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Kredithaie

Gefälschte Wertpapiere in Milliardenhöhe schädigen die deutsche Wirtschaft. Nach Informationen des gemeinnützigen Recherchebüros CORRECTIV benutzen internationale Finanzbetrüger dazu unter anderem gefälschte Bundesschatzbriefe.

von David Crawford

Marco Russo


Die Fakten

  • Gefälschte Wertpapiere in Milliardenhöhe schädigen die deutsche Wirtschaft. Internationale Finanzbetrüger benutzen dazu auch gefälschte Bundesschatzbriefe, die Kunden dann als angebliche Sicherheiten für Investitionskredite nutzen.
  • Das Betrugsmodell benutzen Banden auf dem ganzen Globus. Allein in den von CORRECTIV recherchierten Fällen rund um den Finanzbetrüger Marco Russo geht es um Wertpapiere mit einem Volumen von weit mehr als einer Milliarde Euro.
  • Russo hat vor wenigen Monaten eine neue Firma in Hannover aufgemacht, die YUMA Finance AG. Deutsche Behörden können Kunden kaum schützen, teilweise operieren die Betrüger in einem Graubereich.


Als Marco Russo zum Ritter gekürt wird, blickt er demütig zu Boden. Drei Meister legen ihm einen weißen Umhang um die Schulter, hunderte Brüder schauen zu. Der sonst gern laute Geschäftsmann wirkt in dem alten Gemäuer zwischen all dem Gold andächtig, mit großen Augen und glühenden Wangen. Die Urkunde hält Russo später stolz in die Kamera: „Real Asociación Caballeros Monasterio de Yuste“. Einer der ältesten Ritterorden Europas. Auch der ehemalige König Juan Carlos I ist hier Ehrenmitglied. Es sieht so aus, als sei Marco Russo endlich in jener Welt der Schönen und Reichen angekommen, zu der er immer gehören wollte. Auf Facebook veröffentlicht er wenig später jede Menge Fotos. Alle sollen sehen können, dass er jetzt ein Ritter ist, ein ehrenwerter Mann.

Diese Bilder fügen sich in einen endlosen Strom von Portraits in Anzügen, auf Golfplätzen, mit Geschäftspartnern und seiner Frau Yulia Shesternikova. Als er im Februar russische Geschäftspartner in Moskau trifft, bezeichnet er sie als „Putins Freunde“. Seine Frau Yulia sammelt für syrische Flüchtlinge im Libanon Geld; auf einem Foto posiert sie mit einer AK-47, einem russischen Sturmgewehr. Andere Bilder zeigen Russo in teuren Hotels, unterwegs überall auf der Welt.

Marco Russo scheint in Geld zu schwimmen. Ein geachteter Mann. Das jedenfalls sollen seine Geschäftspartner glauben. In Mailand und Genf lädt er in große Anwaltsbüros, die stets in der Stadtmitte liegen und über eindrucksvolle Rezeptionen verfügen. Zu Terminen kommen Russo und seine Kollegen gerne mal in einem Porsche. Alles Fassade. Das Büro in Mailand war fast leer, ohne Mitarbeiter, ohne juristische Dokumente. In Genf, erinnert sich ein ehemaliger Kunde, lag überall Staub herum.

Marco Russo ist in Wahrheit ein Fälscher.

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Marco Russo sucht die gesellschaftliche Anerkennung, um seine Kunden täuschen zu können.

Marco Russo sucht die gesellschaftliche Anerkennung, um seine Kunden täuschen zu können. Sein größter Erfolg war vermutlich, dass er in den spanischen Orden „Real Asociación Caballeros Monasterio de Yuste“ aufgenommen wurde, einen der ältesten Ritterorden Europas.

Das Geschäft von Marco Russo ist schlicht. Er fälscht Wertpapiere sowie Staatsanleihen. Diese verleiht er für viel Geld an unwissende Kunden, die dringend Geld benötigen. Sie nehmen diese Papiere und hinterlegen sie bei Banken. Dadurch bekommen sie, wenn alles gut geht, Kredite, die ihnen die Geldhäuser sonst nie gegeben hätten. Wenn der Deal auffliegt, kassiert Russo zwar seine üppigen Honorare, seine Kunden aber verlieren ihr Geld. Und wenn es brenzlig wird, wechseln die Betrüger einfach das Land und machen woanders weiter. Russos Modell benutzen Banden auf der ganzen Welt. Die Taktik sei nicht unüblich, sagt Sebastian Fiedler. Er ist beim Bund Deutscher Kriminalbeamter Sprecher für Finanzverbrechen. Deutsche Verbraucher verlieren jedes Jahr hunderte Millionen Euro wegen solcher und anderer Betrügereien.

