Dubiose Geschäfte an der Elite-Universität
Zweifelhafte Stundenabrechnungen und die Vermengung von Forschungs- und Privatinteressen: Wissenschaftliche Mitarbeitende berichten von bedenklichen Vorgängen an der RWTH Aachen. Die Universität und die Landesregierung wiegeln ab.
Schon bei der Ankunft im Assessment-Center wurde Jonas mulmig. Bisher hatte er in seiner wissenschaftlichen Karriere Elektroantriebe für Fahrzeuge weiterentwickelt. Doch die schienen seinen Testern beim Bewerbungsgespräch in Aachen nicht so wichtig, sagt er heute.
„Beim Assessment ging es nicht darum, was ich kann. Sondern, wie ich etwas an Kunden verkaufen kann“, sagt Jonas, der eigentlich anders heißt. Dabei passte seine bisherige wissenschaftliche Arbeit auf dem Papier doch perfekt zum Aachener Forschungsinstitut „Production Engineering of E-Mobility Components“, kurz PEM. Es handelt sich um eines der größten Institute der RWTH Aachen, mit einem Standort an der niederländischen Grenze. Dort hatte sich Jonas vor ein paar Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter beworben. Er wollte dabei auch seinen Doktor machen.
Die Irritation, sagt er, wurde an seinem ersten Arbeitstag größer. Die wissenschaftlichen Mitarbeitenden, Doktorandinnen und Doktoranden marschierten in feinen Anzügen durch das Institut. Die Atmosphäre dort beschreibt Jonas mit dem Begriff „Berater-Swag“: Die Menschen hingen in „Calls“ mit Kunden, sausten neuen Aufträgen hinterher, erarbeiteten „Gesamtkonzepte“ für die potenziellen Geldgeber.
Ein Oberingenieur, quasi sein direkter Vorgesetzter, habe ihn „aufgegleist“, wie man laut Jonas am PEM zu sagen pflege: Seine Dissertation habe Jonas in seiner Freizeit zu schreiben, er habe hier schließlich einen Vollzeitjob zu erledigen. „Ich dachte: Halt mal, ich bin doch über die DFG hier“, sagt Jonas. Er meint damit die Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die Doktoranden für ihre Vorhaben oft ganz oder teilweise sponsert. Laut seinem Arbeitsvertrag mit der RWTH sollte Jonas eigentlich auch Forschungsprojekte bearbeiten.
Sein Alltag sah dann allerdings ganz anders aus: Er sollte hauptsächlich Kunden anrufen, um Drittmittel-Aufträge an Land zu ziehen – im Namen einer GmbH, an der sein Professor beteiligt ist. „Das hat mich immer stark gewundert, weil ich dachte: Ich hab doch einen Vertrag mit der RWTH“, sagt Jonas.
Drittmittel, so nennt man Gelder, die von außen an eine Universität fließen, eingeworben durch Professorinnen und Professoren. An der RWTH unterscheidet man zwischen „hoheitlichen Drittmitteln“, das sind solche aus öffentlichen Fördertöpfen des Bundesforschungsministeriums oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), und „Industrie-Drittmitteln“, das sind solche von privaten Firmen und Konzernen.
Jonas habe daraufhin Präsentationen zu den Angeboten erstellen müssen. „Folien“, wie es ihm zufolge beim PEM salopp heißt. Statt fürs Institut an Elektroantrieben zu forschen, machte er laut eigener Aussage hauptsächlich Kaltakquise für ein Unternehmen, an dem sein Professor beteiligt ist. Teilweise seien Jonas und anderen Doktorandinnen und Doktoranden auch Projekte zugewiesen worden: In sogenannten „Kapa-Runden“ mit der Führungsriege beim PEM sei geprüft worden, wer noch Kapazitäten dafür hatte, zu Kunden zu fahren oder Konferenzen zu organisieren.
Intern, sagt Jonas, habe es einen Wettbewerb darum gegeben, wer auf der „Akquise-Liste“ ganz oben stand. Teils sei es um Summen bis 150.000 Euro gegangen. Bei gemeinsamen Feiern seien die Top-Geldeintreiber des Instituts dann von den anderen beklatscht worden.
