Was hat Rheinmetall in der Türkei zu verbergen?
Ein Rheinmetall-Joint-Venture in der Türkei soll Panzer entwickeln. Angeblich ist es nicht aktiv. Am Firmensitz wurde ein Fotoverbot verhängt.
Das unscheinbare dreistöckige Bürogebäude steht in einer Seitenstraße im Regierungsviertel der türkischen Hauptstadt Ankara. Kein Firmenschild verrät, wer hinter den Fenstern arbeitet. An einem Fahnenmast rechts vor dem Haus hängt die türkische Flagge. Neben dem Eingang sind zwei Metallschilder angebracht: „Zutritt verboten“, sagt das eine. Das andere mahnt, in schwarzen Buchstaben auf weißem Grund: „Fotografieren, Film- und Tonaufnahmen verboten“.
Was auf diesen drei Etagen geschieht, ist also top secret – und unter der Herrschaft von Präsident Recep Tayyip Erdogan wird es kaum ein Journalist wagen, das Verbot zu missachten und dennoch Aufnahmen zu machen.
Was hier abgeschottet wird, ist der Sitz eines Rüstungsunternehmens — mit deutscher Beteiligung. Es heißt Rheinmetall BMC Defense Industry oder abgekürzt RBSS, nach den türkischen Inititialen des Firmennamens. Der deutsche Konzern Rheinmetall hat es im Oktober 2016 zusammen mit der türkischen Firma BMC sowie malaysischen Partnern gegründet. Seit Februar nennt das Joint Venture offiziell das dreistöckige Haus in der Seitenstraße als Firmensitz. Nach Recherchen des stern, der türkischen Exilredaktion Özgürüz und des Recherchezentrums CORRECTIV hat RBSS die Räume auch bezogen. Doch den Namen oder das Firmenlogo von RBSS – ein Adler mit zwei wuchtigen Schwingen – sucht man an dem Gebäude vergebens.
Das Joint Venture, das offenkundig gerne im Geheimen arbeitet, hat einen brisanten Auftrag. Es soll sich um den Bau türkischer Kampfpanzer vom Typ Altay bewerben; das hatte die Düsseldorfer Rheinmetall-Zentrale jedenfalls noch im März ausdrücklich bestätigt. Dabei saß schon damals der deutsche Journalist Deniz Yücel in einem türkischen Gefängnis und mit ihm tausende offenkundig ebenso unbescholtene türkische Bürger.
Bereits im Dezember 2015 sprach man bei Rheinmetall in internen Papieren von insgesamt 1000 Kampfpanzern, die man mit dem Joint Venture in der Türkei bauen wolle, zum Preis von sieben Milliarden Euro.
Also einerseits ein gutes Geschäft. Aber andererseits auch ein Deal, der so gar nicht in die politische Landschaft passt. Erst vergangene Woche enthüllten der stern, CORRECTIV und Özgürüz, wie trickreich Rheinmetall die Rüstungskooperation eingefädelt hatte. Präsident Erdogan selbst empfing im November 2015 Manager von Rheinmetall und Vertreter ihrer türkischen und malaysischen Partner im osmanischen Yildiz-Palast in Istanbul zum Abendessen. Die Partner aus Malaysia und Türkei sollten Rheinmetall offenkundig beim Kontakt zum Präsidenten helfen und dazu beitragen — so stand es in einer internen Präsentation — den „politischen Segen“ der türkischen Regierung sicherzustellen.
Inzwischen hat das türkische Verteidigungsministerium die Rheinmetall-Partnerfirma BMC in aller Form eingeladen, sich um den Bau der Altay-Panzer zu bewerben. Es gibt auch weitere Bewerber. Aber BMC gehört dem Unternehmer und Erdogan-Freund Ethem Sancak und gilt darum als Favorit für den Auftrag.
Rheinmetall hat die Kooperation mit den türkischen Partnern bis heute nicht abgesagt. Das Unternehmen lässt nur wolkig erklären, in der Türkei habe sich „vieles“ verändert, „auch für Rheinmetall“ – was immer das heißt. Konkrete Fragen lässt man in Düsseldorf unbeantwortet.
Rheinmetall-Chef Armin Papperger verlegt sich offenkundig auf eine Doppelstrategie: Vorsichtig weitermachen in der Türkei – und kräftig verharmlosen in Deutschland. Jedenfalls verbreitete das Unternehmen in jüngster Zeit allerlei scheinbar harte Dementis. Die „Süddeutschen Zeitung“ zitierte einen Rheinmetall-Sprecher vor einigen Tagen gar mit der Behauptung, die Gemeinschaftsfirma in Ankara gebe es nur auf dem Papier: „Das Unternehmen ist im Moment nicht aktiv“, behauptete der Konzernsprecher demnach.
Dabei schreibt das Joint Venture seit Februar immer wieder Stellen aus. RBSS hat eine eigene Website freigeschaltet und – wie gesagt – die Büros im Regierungsviertel von Ankara bezogen. Gäbe es das Joint Venture dort wirklich nur auf dem Papier, wäre kaum ein Foto- und Filmverbot notwendig – weil es ja nichts zu verbergen gibt.