Nun nimmt Marco Russo zusammen mit seinen Geschäftspartnern den deutschen Markt ins Visier. In jüngster Zeit ist er deshalb häufiger hier zu Gast. In Hamburg trifft er sich mit Freunden zum Essen und zeigt sich, wie er in einem edlen Büro hoch über der Stadt Verträge unterzeichnet. In Hannover posiert er mit seiner Frau in der Fußgängerzone und besucht den Tierpark, in München ist er in der Nähe des Starnberger Sees zu sehen.

Der Fall des 1970 geborenen Florentiners ist einzigartig und erlaubt dennoch einen tiefen Einblick in das globale System der dreckigen Finanzschiebereien. Über Grenzen hinweg, mit wechselnden Mittelsmännern, Scheinfirmen und Strukturen fließt das Geld. Strohmänner sitzen in Italien, Spanien, der Schweiz, England und Deutschland. Sie arbeiten scheinbar ohne Limits mit Firmen in aller Herren Länder. Sie gründen und schließen Unternehmen, schneller als Behörden hinter die Fassaden schauen können. Die Kunden der Schieber kommen aus Australien, Österreich, Spanien, Amerika oder China. In China hat ein Russo-Klient gefälschte Sicherheiten im Wert von 560 Millionen Euro hinterlegt. Für eine österreichische Firma fingierte er 200 Millionen Euro und die Finanzierung für eine Chemiefabrik in Russland brach zusammen, als Sicherheiten über 500 Millionen Euro nicht zustande kamen, angeblich aufgrund eines Betrugs.

Wie groß das Betrugsvolumen der Finanzschieber wie Marco Russo weltweit ist, weiß niemand. Ihr System wird so gut wie nie geknackt. Denn von ihrem Betrug profitieren viele. Die Banken, die Kredite vermitteln. Die Zwischenhändler, die Gebühren einstecken. Und eben Leute wie Russo, die für die von Staatsanwälten als Betrug bezeichneten Deals saftige Provisionen vorab kassieren. Für Russo sind die Geschäfte fast ohne Risiko. Eine Verurteilung dauert Jahre und dann können Verurteilte immer noch in Berufung gehen.

Über seinen Anwalt sagt Russo, er sei unschuldig. Der Anwalt sagt, Russo sei von einigen Vorwürfen freigesprochen worden, während andere Verurteilungen entweder rückgängig gemacht wurden oder sich in der Berufung befinden.

In einer aufwändigen Recherche haben Reporter aus vier Ländern die Spuren Russos und seiner Helfer verfolgt. El Confidencial aus Madrid hat seinen Ritterorden und weiter Helfer aus Russos Netzwerk aufgespürt. Der Schweizer Tages-Anzeiger hat Mittelsmännern in der Schweiz nachrecherchiert. Das Investigative Reporting Project Italy arbeitete sich durch tausende Seiten Gerichtsakten aus Strafverfahren gegen Russo, die mehr als 20 Jahre seiner Karriere beschreiben. Und wir gingen den aktuellen Deals des Betrügers in Deutschland nach.

Russo hat das nicht gefallen. Zunächst drohte er mit juristischen Konsequenzen, sollten wir seine Aktivitäten aufdecken. Zuletzt schickte er seine Frau vor. Die Frau, die mit der AK-47 posiert. Auf Anfrage drohte auch sie mit einer Klage. Über seinen Anwalt sagte Russo, wir hätten eine verzerrte Meinung von ihm und dass viele Medien über Vorwürfe berichten, von denen er freigesprochen worden sei. Russo hoffe, dass er nicht in den Medien für Punkte gerichtet wird, für die er niemals angeklagt wurde.

Wir haben uns dazu entschieden, zu berichten, was Russo vor Gericht selbst von sich gegeben hat. Zum Beispiel wie einfach es geht, Bundesschatzbriefe zu fälschen: Russo benutzte Corel Draw, eine gängige Software zur Bildbearbeitung. „Jeder Fünfjährige könnte das“, sagte Russo einmal.