Die Jagd nach Geld habe die Forschungsarbeit deutlich dominiert, sagt Jonas.
Insider berichten von bedenklichen Vorgängen an Elite-Universität RWTH Aachen
Was klingt wie die Zustände in einem Strukturvertrieb, in dem Vertreter Versicherungen verkaufen und bei Erfolg die Sektkorken knallen lassen, scheint Realität an der RWTH Aachen zu sein – einer deutschen Elite-Universität. Dort sollte es eigentlich primär um neue wissenschaftliche Erkenntnisse gehen. Es handelt sich um eine der angesehensten Hochschulen im Land und eine der größten Arbeitgeberinnen in der Region Aachen.
Deutsche Unis sollen industrienah forschen, das ist von der Regierung so gewünscht. So soll eine Kette geschaffen werden: Ergebnisse aus der Wissenschaft sollen später leicht in die Praxis wandern und umgesetzt werden können. Doch immer mehr deutet darauf hin, dass hinter den Kulissen der RWTH Aachen teils keine Trennung zwischen Forschung und Unternehmertum stattfindet.
CORRECTIV recherchiert seit Monaten zur RWTH Aachen. Kürzlich deckten wir die fragwürdige Geschäftspraktik der „Professoren-GmbHs“ an der Universität auf, durch die Professoren in ihre eigene Tasche wirtschaften können. Nach der Veröffentlichung meldeten sich Dutzende Menschen wie Jonas bei uns. Sie berichteten von ihren Erfahrungen in verschiedenen Forschungsinstituten der RWTH.
Wir sprachen seither mit mehr als 20 aktiven und ehemaligen Angestellten an verschiedenen Instituten. Darunter sind wissenschaftliche Mitarbeitende und leitende Ingenieure. Wir konnten Arbeitsverträge, Kostenaufstellungen, Rechnungen, Präsentationen, Chatverläufe und interne E-Mail-Absprachen einsehen. Sie zeichnen das Bild einer Hochschule, in der dubiose, private Firmen-Konstrukte grassieren. Für den Umsatz sollen Angestellte sorgen, die teils mit öffentlichem Geld finanziert sind.
Unsere Quellen bleiben aus Sicherheitsgründen anonym, wir stellten jedoch sicher, dass sie tiefe Einblicke in die Universitätsabläufe der RWTH hatten. Falls auch Sie an einer Universität arbeiten und Hinweise zu fragwürdigen Praktiken haben, melden Sie sich gerne: Signal
Was bislang nicht bekannt war: Sogenannte „Professoren-GmbHs“, mit denen die Professoren Industrieprojekte anbahnen oder abwickeln, sind zum Teil direkt mit den RWTH-Forschungsinstituten verwoben. Sie teilen sich die Büroflächen und greifen auf die gleiche Infrastruktur zu. Die RWTH widerspricht dieser Darstellung gegenüber CORRECTIV und behauptet: es gebe mit heutigem Stand keine Institute und GmbHs, die sich Räumlichkeiten und Infrastruktur teilen.
Aussagen ehemaliger und aktiver Angestellte deuten jedoch darauf hin, dass manche Forschungsinstitute und Firmen sogar so weit ineinander verschmelzen, dass selbst für die Mitarbeitenden selbst nicht immer zu unterscheiden ist, welche Leistung für welches Forschungsprojekt oder welchen industriellen Auftrag erbracht wurde.
Vorgänge an einigen Forschungsinstituten könnten strafrechtlich relevant werden
Rein formell sollten etwa wissenschaftliche Mitarbeitende hauptsächlich oder zur Hälfte für das jeweilige Institut an Forschungsprojekten arbeiten. Letztlich aber, so berichten es uns mehrere Mitarbeitenden, fließe ihre Arbeitsleistung hauptsächlich in private GmbHs.
Im Zentrum der Geflechte aus Forschungsinstituten und Firmen stehen Professoren. Bei ihnen laufen alle Fäden zusammen, sie bestimmen maßgeblich über die internen Vorgänge und Geldflüsse. Manche sind offenbar geradezu berüchtigt an der RWTH. Drei von ihnen heben wir in dieser Recherche exemplarisch hervor.
