Wirtschaft

Fälschungen auf dem Second Hand-Markt: Ein offenes Betriebsgeheimnis

Nach der Veröffentlichung einer CORRECTIV-Recherche zu fabrikneuen Plagiaten bei der insolventen Vintage-Modekette Strike melden sich Ex-Beschäftigte mit neuen Hinweisen: Demnach war das Problem in der Firma allgemein bekannt. Gründer Daniel Bayen spricht von einem Anteil von höchstens einem Prozent.

von Finn Schöneck , Gabriela Keller

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Nachhaltige Styles statt Fast Fashion: Der Vintage Hype begeistert vor allem junge Menschen. Zunehmend aber finden sich in Asien gefertigte Fälschungen auf dem Markt. Foto: Markus Spiske / unsplash.com

Im Fall der insolventen Secondhand-Modekette Strike weiten sich die Hinweise auf gefälschte Markenware aus: In Folge einer CORRECTIV-Recherche zu mutmaßlicher Kundentäuschung und fabrikneuen Imitaten aus Südostasien im Sortiment der ehemaligen Vorzeige-Firma meldeten sich gut 20 Ex-Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens; CORRECTIV sprach mit etwa einem Dutzend. Unabhängig voneinander schilderten sie erhebliche Anteile gefälschter importierter Ware in den Strike-Stores.

Aus den Gesprächen ergibt sich ein Bild, das geprägt ist von Unstimmigkeiten. Der zu Beginn 19 Jahre alte Gründer Daniel Bayen soll von den gefälschten Stücken gewusst und den Verkauf zugelassen oder sogar gegen Widerstände im Personal durchgesetzt haben.

„Die Fakes lagen im Laden, und das waren 12- oder 13-Jährige, die das gekauft haben”, sagt eine frühere Mitarbeiterin. „Das tat uns weh im Herzen.“ Ein anderer Beschäftigter bestätigt diese Darstellung: „Wer sich in dem Sektor auskennt, sah schon von weitem, dass die Dinger Fake waren. Allein der Stoff entsprach gar nicht dem Original. Es war ein offenes Geheimnis, oder eigentlich war es gar kein Geheimnis. Es wurde offen darüber diskutiert.“

Strike-Gründer betont seine Leistung für den Umweltschutz

Bayen reagierte erst in einem Video auf Instagram auf die Recherche von CORRECTIV. In einer Story sagte er, es habe ihn „nicht gejuckt“, ob die Ware echt war; Marken hätten für ihn keine Rolle gespielt. Er streitet aber ab, absichtlich Fälschungen für den Verkauf bestellt zu haben. Außerdem bot er an: Wer sich von ihm getäuscht fühlen, könne sich bei ihm melden, und es würde gemeinsam eine Lösung gefunden.

Im Gespräch mit CORRECTIV bekräftigt er seine Darstellung: „Ich wollte, dass Second Hand groß wird. Ich dachte, dass ich die Textilbranche verändern kann“, sagte er. So habe er „fahrlässig und zum Teil wissentlich“ dazu beigetragen, dass Fake Vintage in den Verkauf gelangt.

Er sagt auch: „Wir haben jeden Monat 15.000 gebrauchte Kleidungsstücke verkauft. Es gibt kein Unternehmen, das einen besseren Beitrag zum Umweltschutz geleistet hat als wir.“

Vom Flohmarkt hin zum globalisierten Handel

Wie es mehrere frühere Mitarbeiter und Wegbegleiter darstellen, suchte sich Bayen die Ware in der Anfangszeit auf Flohmärkten zusammen. Als die Nachfrage wuchs, kaufte er größere Mengen in einem Sortierzentrum für Altkleider in Belgien ein.  „Das Wachstum war enorm groß, die Presse in Krefeld nannte uns ,Himmelsstürmer‘. Da gab es natürlich viel Druck, dem gerecht zu werden“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter. Er sagt auch, dass schon in den Altkleiderbeständen ein gewisser Anteil von Fake Ware enthalten war.

Später aber habe sich die Dynamik verändert; die Menge von Fakes in den Beständen erheblich zugenommen:  „Ich denke, das mit den Fakes kam daher, dass man Erfolge vorweisen musste. Wir haben viel Marketing gemacht, und zwischenzeitlich hing in den Läden nicht mehr das tolle Zeug, für das die Leute wiedergekommen wären.“

Hat Bayen versucht, sein Angebot mit toll aussehenden Plagiaten aufzuhübschen? Daniel Bayen bestreitet Vorsatz. Dem Gründer zufolge hätten die Fälschungen nur etwa ein Prozent ausgemacht. Es könne aber sein, dass „in ein paar Ballen“ mehr waren. Nach Hinweisen einer Mitarbeiterin habe er die Beschäftigte gebeten, offensichtliche Fälschungen auszusortieren. Er selbst habe mitunter auch nicht feststellen können, ob es sich um Plagiate oder um unverkaufte Lagerbestände alter Kleidung gehandelt habe.