Italienische Ermittler jagen den Betrüger seit Jahren. Russo ist dort vorbestraft, seine kriminelle Vergangenheit reicht bis 1995 zurück. Seiner Kriminalakte zufolge wurde er im Jahr 2002 wegen Hehlerei verurteilt und seiner Verbindungen  zu anderen Kriminellen. Im Mai 2014 hat ihn jetzt ein Gericht in Mailand in erster Instanz erneut verurteilt. Viereinhalb Jahre soll er für schweren Betrug ins Gefängnis. Doch Russo verdient weiter Geld, nun mit der nächsten Firma in Deutschland. Das geht, wegen des komplizierten italienischen Rechtssystemes. Dort kann ein Verfahren durch drei Instanzen laufen, bevor ein Krimineller in Haft muss. Ein Anwalt von Russo sagt: „Wir werden gegen das Urteil Berufung einlegen und dann freigesprochen.“

In Deutschland hat Russo seine Fühler nach Hannover ausgestreckt. Von hier aus will Russo mit der von ihm Ende 2013 gegründeten YUMA Finance AG Kunden gewinnen. Dafür hat der Italiener Webseiten bauen lassen, die speziell auf hiesige Kunden zugeschnitten sind; auf normale Menschen, die eine finanzielle Beratung suchen. Das geht unter anderem aus Gesprächen mit Gennaro Piro hervor, der Russo dabei geholfen hat, Firmen in Deutschland und Luxemburg zu gründen. Ein anderer Geschäftspartner sagt, Russo finde seine Kunden häufig über ein Netzwerk anderer Finanzberater, deren Dienste selbst im rechtlichen Graubereich angesiedelt seien.

Russo hat jedenfalls richtig Geld investiert. Das geht aus Gesprächen mit seinen Geschäftspartnern hervor. Offenbar plant ein ganzes Team von Finanzbetrügern, in Deutschland Kasse zu machen. Die Russo-Bande arbeitet teilweise in einem legalen Graubereich und die Behörden wissen nichts davon, können potentielle Kunden in Deutschland davor kaum schützen.

Vor einigen Monaten mietete die YUMA Finance AG einen Stand bei einer Banken-Konferenz in Berlin. Zur selben Zeit kündigte YUMA an, dass es Zugang zu einem deutschen Fonds habe – ohne nähere Informationen dazu zu veröffentlichen. Ein Köder für deutsche Anleger. Das Angebot ist inzwischen von den Webseiten entfernt worden.

Wie Russo seine Geschäftspartner ausnimmt, kann man am besten am Beispiel der österreichischen Firma Trenkwalder erklären. Auf einer Geschäftsreise nach Istanbul trifft ein Vertreter von Trenkwalder einen australischen Kollegen mit ähnlichen Interessen: Beide wollen Kredite aufnehmen, um neue Geschäfte zu finanzieren.

10 Tipps: So erkenne ich einen Finanzbetrüger


Zu viel Werbung

Vorsicht, wenn alles ganz einfach klingt. Wenn der Berater Ihnen alles hinterherträgt oder ein Angebot zu gut scheint, um wahr zu sein. Fast immer gibt es irgendwo einen Haken.


Nicht individuell genug

Ist die Beratung wirklich auf Ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten? Oder geht es um Vorgaben, die sie nicht verstehen? Vorsicht ist geboten, wenn der Berater einen Plan hat, der angeblich jedem Kunden hilft.


Vermittelnde Berater

Eine Finanzberatung sollte auch eine erklärende, einfache Rechtsberatung beinhalten – ohne zusätzliche Gebühren. Vorsicht, wenn Sie von einem Finanzberater noch einmal „obligatorisch“ zu einem Anwalt weitergereicht werden. Da kann Geld auf Ihre Kosten gemacht werden.


Zu viel Nähe

Gute Finanzberater haben immer ein eigenes Büro. Vorsicht, wenn der Berater Sie direkt zu Hause besuchen will. Was sucht er da?


Unklare Kosten

Fragen Sie, was die Beratung kosten soll. Seien Sie vorsichtig, wenn der Berater Sie zuerst fragt, was Sie sich leisten können – bevor er Ihnen einen Preis für die Beratung nennt.


Nie direkt unterschreiben

Unterschreiben Sie nie einen Vertrag beim ersten Treffen. Vorsicht, wenn der Berater auf Ihre Unterschrift drängt. Da stimmt was nicht.