Da ist zum Beispiel der Star-Professor, an dessen Institut offenbar zweifelhafte Stundenabrechnungen geschrieben werden. Da ist ein zweiter, der für sein RWTH-Institut möglicherweise stark überteuerte Fluggeräte einkaufen lässt – von einer GmbH, an der er selbst beteiligt ist. Und da ist ein dritter, der bei einem gestoppten Projekt mit einem chinesischen Auftraggeber einen Millionenbetrag in den Sand gesetzt haben soll. Und der offenbar Lehrstuhl-Mitarbeitende Teile der Einrichtung in seinem Privathaus bauen ließ.
Laut einem unabhängigen Strafrechtler, der die Fälle für uns einschätzte, könnten dabei die Tatbestände für mutmaßlichen Subventionsbetrug, mögliche Interessenskonflikte, Vermögensschäden sowie Untreue erfüllt sein. Die Universität könnte laut des Experten zudem ihre Aufsichtspflicht verletzen, wenn sie entsprechenden Verdachtsfällen nicht nachgehe.
Die Landesregierung wiegelt gegenüber CORRECTIV ab: Es gebe aktuell „keinen Anlass für ein rechtsaufsichtliches Vorgehen des Ministeriums“. Die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse und Arbeitspraxis von wissenschaftlichen Mitarbeitenden, Doktorandinnen und Doktoranden sowie die Einhaltung rechtlicher Vorgaben obliege der Hochschule.
Die RWTH und ihre Professoren indes behaupten, unsere Informationen seien „inkorrekt“ oder „unwahr“. Zwischen Instituten und Unternehmen gebe es „eine klare Trennung“, Compliance-Richtlinien und Prüfverfahren würden für einen rechtlich einwandfreien Ablauf sorgen.
Demgegenüber stehen etwa ein Dutzend Aussagen von ehemaligen und aktuellen Angestellten. Zwei davon haben ihre Aussagen gegenüber CORRECTIV eidesstattlich versichert. Die drei Professoren sorgten mit ihren Handlungen dafür, dass einige ihre Forschungsinstitute offensichtlich verstört verließen. Und damit teils auch ihre wissenschaftlichen Träume zurücklassen mussten: Einige konnten wegen der vielen Arbeit für die GmbHs weder ihre Forschungsvorhaben voranbringen noch ihre Doktorarbeiten beenden.
Alle Menschen, mit denen wir sprachen, eint ein Unrechtsbewusstsein. Für sie ist die Sache klar: Einige Professoren, im Machtgefüge der Uni nahezu unantastbar, nutzen demnach an der RWTH zu ihrem finanziellen Vorteil junge Menschen aus. Ein Mitarbeiter sagt, der Umgang mit Doktorandinnen und Doktoranden an der RWTH sei ein Skandal: „Das ist Ausbeutung.“
Zweifelhafte Stundenabrechnungen beim PEM-Institut
Jonas, der für seine Dissertation teils über die DFG gefördert wurde, verließ das PEM-Institut nach kurzer Zeit wieder. Denn für seine Forschung habe er nur maximal fünf Prozent seiner Arbeitszeit aufbringen können. Den Rest der Zeit habe der Wissenschaftler städtischen Betrieben ÖPNV-Flottenumstellungen oder ähnliches anbieten sollen.
Weitere ehemalige Mitarbeitenden berichten Ähnliches: Im Fokus standen Akquise oder Beratungsleistungen, die oft nichts mit der eigentlichen Forschung zu tun gehabt hätten.
Beim Termin mit einem Kunden habe dieser verlangt, mit Jonas’ Professor, Achim Kampker, sprechen zu können. Dieser habe sich dann zugeschaltet. Jonas merkte da: Kampker ist nicht nur Professor, sondern die zentrale Figur zwischen dem PEM-Institut, den angeschlossenen Firmen und ihren Kunden.
