeitig eine Diskussion darüber notwendig machen, wie die 28 EU-Staaten künftig überhaupt noch eine gemeinsame Handelspolitik betreiben wollen.

Update 21.10.2016, 18 Uhr

Das Onlineportal politico.eu meldet, dass nach Angaben der kanadischen Handelsministerin Chrystia Freeland die Bemühungen gescheitert sind, eine Einigung mit der EU zu erzielen. Sie sei sehr enttäuscht und fahre nun unverrichteter Dinge wieder zurück nach Kanada. 

 

Die wichtigsten Fragen zur gescheiterten CETA-Abstimmung und zur Wallonie finden Sie hier.