Wirtschaft

Investment in Fynn: Wie Influencer Kliemann rund 700.000 Euro in seinem Freundeskreis einsammelte

Nicht nur Caro Daur hat sich am Kliemannsland beteiligt. Bisher unbekannte E-Mails geben nun einen tieferen Einblick in die Geschäfte des Influencers: Sie legen nahe, dass mindestens 15 zum Teil prominente Personen den Kreativbauernhof unterstützt haben, darunter Joko Winterscheidt, Ina Müller und Severin Kantereit.

von Gabriela Keller , Frederik Richter , Jonathan Sachse

Fynn Kliemann erhält MTV Europe Music Award
Fynn Kliemann, deutscher Musiker und YouTuber, steht auf seinem Hof „Kliemannsland“ im Ortsteil Rüspel. Foto: Hauke-Christian Dittrich / dpa /picture alliance

Auch Utopien verursachen erst einmal Kosten und so schreibt Fynn Kliemann am Abend des 5. Juli 2020 eine E-Mail an seinen Freundeskreis: „So liebe Bande“, heißt es in der Nachricht. „Wie am Telefon angeteast, habe ich großes mit dem Kliemannsland vor und hätte euch alle gern an Bord.“

Im Betreff der Mail steht „GANG Investment“; Kliemann schlägt den Empfängern darin eine stille Beteiligung an einem seiner Projekte, dem Kliemannsland, vor. Unter diesem Namen betreibt Kliemann einen Kreativhof nahe Bremen. Auf dem Hof finden Festivals statt und Interessierte sollen sich dort abseits des Stadtlebens gegenseitig beibringen, kreativ zu sein. Als eine „Volkshochschule in cool“ hat Kliemann, bekannt geworden mit Heimwerker-Videos auf Youtube, das Projekt einmal in der Augsburger Allgemeinen beschrieben.

Im Sommer 2020 steckt Kliemanns Kreativprojekt in einem Umbruch. Zuvor hatte er mit dem öffentlich-rechtlichen Online-Netzwerk Funk zusammengearbeitet. Aber trotz großen Erfolgs endete das Format bei Funk im Sommer 2020. Kliemann suchte also eine neue Finanzierung. Doch wie sammelt man Geld ein für eine „große Spielwiese für alle, die Bock auf Abenteuer und Spaß am Schaffen haben“, wie sich der Hof selbst beschreibt?

Ende Mai hatte CORRECTIV über die stille Beteiligung der Mode-Influencerin Caroline Daur an Kliemanns Kreativprojekt berichtet. Jetzt stellt sich heraus, dass sich noch weit mehr zum Teil prominente Unterstützer aus der Show- und Influencer-Szene beteiligten.

Investitionen aus einem Bauchgefühl heraus

Mehrere E-Mails, die CORRECTIV vorliegen, ermöglichen einen seltenen Einblick in das Geschäftsgebaren in der Influencer-Szene. Die Nachrichten legen nahe, dass dabei offenbar vor allem ein lässiger Tonfall vonnöten ist und weniger ein konkret ausgerechnetes Geschäftsmodell. Ähnlich wie bei Likes auf Instagram scheint es bei Investments eher auf ein gutes Gefühl anzukommen als auf Zahlen und Bilanzen, oder anders gesagt: Auf die „Story“, wie einer der Gesellschafter zu CORRECTIV sagt.

In der Empfängerliste von Rundmails, die sich offenbar an die Gesellschafterinnen und Gesellschafter der Kliemannsland GmbH richteten, stehen unter anderem der Starkoch Tim Mälzer, die Musikerin und Moderatorin Ina Müller, der Musiker Severin Kantereit, der Moderator Joko Winterscheidt und die Heimwerkerin und Influencerin Laura Kampf.

Ob sich alle Empfänger und Empfängerinnen der E-Mail tatsächlich selbst beteiligt haben, bleibt unklar. CORRECTIV hat alle um eine Stellungnahme gebeten. 15 der 20 Personen antworteten und bestätigten, eine stille Beteiligung abgeschlossen zu haben oder für eine Firma zu agieren, die im Kliemannsland investiert hat; es lässt sich nicht jedem Empfänger eine Zahlung zuordnen. Zum Teil stehen mehrere Personen hinter einer Einlage. Von den genannten Prominenten reagierte einzig Tim Mälzer nicht auf die Anfragen.

Zu den Investoren gehörten auch Unternehmer wie Philipp Westermeyer, Gründer der Plattform OMR (Online Marketing Rockstars) und Jakob Berndt, Mitgründer des Fairtrade-Projekts Charitea & Lemonaid und der Nachhaltigkeitsbank Tomorrow.

Bastian Ohrtmann, Geschäftsführer der Kliemannsland GmbH, bestreitet auf Anfrage von CORRECTIV pauschal, dass sich 20 stille Gesellschafter an der Firma beteiligt haben, Details nennt er nicht. Auf Fragen nach der Bewertung der Firma und der Verwendung der Mittel antwortete er nicht, da die Fragen zu „offen und unkonkret“ seien.