Achim Kampker gilt in Sachen E-Mobilität als Top-Experte. Regelmäßig tritt er im Fernsehen oder in Podcasts auf. Kampker ist ein Mann mit Strahlkraft, offensichtlich bis in höchste politische Kreise vernetzt: Fotos zeigen ihn im Jahr 2011 mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die seine Arbeit lobte. Im Jahr 2018 eröffnete er für seine Firma „Streetscooter“ eine Produktionsstätte gemeinsam mit dem damaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet. In diesem Jahr empfing er den aktuellen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger zur Einweihungsfeier einer Produktionsanlage für Batteriezellen.
Die Forschung rückte bei dem Professor während seiner Karriere offensichtlich immer weiter in den Hintergrund. Er agiert auffällig viel als Unternehmer. Und die Fassade bröckelt, wenn man sich im Vertrauen mit ehemaligen Geschäftspartnern unterhält: So soll Kampker 2016 bei einem Projekt mit zehn Industriepartnern wie Siemens etwa versucht haben, Forschungsergebnisse zu einem Elektrofahrzeug in ein neues Unternehmen fließen zu lassen und diese selbstständig chinesischen Investoren gezeigt haben. Entsprechende E-Mails und die Präsentation liegen CORRECTIV vor. Kampker habe durch sein Verhalten das mit 24 Millionen Euro geförderte Projekt „kaputtgemacht“, werfen ihm ehemalige Partner vor.
Kampker beschwichtigt gegenüber CORRECTIV: Er sagt, weil nicht alle Partner mit seinem Vorschlag einverstanden gewesen seien, habe er den Vorschlag zurückgezogen. Eine Verhandlung mit Vertretenden aus China habe durch ihn nicht stattgefunden. Ihm werde die Schuld gegeben, obwohl eine andere „Einzelperson“ im Anschluss an das Projekt versucht haben soll, die Ergebnisse zu verwerten.
Auf dem Gelände eines Businessparks an der niederländischen Grenze befindet sich der Hauptsitz von Kampkers PEM-Institut. Der Professor baute sich dort eine Art Kreislauf aus mehreren miteinander verzweigten Firmen auf, an denen er direkt oder indirekt beteiligt ist. Folgt man dem Firmennetzwerk noch weiter, fallen weitere Firmen auf, an denen Leute aus dem PEM-Geflecht beteiligt sind. Die meisten dieser Firmen haben „Unternehmensberatung“ zum Geschäftszweck.
Kampker hält rund 82 Prozent an der PEM Aachen GmbH, die als Geschäftszweck „Unternehmens- und sonstige Beratungstätigkeiten“ nennt. Diese GmbH wiederum hält Anteile an mindestens fünf weiteren Unternehmen, die sich das Gebäude teilen. Darunter sind die PEM Motion GmbH, die AE Driven Solutions GmbH oder die ConAC GmbH, der das Gebäude gehört. Über mehrere Ecken streicht der Professor so indirekt quasi auch Teile der Miete vom RWTH-Institut ein, das er selbst leitet. Der „ConAC“-Geschäftsführer ist zudem an der RWTH angestellt. „Man vermietet an sich selbst“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter dazu. Kampker sagt: „Den Vertrag hat die RWTH Aachen zu marktüblichen Konditionen geschlossen. Ich war an diesem Vorgang nicht beteiligt.“
Die Firmen, an denen Kampker beteiligt ist, teilen sich im sogenannten „Smart Mobility Solution Campus“ die Räumlichkeiten und die Infrastrukturen mit denen seines RWTH-Forschungsinstituts. Laut Landesrechnungshof eigentlich ein No-Go: Gegenüber CORRECTIV teilt dieser mit, er habe zuletzt 2020 „dringenden Handlungsbedarf“ des Landes festgestellt, auf eine Änderung der bisherigen Organisations- und Zuständigkeitsstruktur der Hochschule hinzuwirken. Eine auch nur teilweise Finanzierung von Ausgaben aus öffentlichen Geldern für Räumlichkeiten oder Infrastrukturen für wirtschaftliche Projekte sei unzulässig.
