Nach Urteil zur Mitarbeiterkontrolle bei Amazon: Datenschutzbeauftragte legt Berufung ein
Im Februar erlaubte das Verwaltungsgericht Hannover Amazon, dauerhaft Daten seiner Beschäftigten in einem örtlichen Logistikzentrum zu erheben. Die niedersächsische Datenschutzbeauftragte geht nun gegen das gerichtliche Urteil vor.
Die digitale Kontrolle von Beschäftigten im Amazon-Logistikzentrum in Winsen beschäftigt weiter die Justiz in Niedersachsen. Barbara Thiel, die Datenschutzbeauftragte des Bundeslandes, hat Berufung am Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingelegt. Dies teilte ein Sprecher der Landesdatenschutzbeauftragten CORRECTIV mit. Derzeit werde die Berufungsbegründung erstellt, hieß es weiter.
Im Februar 2023 hatte das Verwaltungsgericht Hannover der Amazon-Tochterfirma Amazon Logistik Winsen GmbH erlaubt, mit Handscannern die Arbeit der Beschäftigten im Logistikzentrum permanent zu kontrollieren. Hiergegen reichte die Datenschutzbeauftragte Thiel nun Berufung ein.
Der Urteilsverkündung im Februar ging ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen der Datenschutzbehörde und der Amazon-Tochterfirma in Winsen voraus. Thiel hatte dem Unternehmen 2020 verboten, seine Mitarbeitenden per Handscanner ununterbrochen zu überwachen. Amazon klagte daraufhin gegen das Verbot.
Das Verwaltungsgericht Hannover gab der Amazon-Tochterfirma im Februar recht, dass die Datenerhebung und -auswertung notwendig sei, um logistische Prozesse zu steuern. Außerdem sei sie erforderlich, um die Beschäftigten zu qualifizieren und ihnen objektives Feedback zu geben.
Datenschutzbeauftragte kritisiert Leistungsdruck bei Amazon
„Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überwiegt“, sagte die Datenschutzbeauftragte Thiel im Februar nach der Urteilsverkündung. Der Anpassungs- und Leistungsdruck, der durch die ununterbrochene Überwachung entstehe, sei höher zu gewichten als das wirtschaftliche Interesse des Unternehmens.
Im November 2022 veröffentlichte CORRECTIV.Lokal gemeinsam mit mehreren Lokalmedien eine monatelange Recherche zu den prekären Arbeitsbedingungen in der Lieferkette von Amazon. Mitarbeiter in Amazons deutschen Logistik- und Verteilzentren, LKW– und Kurierfahrer berichteten von enormem Druck und Überlastung. Als besonders belastend erlebten viele von ihnen, dass Amazon sie permanent überwacht.
Derzeit gibt es in Deutschland kein spezifisches Gesetz zum Datenschutz von Beschäftigten. So entschied das Gericht im Fall Amazon auf Grundlage des allgemeinen Bundesdatenschutzgesetzes. „Die Grenzen einer Datenverarbeitung von Beschäftigten müssen gesetzlich klar festgelegt werden“, sagte die Datenschutzbeauftragte Thiel im Februar nach der Urteilsverkündung.
„Wir schätzen die großartige Arbeit unserer Teams und nutzen Technologie, um ihre Arbeitserfahrung zu verbessern und sie in ihren Aufgaben zu unterstützen sowie um uns dabei zu helfen, Bestellungen der Kund:innen zu bearbeiten“, sagt ein Amazon-Sprecher. „Wir sind überzeugt, dass das bestehende System dem deutschen Recht und den EU-Vorschriften entspricht.“
Zwei Ministerien arbeiten an einem neuen Gesetzesentwurf
Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden von Bund und Ländern forderten bereits im vergangenen Jahr neue gesetzliche Regelungen. Nun nimmt die Debatte erneut Fahrt auf: Im März 2023 stellte der Europäische Gerichtshof mit einem Urteil die deutschen Regelungen in Frage. Bereits im Koalitionsvertrag hatte sich die Bundesregierung vorgenommen, klare Regelungen zu schaffen. Nun sollen Bundesinnenministerium und Bundesarbeitsministerium an einem Gesetzesentwurf arbeiten, wie die DPA vor zwei Wochen berichtete.
Der Standort in Winsen ist eines der rund 20 Amazon-Logistikzentren in Deutschland. Je nach Saison beschäftigt Amazon in Winsen 1.700 bis 2.200 Menschen. Am Tag versendet der Konzern dort rund 220.000 Pakete. Insgesamt hat der US-Konzern inzwischen rund 100 Standorte in Deutschland.
Nach Jahren der Expansion hat Amazon Ende Februar erstmals die Schließung eines großen Logistikzentrums in Deutschland angekündigt. Noch in diesem Jahr will der US-Konzern seinen Standort im brandenburgischen Brieselang bei Berlin schließen. Nach eigenen Angaben beschäftigte Amazon dort rund 600 Mitarbeitende.
Update: Diese Meldung wurde nach Veröffentlichung am 28.4.2023 mit einem Statement eines Amazon-Sprechers aktualisiert.