Nichts aufschwatzen lassen

Lassen Sie sich vom Berater keine weiteren Leistungen andrehen. Vorsicht, wenn der Berater Ihnen eine Versicherung, Sparverträge oder sonstige Zusatzleistungen anbietet.


Vorsicht vor Krediten

Beantragen Sie über Ihren Finanzberater keinen Kredit. Vorsicht vor jeder Art von Vertrag, der dem Berater erlaubt, Ihre Finanzen zu verwalten oder Kredite zu beantragen.


Berater verwalten nicht

Bezahlen Sie den Berater auf keinen Fall dafür, Ihre Finanzen zu verwalten. Vorsicht vor Verträgen, die über eine einfache Beratung hinaus gehen.


Nie ohne Referenzen

Akzeptieren Sie keinen Berater ohne einen Beleg für seine Kompetenz. Vorsicht vor Beratern, die im Internet schlecht bewertet werden oder die nicht deutlich sagen können, was sie Ihnen eigentlich genau anbieten und wie viel das kosten wird.


Die Firma Trenkwalder plant, in die türkische Müllentsorgung einzusteigen, die australische Firma, Trident, will in Asien eine Ölplattform kaufen. Das Problem: Beide Firmen haben nicht genug Sicherheiten, um die entsprechenden Kredite aufzunehmen. Über türkische Mittelsmänner kommen Trenkwalder und Trident mit Russo in Kontakt, der ihnen gegen eine Leihgebühr Anleihen der Royal Bank of Scotland im Wert von 200 Millionen Euro als Sicherheiten anbietet. Diese Anleihen werden auf der ganzen Welt gerne als Sicherheiten genommen.

Dann geht es schnell. Trenkwalder überweist eine Anzahlung von insgesamt 350.000 Euro als Garantie für die Sicherheiten an Russo. Der Vereinbarung nach soll die Bank fünf Tage später die Existenz der Anleihen bestätigen, bevor Russo sein finales Honorar von 10 Millionen Euro bekommt, fünf Prozent vom Wert der gefälschten Anleihen.

Doch die Bankbestätigung kommt nie an. Trenkwalders Berater setzen Russo unter Druck, die Echtheit der Anleihen zu belegen. Als ihm Trenkwalder sogar mit Klage droht, lässt Russo die Firma abblitzen. „Macht was auch immer ihr wollt, lasst mich verdammt nochmal in Ruhe.“

Gerichtsdokumenten zufolge bekommt ein Trenkwalder-Vertreter wenig später einen Anruf von Russos Assistentin. Diese habe damit gedroht, dass sie wüsste, wo die Familie des Vertreters lebt und dass diese einen ‚Besuch‘ bekommen würde. Trenkwalder zeigte Russo trotzdem an.

Hilfe bekam Trenkwalder dabei von Claudio Loiodice, einem italienischen Geldwäsche-Experten. Loidodice is Soziologe und Kriminologe und arbeitete zuvor für eine Spezialeinheit der italienischen Polizei und als Ermittler für OLAF, die Anti-Korruptions-Einheit der EU. Als Polizist war Loiodice fast zehn Jahre lang an Undercover-Aktionen gegen Mafia-Gruppen wie die kalabrische ‚Ndrangheta beteiligt. Im Fall Russo unterstützte ihn der Anwalt Massimo Munno aus Turin.

Jahre später, im Frühjahr 2014, gibt Russo vor Gericht zu, dass er die Papiere für Trenkwalder gefälscht hat. „Ich hätte nie gedacht, dass diese Leute [gemeint sind Trenkwalder und ein anderes Opfer, Anm. d. Red.] mir wirklich 600.000 Euro für ein Stück Papier überweisen“, sagte er dem Richter in Mailand. Russo belastete außerdem einen Vertreter Trenkwalders, Andreas Pölzelbauer, und behauptete, diesem sei der Betrug definitiv bewusst gewesen. „Pölzelbauer war eindeutig. Er sagte zu mir: ‚Du musst eine Lösung finden‘. Und ich habe ihm eine Lösung gebracht“, sagte Russo in seiner Zeugenaussage vor Gericht.

Für Russo war Trenkwalder ein willkommenes Opfer, schnell verdientes Geld.