Kampker selbst spricht lediglich von mehreren „unabhängigen Unternehmen und Start-Up-Betrieben“, die im gleichen Gebäudekomplex wie das PEM-Institut untergebracht seien. Und die Hochschule behauptet, Mietverträge mit GmbHs, die Räumlichkeiten und Infrastrukturen in RWTH-Instituten betroffen haben, seien in der Vergangenheit gekündigt worden: „Mit heutigem Stand gibt es keinen Fall, in dem sich Institute und GmbHs, an denen Professoren der RWTH beteiligt sind, Räumlichkeiten und Infrastruktur teilen.“
Das ist angesichts der Berichte der Mitarbeitenden fraglich. Demnach werden beim PEM in denselben Räumlichkeiten Forschungs- und Industrieprojekte bearbeitet. „Wer da sitzt und was macht, ist egal“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter.
Damit Geld in Kampkers Instituts-Firmen-Geflecht fließt, sollen viele der rund 200 wissenschaftlichen Mitarbeitenden, Doktorandinnen und Doktoranden neben ihrer Forschungsarbeit in Masse Industrie-Drittmittelaufträge an Land ziehen. Und Kunden Lösungen aus Kampkers Leistungskatalog anbieten.
Ein Insider sagt, eines der Mottos am PEM sei gewesen: Für Geld machen wir alles. Kampker sagt, es gebe „definitiv“ kein solches Motto. Er könne sich vorstellen, dass „einige Mitarbeitende hier interpretieren.“
Gegenüber CORRECTIV berichteten Jonas und mehrere weitere ehemalige Mitarbeitenden weiter, dass es am PEM-Institut „gängige Praxis“ sei, in einem Tool für Arbeitszeiterfassung falsche Angaben zu machen.
So sollen Arbeitsstunden, die wissenschaftliche Mitarbeitende für Kunden-Akquise oder Kunden-Beratungsleistungen für die privaten Unternehmen aufgebracht haben, regelmäßig öffentlich geförderten Forschungsprojekten zugeschrieben worden sein – „obwohl an diesen tatsächlich nicht gearbeitet wurde“. Die Forschungsprojekte sollen dabei inhaltlich nicht mit den Leistungen für die privaten Firmen in Zusammenhang gestanden haben. Unter den Mitarbeitenden, mit denen wir gesprochen haben, sind auch Gruppenleiter. Sie geben an, mehrfach unrichtige Stundenabrechnungen ihrer Kolleginnen und Kollegen freigegeben zu haben. Zwei ehemalige Mitarbeitende bekräftigen ihre Aussagen per Eidesstattlicher Versicherung.
„Industriemittel werden mit Forschungspersonal bearbeitet. Das war bei mir viel der Fall“, sagt etwa ein ehemaliger PEM-Mitarbeiter. Er sollte demnach Events für die privaten GmbHs planen, die Arbeitsstunden daran aber einem Forschungsprojekt zuschreiben. „Es war üblich, dass der ganze Tag oder eine ganze Woche über ein Forschungsprojekt abgerechnet wurde, ohne dass der Mitarbeiter auch nur eine Minute daran gearbeitet hat“, berichtet ein weiterer. Stattdessen habe der Mitarbeiter Präsentationen für Kunden erstellt, die er im Namen einer der GmbHs vorstellte.
Mitarbeitende sollen im internen Zeiterfassungsprogramm, „Timetool“ genannt, die gearbeiteten Stunden selbst Projekten zuordnen. Laut einem ehemaligen Mitarbeiter, der seine Aussage gegenüber CORRECTIV eidesstattlich versicherte, habe es eine „Weisung“ gegeben, dass jede Tätigkeit abgerechnet werden müsse, sodass keine „Abrechnungslücken“ entstehen. Zwar gebe es ein eigens für Akquisetätigkeiten im „Timetool“ angelegtes Abrechnungselement. Jedoch dürfe dieses nur für Dienstreisen im Rahmen von Kundenakquisen oder ähnlichen Tätigkeiten verwendet werden – der Rest, also Leistungen vor Ort im PEM, müsse laut des Mitarbeiters auf Forschungsprojekte geschrieben werden.