Fynn Kliemann an prominente Gesellschafter: „Geile Möglichkeiten euer Zeug zu promoten“

Jedenfalls fiel es Kliemann, wie es scheint, nicht schwer, Gelder für seine Kreativprojekte einzuwerben. „Die haben gesagt, sie haben Bock, das zu bezahlen. Zack. So einfach war das“, sagte er einmal über seine Partnerschaft mit Funk. Nicht viel komplizierter lief es offenbar bei den zum Teil prominenten Investoren, die er später anwarb.

In der E-Mail vom 5. Juli 2020 beschreibt Fynn Kliemann den potenziellen Geldgebern die Konditionen: „Jeder bringt 25K als stille Beteiligung ein und ist vertraglich zu 1% an all dem beteiligt.“ Zudem dürften die Investoren den Hof und die Ressourcen des Kliemannslands wie zum Beispiel Schnittplätze für ihre Zwecke nutzen. Es würden sich auf dem Gelände „geile Möglichkeiten ergeben euer Zeug zu promoten.“

Kliemann schlägt Folgendes vor: „Ihr seid faktisch Gesellschafter, aber wir sparen uns den Notar-Hustle, die Gebühren und Gesellschaftsbeschlüsse.“ In einem Vertrag einer Gesellschafterin, der CORRECTIV vorliegt, finden sich die Konditionen so wie beschrieben wieder. Ob das in jedem Einzelfall so war, ließ sich nicht prüfen.

Joko Winterscheidt und Ina Müller geben idealistische Motive an

Joko Winterscheidt lässt über seine Sprecherin ausrichten, er habe sich beteiligt, „weil er die Idee einer Kreativstätte für die unterschiedlichsten Menschen absolut unterstützenswert fand und findet“. Die Musikerin Ina Müller teilt mit, sie sei selbst auf einem Bauernhof in der Gegend aufgewachsen; die „Arbeit und Kreativität“ des Projektes habe sie überzeugt. Ein finanzielles Gewinninteresse verbinde sie damit nicht.

Fynn Kliemann ist bekannt geworden als Internet-Tausendsassa, als Kindskopf mit Millionen-Reichweite. Vor zwei Wochen aber hat die Fassade vom herzensguten Kreativwirtschaftler Risse bekommen: Das ZDF Magazin Royale hatte Täuschung und Ungereimtheiten bei Masken-Geschäften von Kliemann und seinen Geschäftspartnern aufgedeckt. Offenbar waren als fair in Europa beworbene Masken demnach zu großen Teilen tatsächlich unter ausbeuterischen Bedingungen in Asien gefertigt worden.

Kliemann streitet Betrugsvorwürfe ab, räumt aber irreführende Aussagen ein. „Es tut mir leid. Ich geh jetzt aufräumen“, schreibt er in einer aktuellen Stellungnahme zu dem Maskenskandal. Dabei räumte er vor allem Kommunikationsfehler ein: Der Influencer betont, in seinem Webshop seien nur Masken aus Portugal verkauft worden. Den Gewinn, den er damit erzielte, will er spenden.

Das Kliemannsland berühre die Affäre aber nicht. Diesen Ort, alle Partnerinnen und Partner und ihn, verbinde nur „Leidenschaft, Freundschaft, und der Wille, etwas zu bewegen.“ Deshalb habe er eine große Bitte: „Lasst diesen Ort, der so vielen Menschen so viel bedeutet, nicht sterben.“

 

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Diesen Post veröffentlichte das Kliemannsland im Februar 2022 auf Instagram. Dort erreicht der Kreativhof weit mehr als 400.000 Follower.

Kliemannsland: Vermarktet als Investition in eine Utopie

Tatsächlich hatte die Gesellschaft Kliemannsland GmbH nichts mit der Produktion oder dem Vertrieb der Masken zu tun. Aus den E-Mails, die CORRECTIV vorliegen, spricht indes ein ganz eigenes Verständnis von Professionalität. Es ergibt sich das Bild eines Geschäftsmanns, der kein regulärer Geschäftsmann sein will – was sich paradoxerweise als sehr marketingtauglich erweist.

Zehn stille Gesellschafter bestätigten gegenüber CORRECTIV eine Einlage von 25.000 Euro. Hinzu kam zu jener Zeit, wie berichtet, eine Zahlung von Robert Dahl, dem Betreiber von Karl’s Erdbeerhöfen, in Höhe von etwa 500.000 Euro für 20 Prozent der Firmenanteile. Demnach hätte Kliemann also insgesamt in seinem Freundes- und Bekanntenkreis mindestens 750.000 Euro für seinen Hof eingesammelt.

Kliemann versandte zwar eine Gewinn- und Verlustrechnung an potenzielle Investoren und Investorinnen. Doch ein Unternehmenswert wurde offenbar nicht berechnet. Das ist eigentlich üblich, bevor eine Firma neue Gesellschafter anwirbt. Denn wenn jemand zum Beispiel zehn Prozent an einer Firma erwerben möchte, müsste zunächst bestimmt werden, wieviel hundert Prozent des Unternehmens wert sein sollen.