Und so einfach funktioniert der Betrug: Früher bekam Russo angeblich von korrupten Bänkern Ausdrucke aus der zentralen Verrechnungsstelle für alle europäischen Fonds-Geschäfte, aus Euroclear. Diese Ausdrucke sollen dann die Existenz von Anleihen bestätigt haben, die eigentlich überhaupt nicht existierten, beschreibt die italienische Finanzpolizei. Das war in den 90er Jahren.

Heute, da alles elektronisch läuft, haben es Betrüger laut Russo noch viel einfacher. Der Italiener sagte dem Gericht, er habe ein Abbild solcher Wertpapiere einfach abgeändert und mit dem Computer so verändert, dass es echt wirkte. Einem Zeugen zufolge hatte Russo aber zudem auch Zugang zu einem elektronischen Trainingsprogramm von Euroclear. Das erlaubte es ihm, ganz einfach Dokumente zu kreieren, die aussahen wie im Original. Ein Betrug ohne Kosten, ohne Aufwand, der überall auf der Welt jederzeit wiederholt werden kann.

Euroclear antwortete nicht auf Anfragen von CORRECTIV.

Vor Gericht machte sich Russo lachend über die Naivität der Österreicher lustig. „Diese Bonds haben nie existiert. Ich bin keine Bank. Wo sollte ich solche Anleihen hernehmen?“

Schlimmer: Er behauptete, dass einige seiner Klienten die Fälschung stillschweigend geduldet hätten, vermutlich sogar davon profitiert. Im Fall Trenkwalder war das Gericht jedoch anderer Meinung. „Alle gefälschten Dokumente sind mit dem einzigen Zweck zusammengestellt worden, Trenkwalder zu täuschen“, schreiben die Richter.

Trenkwalder antwortete nicht auf Anfragen von CORRECTIV.

Für solche gefälschten Anleihen bezahlte auch Gary Bradford, Geschäftsführer der Ölfirma Trident. 250.000 Euro kassierte Russo von dem Australier als Vorab-Gebühr für angebliche Sicherheiten im Wert von 100 Millionen Euro. Am Ende blieben nur ein paar wertlose Papiere übrig – sowie ein Urteil an einem Mailänder Gericht, das seine Ansprüche gegen Russo untermauerte. Bradford und Trident lehnten es einem Sprecher zufolge ab, auf Rechercheanfragen zu antworten.

Trident und Trenkwalder gehören zu den wenigen, die Russo bis heute vor Gericht gebracht haben. Doch allein die Staatsanwaltschaft in Mailand geht von mindestens vier weiteren Firmen aus, die zwischen 160.000 und 500.000 Euro verloren haben. Als die Finanzpolizei Russos Büro in der Via Durini 5 in Mailand durchsuchte, fand sie zahlreiche weitere Personen- und Firmennamen sowie halbfertige Verträge. Mit Bezug auf weitere Betrugsvorwürfe der Firmen, die keine offizielle Anklage erhoben hatten, befand das Gericht Russo für unschuldig.

Das globale Volumen solcher und ähnlicher Finanzbetrügereien kennt niemand. Klar ist nur: Es gibt viele Russos. Sie machen ihre Geschäfte mal gemeinsam, mal alleine. Und immer leiden die Menschen vor Ort, platzen Kredite, gehen Arbeitsplätze oder ganze Firmen kaputt.

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Marco Russo liebt die Pose eines weltmännischen Finanzgenies. Seine Ehefrau Yulia Shesternikova hilft ihm dabei.

Tatsächlich versteht es Marco Russo, mit dem ergaunerten Geld zu leben. Er ist Mitglied im edlen Golfclub Poggio dei Medici, mit bekannten Designern ist er persönlich befreundet. Hotels bucht er auch mal für 1.000 Euro pro Nacht. Als Russo die Firmen Trenkwalder und Trident betrog, gönnte er sich einen Porsche 997 für 150.000 Euro und dazu einen Bentley für 164.000 Euro. Erst kürzlich kaufte sich Russo ein Apartment für eine Million Euro, in der Nähe der Ponte Vecchio in Florenz.

Das erste Mal kommt der gebürtige Florentiner mit dem Gesetz als junger Mann wegen Diebstahls und Hehlerei in Konflikt. Später ist er Manager des apulischen Fußballvereins Foggia Calcio. Bis dort wegen Verdachts auf Betrug und Geldwäsche gegen ihn ermittelt und er in Rom unter Hausarrest gestellt wird. Seinem Anwalt zufolge hatte das Gericht Russo damals von allen Vorwürfen freigesprochen.