Konfrontiert mit den Vorgängen rund um die zweifelhafte Zeiterfassung am PEM-Institut sagt der Professor Kampker, entsprechende Aussagen seien nicht wahr: „Wir handeln ausnahmslos gemäß transparenten Prozessen, die dies verhindern und beispielsweise auch mit der internen Revision der RWTH Aachen abgestimmt sind.“
Unklar ist weiterhin, wie systematisch sich die von den ehemaligen Mitarbeitenden beschriebenen Vorgänge abspielen. In einem Bericht des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen wird jedoch schon 2020 auf ein fragwürdiges Abrechnungsverhalten im PEM-Institut hingewiesen (PDF, Punkt 19.2): Der Landesrechnungshof stellte damals unter anderem fest, dass Stunden, in denen eine spezielle Maschine lief, nicht zu dem, was abgerechnet wurde, passten.
„Im Rahmen der örtlichen Erhebungen bei der RWTH wurde (…) festgestellt, dass die geförderten Anlagen bei allen drei Projekten überwiegend von Unternehmen genutzt wurden, an denen Lehrstuhlinhaber bzw. weitere (Lehrstuhl-)Beschäftigte der RWTH als Gesellschafter beteiligt waren“, heißt es im Bericht. Und: „Die betreffenden Rechnungen für die Nutzungen der geförderten Anlagen wurden oftmals von Beschäftigten der RWTH erstellt, die den Gesellschaftern der nutzenden Unternehmen im Rahmen von deren Tätigkeit bei der RWTH unterstellt waren.“
Das zuständige Ministerium der Landesregierung hatte damals die Untersuchung durch unabhängige Wirtschaftsprüfer gefordert. Wir wollten von der Universität wissen, welche Wirtschaftsprüfung beauftragt wurde, wie das Ergebnis ausfiel und ob seither Kontrollmechanismen an Kampkers PEM-Institut installiert wurden. Ein Sprecher der Universität teilt mit, die Fehler seien durch die Kanzlei „Neumann, Schmeer & Esser“ analysiert worden. „Prozesse für vergleichbare Projekte“ seien angepasst worden. In Zukunft würden vor dem Projektstart externe Prüfer einbezogen.
Die neuerlichen Aussagen durch die Mitarbeitenden könnten abgesehen davon jedoch ein rechtliches Nachspiel haben: Wenn nämlich über sogenannte „subventionserhebliche Tatsachen“ – zu denen Arbeitszeiten und -inhalte üblicherweise gehören – unrichtige Angaben in den Fördermittelanträgen für öffentliche Forschungsgelder oder der Nachweisdokumentation gemacht werden, wäre zumindest in objektiver Hinsicht der Tatbestand des Subventionsbetrugs erfüllt.
Am Ende fehlt durch die Arbeit für die GmbHs am PEM vor allem die Zeit für Forschung, für die die wissenschaftlichen Mitarbeitenden eigentlich überwiegend da sind. Jonas und weitere ehemalige Mitarbeiter berichten beispielsweise, dass sie ihre Dissertation am PEM nicht beenden konnten. „Ich habe viel zu viel gearbeitet. Ich schaffte das nicht“, sagt einer.
Der Universitäts-Sprecher und Kampker sagen dazu, wissenschaftliche Mitarbeitende hätten zwar die Möglichkeit zur Promotion. Das aber liege im persönlichen Interesse und erfolge nicht während ihrer anderen Tätigkeiten am Institut. Die Promotionsvorhaben bei Professor Kampker würden außerdem „mit einer äußerst hohen Quote erfolgreich abgeschlossen“.
Weniger euphorisch äußern sich Jonas und weitere Insider über die wissenschaftliche Qualität aus dem PEM-Institut: Die Forschungsergebnisse und Doktorarbeiten seien teilweise so notdürftig, dass einige sich wegen ihrer Veröffentlichungen schämten. Und sogar versuchten, diese der Öffentlichkeit unzugänglich zu machen. „Es gab kaum wissenschaftlichen Output, der irgendwie Sinn macht“, sagt Jonas.
„Vergabesonderfälle“ beim Institut für Flugsystemdynamik
Auch am Institut für Flugsystemdynamik (FSD) von Professor Dieter Moormann ist die Verzahnung zwischen Forschung und einer Firma, bei der er Gesellschafter ist, sehr eng. Und auch dort ist die Frustration unter einigen Mitarbeitenden teils groß. Die Wahrheit werde dort „verbogen“, sagt einer im Gespräch mit CORRECTIV. Teams würden „hochgradig vermischt“.