Einem Mitarbeiter der Nachrichtenagentur dpa versicherte ein Rheinmetall-Sprecher Anfang Mai am Rand der Rheinmetall-Hauptversammlung im Mai sogar, es gebe überhaupt keine Pläne zum Bau der Kampfpanzer in der Türkei. Rheinmetall habe Berichte über eine geplante Panzerfabrik „zurückgewiesen“, vermeldete die Agentur – obwohl Rheinmetall zuvor ausdrücklich das Interesse am Bau der Altay-Panzer bestätigt hatte. Der dpa-Nachrichtenchef bestätigte dem stern, dass Rheinmetall auch auf Nachfrage der Agentur noch einmal „ausdrücklich dementiert“ habe, „dass sie planen oder geplant haben, eine Panzerfabrik in der Türkei zu bauen oder zu betreiben“.
Tatsächlich hatte Rheinmetall seit Februar ganz explizit Stellen für die Entwicklung und Produktion „geschützter Rad- und Kettenfahrzeuge“ an den Standorten Istanbul und Izmir ausgeschrieben. Und Konzernchef Armin Papperger sprach im März sogar in einem Zeitungsinterview über den geplanten Bau von Panzern in der Türkei.
Die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel – die eigentlich einen härteren Kurs gegenüber Präsident Erdogan angekündigt hat — hilft dem Unternehmen dabei, den Skandal kleinzureden. Sie tut so, als habe sie wenig mit den Rheinmetall-Plänen zu tun. Die seien einfach „eine unternehmerische Entscheidung“ – wenngleich Rheinmetall natürlich „in Einklang“ mit deutschen Vorschriften vorgehen müsse, so ein Regierungssprecher.
Doch genau in diesen Vorschriften gibt es eine Lücke. Die Regierung verweist darauf, dass deutsche Rüstungstechnologie nicht ohne Genehmigung ausgeführt werden darf. Zugleich stellte Rheinmetall in internen Papieren in Aussicht, für den Panzerbau am Bosporus „alle notwendigen technologischen Fachkenntnisse bereitzustellen“. Und das Unternehmen beteuerte, dass man dafür keine Genehmigung der Bundesregierung brauche. „Wenn wir mit Partnern in der Türkei einen türkischen Panzer entwickeln und bauen, dann ist die Bundesregierung daran nicht beteiligt“, sagte Firmenchef Papperger im März dem „Tagesspiegel“.
Schon in einer für das türkische Verteidigungsministerium bestimmten internen Präsentation vom Mai 2015 erklärte Rheinmetall, wie dieser Spagat aus Sicht des Unternehmens funktioniert. Die deutsche Exportkontrolle verfolge zwar eine „zunehmend restriktive Linie“. Aber man schicke ja „keine Bauteile und Unterlagen“, sondern nur Experten. „Einschränkungen“, so die Firma, „gelten nicht für das Know-How von Personen“. Daher werde man lediglich Mitarbeiter entsenden, um in der Türkei zu „beraten“ und „auszubilden“.
Rheinmetall bietet also erstens die eigene Technologie an – und verspricht zweitens einen Nicht-Transfer von Technologie. Das klingt schizophren. Doch in der Tat gibt es eine Regelungslücke in der Außenwirtschaftsverordnung, die Waffenhersteller ausnützen können. Sie erlaubt es Rüstungsunternehmen, in Ländern wie der Türkei „technische Unterstützung“ zu geben, ohne dass es dafür eine Genehmigung braucht. Der damalige Wirtschafts- und heutige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte im Juli 2015 für Hersteller von Überwachungstechnik eine solche Gehmigungspflicht bei technischer Unterstützung im Ausland eingeführt – nicht aber für die Rüstungsproduktion in Ländern wie der Türkei.
„Die Bundesregierung sagt immer wieder, sie habe für das Rheinmetall-Vorhaben keine Genehmigung erteilt“, sagt die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Agnieszka Brugger: „Wenn aber so ein verheerender Deal an der Bundesregierung vorbei eingefädelt werden kann, gibt es mehr als offensichtlich eine riesige und hochproblematische Gesetzeslücke, die dringend geschlossen werden muss.“ Dass die Regierung die Lücke nicht schließe sei, so Brugger zum stern, „völlig absurd und höchst widersprüchlich“.
Warum gibt es diese Lücke immer noch? Sigmar Gabriels Büro beteuert bis heute, eine „unterstellte Regelungslücke in der deutschen restriktiven Rüstungsexportpolitik gibt es nicht“. Das Wirtschaftsministerium, heute geführt von Brigitte Zypries (SPD), räumt immerhin vorsichtig ein, dass es eine Lücke gebe – aber angeblich nur eine ganz kleine, ein Nadelöhr. Es seien „nur untergeordnete, einfache Dienstleistungen“ nicht genehmigungspflichtig, beteuert die Behörde. Der „Aufbau von Waffenfabriken“ sei mit ihnen nicht möglich.
Rheinmetall sieht das offenkundig anders. In dem Unternehmen scheint man zu glauben, das Nadelöhr sei ein Scheunentor. Doch egal, ob es nun groß ist, ob es eher klein ausfällt oder ob die Lücke womöglich gar nicht existiert: Nur eine Version kann stimmen.
Diese Recherche ist eine gemeinsame Arbeit des stern mit der türkischen Exilredaktion Özgürüz sowie dem Recherchezentrum Correctiv.