Verurteilt wird Russo dagegen 2002 in Pisa wegen Hehlerei und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Fünf Jahre soll Russo ins Gefängnis, sitzt jedoch nur einen kleinen Teil davon ab. Schon zwei Jahre später ermitteln die Behörden erneut, diesmal wegen Diebstahls und Schmuggels von Kunstwerken, doch Russo wird niemals offiziell angeklagt. Russos Anwalt sagt, sein Mandant werde stets als unschuldig aus eventuellen neuen Verfahren hervorgehen.

In Spanien lockten Mitglieder aus Russos Netzwerk zum Beispiel die Geschäftsführer der Firma Forcusa in die Falle. Diese benötigten einen Kredit, um die Firma mit mehr als 200 Mitarbeitern zu retten. Ein Finanzberater empfahl den Besuch in einem staubig, fast schon verlassen wirkenden Büro in der Schweiz. Forcusa hoffte auf einen Kredit über 42 Millionen Euro, den die Firma in Spanien nicht bekommen hatte. Die Gebühren: 420.000 Euro vorweg. Für den Kredit reisten die Geschäftsführer zu Treffen in London und Madrid. Immer wieder kamen die Mittelsmänner mit neuen Fragen, gepaart mit weiteren Versprechungen. Den Kredit bekam Forcusa nie zu sehen, die Gebühren waren weg. Heute beschäftigt die Firma nur noch weniger als zehn Leute und wird bald ganz aufgelöst. In Madrid stehen jetzt mehrere Makler wegen Betrugs vor Gericht.

Russos bislang angeblich größter Betrug spielt in China, Spanien und Deutschland. Die Suntech Power Holdings Co, der weltweit größte Solarzellen-Hersteller, hinterlegte 560 Millionen Euro in deutschen Bundesschatzbriefen als Sicherheit für einen chinesischen Staatskredit. Die Schatzbriefe hatte es aber niemals gegeben. Als eine Tochterfirma die Schatzbriefe nutzen wollte, flog der Schwindel auf.

In einem Zivilverfahren in Singapur beschuldigte Suntech Russo, die gefälschten deutschen Schatzbriefe zur Verfügung gestellt zu haben. Das Verfahren in Singapur endete außergerichtlich, doch im Januar 2014, in Mailand, gab Russo vor Gericht zu, dass er Anleihen elektronisch gefälscht habe, um seinen Kunden bei Kreditanträgen zu helfen.

Russo spielte auch eine wichtige Rolle in einem der größten politischen Skandale Italiens, der Affäre Telekom Serbia. Der zentrale Vorwurf damals: Politiker sollten beim Verkauf der Telekom Serbia an die italienische Telecom von illegalen Rückzahlungen profitiert haben. Angeblich sollen damals 120 Millionen Euro auf einem Konto in Monte Carlo aufgetaucht sein. Schmiergeld. Letztlich kamen die Ermittler aber zu dem Schluss, dass die angeblichen Bestechungsgelder niemals existierten. Den Ermittlern zufolge waren die Belege über die 120 Millionen Euro angeblich von Marco Russo gefälscht worden. Die sich anschließende Untersuchung ließ Russo jedoch außen vor.

Mindestens zehn Mal, sagte Russo in diesem Frühjahr vor Gericht, habe er solch gefälschte Sicherheiten vor dem Deal mit der österreichischen Firma Trenkwalder schon an Kunden verkauft. Warum diese Firmen ihn nicht auf Rückzahlung der Gebühren verklagt hätten? „Es hat für beide Seiten gepasst“, sagte Russo Gerichtsdokumenten zufolge. Die Dunkelziffer solcher Geschäfte ist freilich riesig.

Zurück nach Deutschland: Für die Gründung der nun neuen, seit Ende 2013 existierenden YUMA Finance AG bekam Marco Russo Hilfe von drei Deutschen: Rita Herrmann, Michael Braun und dem Anwalt Bernd Karwiese. Letzterer ist Vorsitzender des YUMA-Aufsichtsrates und sagt, an der Gründung der Firma sei nichts Besonderes. Er habe keinerlei Informationen zu den Vorwürfen gegen Russo. Auch Vorstandsmitglied Hermann sagt, sie wisse nichts über kriminelle Aktivitäten und sei für mögliche Probleme auch nicht haftbar. Michael Braun sagt dagegen, er habe seinen Vorstandsposten vor einiger Zeit niedergelegt. Grund dafür seien unter anderem die mangelnden Informationen gewesen, die er über YUMA bekommen habe.