Auch das FSD-Institut und die FlyXDrive GmbH teilen sich laut Mitarbeitenden – anders als die RWTH und Moormann es gegenüber CORRECTIV darstellen – die Räumlichkeiten: Die Firma nutze etwa die Werkstätten für die Integration von Fluggeräten, um sie dem Institut im selben Gebäude zu verkaufen. Mitarbeiter von Institut und GmbH säßen teils im selben Büro.
Ein Mitarbeiter beschreibt, das Institut sei aus öffentlichen Fördergeldern finanziert. Dafür reiche das Institut entsprechende Anträge für Forschungsgelder bei den Förderern ein. Bemerkenswert: „Man kann Projektanträge auch so formulieren, dass man seine eigene GmbH in die Anträge einbettet“, sagt der Insider. Der RWTH-Sprecher teilt dazu mit, dass viele Ministerien für Forschungsförderungen eine gemeinsame Antragsstellung oder enge Zusammenarbeit mit Unternehmen erwarten würden, um den Transfer in die Wirtschaft zu ermöglichen. „GmbHs, an denen Professoren beteiligt sind, sind von solchen Ausschreibungen explizit nicht ausgeschlossen“, schreibt der Sprecher. „Entscheidend ist, dass die operativen Entscheidungsträger nicht identisch sind, und darauf wird sehr genau geachtet.“
Die FlyXDrive GmbH wird geleitet von Norbert Siepenkötter und Johanna Holsten. Beide sind zu unterschiedlichen Teilen sowohl an der GmbH angestellt – und an der RWTH. Beide können auf die Infrastruktur der Universität zugreifen. Kosten habe die GmbH damit laut den Insidern kaum welche. Die FlyXDrive GmbH bezahle keine Miete und habe anders als die Firmen im PEM-Geflecht keine externen Kunden.
Moormann bestätigt gegenüber CORRECTIV, dass die FlyXDrive GmbH keine Miete bezahle. „Die FlyXDrive muss im Kontext von Forschungsprojekten wie ‘GrenzFlug+’ Räumlichkeiten der RWTH (Testlabore, Integrationsräume, Fluglabor, Besprechungsräume) für gemeinsame Forschungsaktivitäten nutzen.“ Auch andere Projektpartner wie ein Telekommunikationsanbieter hätten sich während des Projekts in den Räumlichkeiten aufgehalten, Miete hätte niemand entrichtet. Umgekehrt würde das FSD auch keine Miete bezahlen, wenn es Labore des Telekommunikationsanbieters nutze. „Das ist im Rahmen von gemeinsamen Forschungsprojekten ein typisches Prozedere“, sagt Moormann.
Bei „Grenzflug+“ handelt es sich um ein beendetes Projekt – die FlyXDrive GmbH sei laut eines Mitarbeiters aber weiterhin am Institut sesshaft und tätig. Unterlagen, die CORRECTIV vorliegen, werfen darüber hinaus Fragen bezüglich der Vergabe des Projekts an die FlyXDrive GmbH auf: Für das durch das Bundesverkehrsministerium mit rund drei Millionen Euro geförderte Forschungsvorhaben „Grenzflug+“ sollte das FSD-Institut der RWTH ein unbemanntes Fluggerät stellen und testen, das Rettungskräften in Krisengebieten assistiert.
Das Gerät, das dabei letztlich zum Einsatz kam, ist der sogenannte „Tiltwing NEO“. Dieser wurde für das Projekt nach CORRECTIV-Informationen von der FlyXDrive GmbH an die Universität verkauft; also der Firma, bei der Institutsleiter Moormann Gesellschafter ist. Geschäftsführerin Holsten rief in einem Angebot einen Preis von rund 199.000 Euro für das Fluggerät bei der RWTH ab. Weitere interne Unterlagen zeigen jedoch: Das Gerät war mitsamt aller Bauteile nur rund 46.000 Euro wert.