„Es ist Fake, aber trotzdem ein Banger“

Dagegen stehen die Aussagen der früheren Mitarbeiter. Auf einige habe der Anteil der Fakes möglicherweise höher gewirkt, sagt Bayen:  „Das wird daran gelegen haben, dass diese Stücke so beliebt waren. Wir haben dann manchmal gesagt: Es ist Fake, aber trotzdem ein Banger.“ Generell habe er mitunter auch bewusst Fälschungen ins Sortiment seiner Läden genommen, da er gute, tragbare Kleidung nicht wegwerfen wollte.

Nach einiger Zeit beschloss Bayen, die Zwischenhändler in Europa zu überspringen und Nachschub direkt in Pakistan zu ordern. Denn dort befinden sich einige der größten Sortierzentren der Welt. Ehemalige Mitarbeiter erinnern sich an einen Container voller Fakes. Teilweise seien mehrere Teile gleichen Designs zusammen verpackt gewesen. „Allein in unserem Lager gab es fünf bis sechs Haufen voller Fake-Pullis – viele von Adidas und Nike“, sagt eine Ex-Mitarbeiterin aus einem Strike-Laden in Nordrhein-Westfalen.

„Die Mystery-Boxen waren die Resterampe”

Für Wirbel in den Sozialen Medien sorgte Strike auch mit den sogenannten Mystery-Boxen. Hierbei zahlten die Kunden einen Festpreis und erhielten ein Paket mit zufällig zusammengestellten Inhalt. Nach Aussage mehrerer Beschäftigter wurden die Boxen genutzt, um minderwertige Ware loszuwerden. Ein Mitarbeiter aus dem Lager in Krefeld sagt: „Da waren nur Schrottsachen drin, die nicht gut genug für das Ladengeschäft waren.“

Ein anderer Ex-Beschäftiger sagt: „Die Mystery-Boxen waren die Resterampe, da kamen die Klamotten rein, die kaputt oder dreckig waren.“ Zum Teil hätten die Käufer Boxen für rund 70 Euro bestellt und einen Gegenwert von vielleicht 25 Euro erhalten, schätzen sie.

Zumindest zeitweise, sagen die Beschäftigten, seien sie dazu angehalten worden, bewusst Fälschungen beizumischen, um einen höheren Wert vorzutäuschen. Bayen sagt dazu: „Die Vorgabe für die Boxen war lediglich, mindestens ein gutes Teil einzupacken. Wenn die Mitarbeiter dann dafür  ein Fake-Teil genommen haben, war das ihre Interpretation.“

Strike-Gründer wirft Ex-Mitarbeitern Hetze vor

Im Gespräch mit CORRECTIV beklagt Bayen eine einseitige Darstellung seiner Firma: Einige ehemalige Mitarbeiter hegten aus persönlichen Gründen einen Groll gegen ihn, wollten ihm schaden und hätten sich im Internet abgesprochen, um gemeinsam gegen ihn und seine Firma zu hetzen.

Die Mitarbeiter, mit denen CORRECTIV sprach, arbeiteten in unterschiedlichen Positionen – einige waren im Lager in Krefeld tätig, andere in den Stores. Alle wollen anonym bleiben.

Strike wird als familiäres Unternehmen beschrieben; einige der Ex-Beschäftigten schildern eine aufregende Zeit, ein junges Umfeld, coole Leute, Aufbruchsstimmung, und viele glaubten, etwas bewirken zu können. Nicht alle von ihnen äußern sich durchweg negativ: „Ich wollte dabei sein“, sagt einer, „und ich habe auch etwas zurückbekommen.“

Allerdings sagen auch mehrere Beschäftigte, dass Kritik oft nicht gut ankam. Wer sich gegen den Verkauf von Fakes aussprach, musste demnach offenbar mit Konsequenzen rechnen: „Jeder der gesagt hat: Wir können diese Ware nicht mehr verkaufen, der wurde abgemahnt oder gekündigt. Mir wurde vorgeworfen ich würde nur abranten.“  Es sei mit allen Mitteln versucht worden, Widerspruch zu unterdrücken. Bayen widerspricht den Vorwürfen: „Wegen Kritik wurde niemand abgemahnt oder gekündigt.“

Ein Haufen unverkäuflicher Restbestände für Afrika

Die Firma Strike ist seit Anfang des Jahres pleite, Bayen selbst möchte nicht mehr in der Vintagebranche arbeiten. In einigen Stores liegt nach wie vor Kleidung, auch habe er noch einen riesigen Keller in Krefeld voller Ware, sagt er. Für ihn sei sie nicht mehr zu gebrauchen. Aber es gibt Abnehmer, wenn auch nicht in Deutschland. Das Ziel steht bereits fest: Die übrige Kleidung, etwa 24.000 Stücke, wird erneut verschickt: Diesmal nach Afrika.