Pressesprecherin der YUMA ist Yulia Shesternikova, die Ehefrau von Marco Russo. Sie schreibt per E-Mail, ihr Mann sei stets von allen Vorwürfen freigesprochen worden. Weiter schreibt Shesternikova, ihr Mann sei 1985 in Abwesenheit verurteilt worden, ohne dass er sich habe verteidigen können und ohne dass ihm ein Urteil zugestellt wurde. Sie sei eine auf internationale Kriminalität spezialisierte Journalistin und leite die Lügen aus unserer Presseanfrage an ihre Anwälte weiter.

Die YUMA Finance AG wird aktuell von der deutschen Finanzaufsicht BaFin geprüft, sagte eine Sprecherin. Die Ermittlungen der BaFin begannen im August diesen Jahres, Grundlage sind Informationen aus einer Presseanfrage von CORRECTIV. Das Ergebnis der Untersuchung ist der Sprecherin zufolge noch offen. Sollte die Behörde auf kriminelle Aktivitäten stoßen, gibt sie die Ermittlungen an die entsprechende Staatsanwaltschaft ab. Die öffentlich bekannten Finanzgeschäfte von Russo und seinen Kollegen sind in Deutschland teilweise nicht reguliert.

„Das ist ein Graubereich“, sagt die Sprecherin der BaFin. Die Ermittlungen sind deshalb extrem aufwändig. In Deutschland gibt es kein Gesetz, das es verbietet, Gebühren für die Vermittlung von Krediten an Dritte zu erheben. Natürlich ist es aber eine Straftat, Staatsanleihen oder andere Wertpapiere zu fälschen. Russo hat eine legale Fassade, die ihn davor schützt, sofort als krimineller Fälscher aufzufliegen.

Heiko Schöneck ist Finanzberater, der deutschen Kunden Anleihen wie die von Marco Russo vermittelt. Schöneck stand vor etwa vier Jahren in Kontakt mit Russo. Damals habe ihn ein Kunde darum gebeten, Sicherheiten für einen Bankkredit über 300.000 Euro zu besorgen. Schöneck sagte, er habe sich damals an einen weiteren Berater gewandt.

Dieser Berater habe sich als Mittelsmann angeboten und behauptet, er wisse wie man Wertpapiere für eine bestimmte Zeit mieten könnte. Diese Anleihen würden dann wiederum von Banken als Garantie für Kredite akzeptiert. „Am Ende der Kette stand Russo“, sagte Schöneck. Ob sein Kunde den Kredit letzten Endes bekommen habe, wollte Schöneck nicht verraten.

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Marco Russo sucht seit einiger Zeit Kontakte nach Deutschland. In Hannover hat er eine neue Firma gegründet. Angeblich zur Finanzberatung. Er nennt sie YUMA Finance AG.

Eine Kundin von Russo war Monique Boes. Boes ist eine in Deutschland lebende Französin und reiste 2009 drei Mal nach Italien, um Geld zu organisieren. Dort traf sie sich mit einem Mitarbeiter Russos in einer auf den ersten Blick luxuriösen Anwaltskanzlei, in der Innenstadt von Mailand. Doch auf Boes machte die Kanzlei schnell einen komischen Eindruck: Das Büro war riesig und hatte eine Rezeption – aber keinerlei Mitarbeiter. Noch merkwürdiger war, dass sie in den Räumen nicht ein einziges rechtliches Dokument fand, nicht einmal als sie in andere Räume schlich. „Ich habe noch nie eine Anwaltskanzlei gesehen, die kein Papier benutzt“, sagte Boes im Gespräch mit CORRECTIV.

Trotz all dieser Bedenken wollte ihr Kunde das Geschäft durchziehen. Gerichtsdokumente zeigen, dass in der Mailänder Kanzlei 300.000 Euro in bar bezahlt wurden.