Aus der Investition von Dahl sowie den stillen Beteiligungen lässt sich schließen, dass der Kreativhof einen Unternehmenswert von 2,5 Millionen Euro haben soll. Kliemann ließ Fragen hierzu unbeantwortet.

Das Kliemannsland warb weniger mit Zahlen als mit Spielplatz-Vokabular und wolkigen Zielen von einer besseren Gesellschaft um Geld. Der Influencer bot den potenziellen Investoren eine große Vision: „Die Welt nachhaltig durch Ressourcen, Freiraum und Beflügeln von Menschen mit Träumen, aber den fehlenden Tools, zu verändern“, und weiter schreibt er: „Ihr seid Teil einer Utopie von der alle sagen, dass sie nicht funktionieren kann.“

Und er vermittelt seinen Empfängern das Gefühl, Teil einer irren und abenteuerlichen Sache zu sein: „Eins ist klar“, schreibt er mit Blick auf seine potenziellen Investoren. „So ein wildes Konglomerat an Verrückten hab ich selten gesehen :).“

Auch in späteren E-Mails setzt sich dieser Ton fort. „Vielen Dank, dass ihr den wilden, produktiven Wahnsinn und das kreative schöpferische Chaos unterstützt“, schreibt die Geschäftsleitung in einer Weihnachtsmail Ende 2020 an den Unterstützerkreis. Bei Bastian Ohrtmann, Geschäftsführer der Kliemannsland-GmbH, steht bis heute als Funktion in seiner E-Mail-Signatur: „Präsident des ganzen Bums“.

„Es war ein Investment in Fynn“

Mehrere der Investoren im Kliemannsland machten gegenüber CORRECTIV deutlich, dass harte Zahlen für sie nicht so wichtig waren. „Grundsätzlich ist mir in diesem Zusammenhang wichtig, dass meine Investition eine emotionale Entscheidung war und keine aus wirtschaftlichem Interesse“, schreibt etwa die Influencerin Laura Kampf.

Ähnlich äußert sich OMR-Chef Philipp Westermeyer: „Es war kein Investment, wo ich die Hoffnung hatte, viel Geld mit zu verdienen, sondern man macht es eher aus ideellen Gründen.“ Auch sei er Kliemann für Auftritte in seinem Podcast dankbar gewesen; dessen Popularität kam ihm dabei zu Gute. „Es war ein Investment in Fynn. Weil er einfach ein cooler Typ ist. Da hab ich dran geglaubt, und das habe ich unterstützen wollen.“

Andere Gesellschafter, mit denen CORRECTIV sprach, wollen sich nicht zitieren lassen. Eine Geschäftsbeziehung zu Kliemann scheint fürs Image mittlerweile eine heikle Sache zu sein.

Die Wasser-NGO Viva con Agua, die über eine Tochterfirma am Kliemannsland beteiligt war, hat das Gesellschafterverhältnis gekündigt, so auch Severin Kantereit, Schlagzeuger der Band AnnenMayKantereit, ohne Angabe konkreter Gründe. „Der Hof und die Idee dahinter haben weiterhin meine Zuneigung“, schreibt er. Dennoch habe er seine stille Beteiligung an der Kliemannsland GmbH beendet, „um neue Projekte zu unterstützen“.

Tausende Menschen kauften Tickets für Kliemann-Festival ohne Line-Up

Robert Dahl, Chef des Erdbeer-Unternehmens Karl’s, zählt zu denen, die weiter zu Kliemann halten. Zwar habe er im Vorfeld keine Bilanzen gesehen. Diese habe er allerdings auch nicht verlangt: „Man einigt sich gemeinsam auf einen Geschäftswert. Dazu gehört, dass man sich vorstellen kann, was aus einer Sache wie dem Kliemannsland werden kann. Ich habe viel Fantasie und habe das positiv gesehen.“ Nach Kliemanns letztem Video könne er sich eine Zusammenarbeit mit ihm nach wie vor gut vorstellen.

Auch Marco Duden, ein Steuerberater aus der Region des Kliemannslands, äußert sich positiv. Alle geplanten Vorhaben auf dem Hof seien professionell durchgeführt worden. „Die Veranstaltungen, Märkte etc sind eine echte Bereicherung für die gesamte Region.“

Fynn Kliemann weiß die Vorstellungskraft anzuregen, auch das geht aus seiner E-Mail hervor. Um die künftigen Gesellschafter zu überzeugen, brüstet er sich mit dem Potenzial seiner Ideen: Nachdem 2020 ein Elektro-Festival im Kliemannsland ausfallen musste, habe er „nen flotten Ticketshop“ eingerichtet und den Vorverkauf für 2021 eingerichtet.

Nach zwölf Minuten seien alle Tickets ausverkauft gewesen, schreibt er, „ohne Line-Up, ohne Programm, ohne jegliche Infos sold out.“ 20.000 stünden schon auf der Warteliste. Und wieso? „Die Leute wissen, dass es geil wird. Was auch immer es ist.“

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Text und Recherche: Gabriela Keller, Frederik Richter, Jonathan Sachse
Redaktion: Justus von Daniels, Till Eckert