Kommt die Hetze aus der türkischen Botschaft?
Türkische Blogger aus Deutschland hetzen im Netz gegen deutsche Politiker und Journalisten. Einige von ihnen unterhalten offenbar beste Verbindungen in die türkische Botschaft in Berlin. Eine gemeinsame Recherche von CORRECTIV und dem Bayerischen Rundfunk.
Seit 220 Tagen sitzt der Journalist Deniz Yücel ohne Anklage in der Türkei in Haft. Ginge es nach dem deutsch-türkischen Blogger Bilgili Üretmen, würde er jeden Tag verprügelt. Üretmen ist nicht irgendwer: der Video-Blogger aus Soest in Westfalen ist ein Internet-Star. Auf Facebook hat er über 50.000 Follower. Dort hetzt er gegen deutsche Medien und deutsche Politiker. Aber das hält einen hochrangigen Mitarbeiter der türkischen Botschaft offenbar nicht davon ab, ihn zu unterstützen.
Üretmen soll zukünftig für das im Aufbau befindliche Internet-TV Z-23 TV eine Sendung produzieren. Nach gemeinsamen Recherchen von CORRECTIV und dem Bayerischen Rundfunk (BR) ist der Sprecher der türkischen Botschaft in Berlin in den Sender aus Duisburg verwickelt. In seinem Namen wurde die Internetseite von Z-23 TV registriert.
Hetze mit Hilfe des Botschaftssprechers: das könnte die deutsch-türkischen Beziehungen weiter belasten, die seit Monaten stark angespannt sind. Neben dem „Welt“-Korrespondenten Yücel sitzen weitere deutsche Staatsbürger ohne Anklage in türkischen Gefängnissen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wirft Deutschland vor, Terroristen zu unterstützen. Türkische Medien mit Nähe zur Erdoğan-Partei AKP greifen immer wieder deutsche Politiker an. Neulich forderte Erdoğan seine Landsleute in Deutschland auf, CDU, SPD und Grüne bei den Bundestagswahlen nicht zu unterstützen, da diese Parteien „Feinde der Türkei“ seien.
In Deutschland leben 1,4 Millionen Menschen, die auch in der Türkei wahlberechtigt sind. Sie sind eine wichtige Wählergruppe. Immer wieder sind sie daher im Visier der Propaganda der Erdoğan-Partei AKP. Insgesamt leben in Deutschland 2,8 Millionen türkeistämmige Menschen.
Schläge für Yücel
Der Duisburger Sender Z-23 TV richtet sich an Menschen, die „immer häufiger auf ‘alternative Medien’ zurückgreifen müssen, um auch Ansichten außerhalb der Mainstream-Medien wahrnehmen zu können“. Der Sender will „weitere alternative Sichtweisen auf globale Ereignisse“ geben, in einem Land, in dem die Medien angeblich in den Händen weniger konzentriert seien. Hier soll Üretmen zukünftig seine anti-deutsche AKP-Propaganda verbreiten. In einem Youtube-Video wünschte er sich, dass die Bewacher von Yücel den Journalisten „einmal pro Tag mit dem Schlagstock durchnehmen“. Außenminister Sigmar Gabriel nannte er „Fettsack-Siggi“, Deutschland warf er Nazi-Methoden vor.
Auch die AKP-nahe Internet-Aktivistin Esma Akkuş gehört zum Team von Z-23 TV. Und auch sie hetzt gegen Deutschland. Deutschen Parteien wirft sie vor, „Scheiße in unterschiedlichen Brauntönen zu sein“. Yücel wünscht sie „weitere 2000 Tage“. Lebenszeit? Oder im Gefängnis?
Der Inhaber der Internetdomain des Senders war nach Recherchen von CORRECTIV und dem Bayerischen Rundfunk Refik Soğukoğlu. Er ist seit 2013 Sprecher der türkischen Botschaft in Berlin. Am 13. März 2017 um 17:21 Uhr wurde die Internetseite für Z-23 TV in seinem Namen registriert.
Wer eine Webseite registriert, muss einen Verantwortlichen benennen und eine Adresse und Kontaktdaten angeben. Auch für Z-23 findet sich eine Telefonnummer. Ans Telefon geht Soğukoğlu. Ja, dies sei seine Handynummer, sagt er. Aber mit der Internetseite und dem Projekt Z-23 TV habe er nichts zu tun. Er könne sich nicht erklären, wie sein Name und seine Handynummer ins Register geraten sind. Dies könne nur ein Betrug sein, denn er besitze keine einzige Internetdomain.
Soğukoğlu war jedoch bis zu unserer Anfrage eingetragener Inhaber der Domain. Insgesamt konnten CORRECTIV und der Bayerische Rundfunk jedoch fünf Domains identifizieren, die unter dem Namen des Botschaftssprechers registriert waren: dazu zählen auch z23-tv.at und z23.ch. Womöglich ist ein österreichischer und ein schweizerischer Auftritt der Sendung geplant. Hinzu kommt die Internetdomain gurbadgee.com. „Gurbadgee“ soll die Sendung heißen, die der Blogger Üretmen nach eigenen Angaben für „Z-23 TV“ produzieren soll. „Gurbadgee“ ist vermutlich eine Mischung aus „gurbetçi“, auf Deutsch Auswanderer und „gee“, Slang für Gangster.
Auch in einer E-Mail bestritt Soğukoğlu, privat oder amtlich mit Z-23 TV verbunden zu sein. Doch unter den auf der Internetseite aufgelisteten Teammitgliedern findet sich ein Cousin von Soğukoğlu, der als Geschäftsführer der Sendung aufgeführt wird. Die Liste verschwand von der Seite, nachdem wir Soğukoğlu kontaktierten. In den Registerdaten für die Internetdomain wurde sein Name durch den seines Cousins ersetzt.