Boes sagt, ihr Kunde habe die ‚Vorab-Gebühr‘ bezahlt, weil er von Russo deutsche Staatsanleihen im Wert von 500 Millionen Euro leihen wollte. Insgesamt hätte Russos Gebühr dafür am Ende 13 Millionen Euro betragen sollen. Die Anleihen wiederum sollten einer Schweizer Bank als Sicherheit für einen Kredit präsentiert werden. Diesen Kredit benötigte Boes‘ Kunde, um den Aufbau einer Chemiefabrik in Russland zu finanzieren. Ihre Rolle dagegen sei es gewesen, den Kredit in der Schweiz zu organisieren und die Gespräche zwischen ihrem Kunden und Russo zu übersetzen. Boes wollte den Namen ihres Kunden nicht nennen, bestätigte aber, dass dieser den Kredit letztlich nicht bekommen hat.

Glaubt man Finanzberater Heiko Schöneck, steht Marco Russo am Ende einer ganzen Reihe von Beratern. Die größten Geschäfte würden dabei von den Mittelsmännern gemacht. Doch die Jagd nach Opfern beginnt viel eher. Die allermeisten potentiellen Opfer sind normale Bürger, viele benötigen einfach nur Beratung, wie sie mit ihren Ersparnissen oder Schulden umgehen sollen. Doch guter Rat ist gerade in Finanzfragen schwierig zu finden. In Deutschland gibt es kaum Geld für unabhängige Beratungsstellen. Das gilt auch für die Verbraucherzentralen. Andreas Gernt ist Finanzexperte bei der niedersächsischen Verbraucherzentrale. Gernt sagt, in den 1980er Jahren habe die Zentrale in größerem Umfang Kreditberatung für normale Verbraucher angeboten. Wegen fehlender Finanzierung sei das jedoch stark zurückgefahren worden.

Das ist besonders gefährlich in einer Zeit, in der immer mehr Betrüger Geschäfte anbieten, die zu gut sind, um wahr zu sein. Ein Beispiel sind Schufa-freie Darlehen für Menschen mit mieserabler Kreditwürdigkeit. Die Schufa selbst beauftragte deshalb im Jahr 2012 eine Studie. Das Ergebnis: Weniger als zwei Prozent aller Testkunden, die Gebühren für die Vergabe von Krediten bezahlten, bekamen auch wirklich einen Kredit. Die betrügerischen Gebühren für diese angeblichen Kleinkredite betrugen im Schnitt 400 Euro. Das Fehlen von vertrauenswürdiger Finanzberatung hinterlässt eine Lücke, in die Betrüger wie Marco Russo hineinstoßen, um dann als angeblich seriöse Finanzberater aufzutreten.

Russo investiert viel Zeit in seine Maskerade. So veröffentlichte seine Ehefrau Yulia Shesternikova zwei Geschichten über ihn auf CNN iReport, unter ihrem Mädchennamen. CNN iReport ist eine scheinbar angesehene Nachrichtenseite des bekannten Senders. Tatsächlich werden dort aber auch Public-Relation-Sachen ins Netz gejagt. Shesternikova preist in ihren Geschichten denn auch ihren Gatten als erfolgreichen Geschäftsmann. CNN schreibt schlicht auf seiner Webseite, dass es die Fakten der Geschichten auf iReport nicht überprüft.

Bisher sind Betrüger wie Russo den Ermittlern stets einen halben Schritt voraus. Russo selbst scheint das zu genießen. Sein Lieblingsfilm ist Geschäftspartnern zufolge der Hollywood-Erfolg ‚Catch me if you can‘.

Mehrere Bitten um ein persönliches Gespräch wies Russo ab. Auf Anfrage von CORRECTIV antwortet er schließlich per E-Mail. Er sei immer von allen Vorwürfen freigesprochen worden. Außerdem werde er uns verklagen.

„P:S. Ihr seid Verlierer-Journalisten und auf einer falschen Fährte.“


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Die Recherchen zum Fall Marco Russo sind – jeweils mit anderen Schwerpunkten – auch in der spanischen Zeitung „El Confidencial“, im Schweizer „Tages-Anzeiger“ und im italienischen „L’Espresso“ erschienen.

Verantwortlich: David Schraven

Redaktion: David Crawford / Daniel Drepper / Cecilia Anesi & Leo Sisti (IRPI.eu) / Daniele Grasso (El Confidencial) / Julian Schmidli (Schweizer Tages-Anzeiger)

Fotos: Ivo Mayr

Art Director: Thorsten Franke / mediaPolis