In einer Stellungnahme von Z-23 TV nach der Veröffentlichung heißt es, dass der Sender seit Ende Mai keinerlei Verbindungen mehr zum Blogger Üretmen habe. Es bestehe auch keinerlei Verbindung zur türkischen Botschaft in Berlin.
Noch Anfang Juni machte Üretmen allerdings auf seinem Youtube-Kanal Werbung für seine Sendung auf Z-23. Bis wenige Tage vor der Veröffentlichung unserer Recherche befand sich auf der Facebook-Seite von Z-23 ein Video, das Üretmen bei einem Rundgang durch den Sender zeigt.
Was weiß die Botschaft?
Laut einem Medienbericht besuchten Soğukoğlu und der Blogger Üretmen gemeinsam den Studiengang „Film und Regie“ an der Ruhr-Akademie Schwerte und drehten gemeinsam zwei Filme. Üretmen und die Aktivistin Akkuş ließen Fragen unbeantwortet. Stattdessen beleidigte er: „Und ihr denkt, dass ich solchen A*****chern wie euch auch nur eine Frage beantworte? Fragt doch euren Staatsverräter Can Dündar, der weiß doch soviel…Jetzt nervt mich nicht! Und wagt es ja nicht, vor meiner Tür aufzukreuzen!“
Can Dündar ist der Chefredakteur der türkischen Exil-Redaktion #ÖZGÜRÜZ, ein Projekt von CORRECTIV.
Die türkische Botschaft äußerte sich auf Anfrage nicht. Es ist nicht klar, ob sie über die Verbindungen zwischen ihrem Sprecher Soğukoğlu und Z-23 TV im Bilde ist. Darf eine Botschaft oder einer ihrer Mitarbeiter im Gastland Medien derart unterstützen? „Es gibt keine klare Begrenzungen im Hinblick auf den Einfluss ausländischer Regierungen in Deutschland“, sagt der Medienrechtler Bernd Holznagel.
In der Vergangenheit sei das Thema immer wieder einmal diskutiert worden, etwa als der ehemalige italienische Präsident und Medienmogul Silvio Berlusconi Anteile an bayerischen Medienunternehmen kaufen wollte. Doch die Diskussion sei dann wieder eingeschlafen.
Ein Vierjahres-Plan?
CORRECTIV und der BR haben 95 Facebook-Auftritte von türkischen und deutsch-türkischen Medien und Blogs analysiert. 38 von ihnen werden vor allem in Deutschland gelesen. Unter diesen haben Blogger und alternative Medien mit dem Schwerpunkt Türkei auf Facebook insgesamt eine größere Reichweite als traditionelle türkischsprachige Medien wie Zeitungen oder Fernsehsender.
Von den zehn beliebtesten Facebook-Seiten sind sechs von AKP-nahen Bloggern betrieben. Die Auswertung von fast 500.000 Facebook-Posts zeigt, dass in sozialen Medien die Berichterstattung traditioneller Medien über deutsche Politiker weniger Reaktionen hervorruft, als wenn sie auf den Facebook-Seiten der Blogger erwähnt werden. Und oft genug hetzen sie gegen deutsche Politiker oder verbreiten antisemitische Verschwörungstheorien.
Die türkische Botschaft in Berlin verfolgt offenbar eine langfristige Strategie. Im Dezember 2014 traf sich der Botschaftssprecher Soğukoğlu nach einem Bericht der türkischsprachigen Online-Zeitung „Elbe Express“ in Hamburg mit türkischsprachigen Medien aus Norddeutschland. Soğukoğlu soll Unterstützung für lokale, türkischsprachige Medien versprochen haben.
Er soll von einem „vierjährigen Leitplan“ gesprochen haben. Ähnliche Treffen haben laut Medienberichten zufolge unter anderem in Duisburg, München, und in Stuttgart stattgefunden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Botschaft im Gastland Kontakte zu Medien in der eigenen Sprache pflegt. Doch nun hat der Botschaftssprecher ungeachtet der enormen Spannungen im deutsch-türkischern Verhältnis offenbar Verbindungen zu einem Internetsender, der auch Hetzblogger beschäftigt.
Z-23 TV hat seinen Sitz in der Nähe des Duisburger Hauptbahnhofs. An der Klingel ist auf einem Stück Paketklebeband mit einem schwarzen Edding „Z 23“ gekritzelt. Man könne sich nicht erklären, wie der Name von Refik Soğukoğlu in den Domaindaten der Webseite gelandet ist. Muharrem Bulut, der Generaldirektor des Senders, behauptet, den Botschaftssprecher nicht zu kennen. Obwohl beide auf Facebook befreundet sind. Bei unserem Besuch zückte Bulut sein Handy und filmte. Als wir ihn darauf hinwiesen, dass das nicht so einfach gehe, sagte er uns: „Ich interessiere mich nicht für deutsche Gesetze.“
*Aktualisierung, eingefügt am 22. September: Wir haben den Text nach einer Stellungnahme von Z-23 TV um zwei Absätze ergänzt.
Mitarbeit: Hüdaverdi Güngör, Niels Ringler, David Schraven und Lisa Wreschniok
Die Recherche erfolgte in Kooperation mit dem „Bayerischen Rundfunk“ und der türkischen Exilredaktion ozguruz.org. Die Autoren Catharina Felke, Claudia Gürkow, Niels Ringler und Lisa Wreschniok sind Redakteure bei BR Data und BR Recherche.