Der Deal wurde geradezu forciert: Der Dekan der Fakultät für Maschinenwesen, Wolfgang Schröder, schickte eine sogenannte „Ausschließlichkeitserklärung“ an die Abteilung für Einkauf. Schröder beschreibt darin, warum nur dieses eine Fluggerät der FlyXDrive GmbH für das Projekt in Frage käme.
Fraglich ist, ob durch die Vergabe des Projekts an eine Firma, an der Institutsleiter Moormann beteiligt ist, ein Interessenkonflikt vorliegt. Ein solcher kann bestehen, wenn verantwortliche Personen auf beiden Seiten tätig werden, also auf Seite der Hochschule und der GmbH. Sollten Geräte zu einem zu hohen Preis durch die Hochschule gekauft worden sein, könnte auch ein sogenannter „Vermögensschaden“ vorliegen.
Die Universität teilt mit, dass es sich um einen „Sonderfall“ handele. Der potenzielle Interessenkonflikt sei allen Beteiligten bekannt gewesen. Das Bundesverkehrsministerium habe einerseits die Beteiligung eines Unternehmens vorgeschrieben. Andererseits habe sich kein anderes Unternehmen für das Projekt gewinnen lassen, weil sich aus dem Projekt kein „unmittelbar absehbares Geschäftsmodell entwickeln“ ließ. „Eine Beteiligung der FlyXDrive war also alternativlos“, schreibt ein Sprecher. Die Ausschließlichkeitserklärung durch den Dekan sei Teil eines abgestimmten Prozesses gewesen, der bei einem „solchen Vergabesonderfall vorgeschrieben“ sei.
Moormann sagt, der angesprochene Wert für das Fluggerät habe nur die Hardware des Grundsystems abgedeckt. „Bis zum Endprodukt, welches für den Erfolg von ‘Grenzflug+’ erforderlich war, wurde das Flugsystem mit weiterer Sensorik ausgestattet und damit an seine neue Aufgabe angepasst, qualifiziert und luftrechtlich genehmigt.“
Das klingt umfangreich. Aber: „Die Integration von Sensorik bestand darin, eine Kamera in die bestehende Nase einzubauen. Das war eine bestehende Sensorik, die von einem Institutsmitarbeiter vorgenommen wurde. Damit hatte die GmbH nichts zu tun“, sagt ein Mitarbeiter. Moormann entgegnet auf erneute CORRECTIV-Anfrage, „das Flugsystem für die FlyXDrive GmbH“ sei mit mehr als nur einer eingebauten Kamera verändert worden. Es stimme nicht, dass ein Mitarbeiter der RWTH „den Einbau einer Kamera für die FlyXDrive GmbH durchgeführt hat“. Für „Grenzflug+“ sei ein zweites Flugsystem gleichen Typs zum Einsatz gekommen, das sich im Besitz der RWTH befände „und mit einer anderen Kamera ausgestattet wurde“.
Zum angeblichen „Vergabesonderfall“ äußern sich mehrere Mitarbeitende irritiert: „Dann ist es jedes Mal ein Sonderfall“, sagt einer. „Soweit ich das weiß, wurde bisher immer mit Ausschließlichkeitserklärungen die FlyXDrive in Projekte und Unteraufträge gezogen.“ Auch beim Projekt „Flutnetz“ habe die GmbH etwa ein Fluggerät an die RWTH verkauft. Ein weiterer Mitarbeiter bestätigt das. Moormann sagt dazu, Vergaben an einen Auftragnehmer gebe es nur, wenn es dafür „besondere Gründe“ gebe, die jeweils in der Ausschließlichkeitserklärung dargelegt würden und mit Fördermittelgebern abgestimmt würden. „So wurde unter anderem bei ‘GrenzFlug+’ und ‘Flutnetz’ verfahren.“ Der RWTH-Sprecher fügt hinzu: „Sonderfall bedeutet nicht, dass es ein einmaliger Fall war, sondern dass er von der Norm abweicht.“
Weiterhin steht in Frage, ob tatsächlich alle Projektbeteiligten über den potenziellen Interessenkonflikt bei „Grenzflug+“ im Bilde waren, wie von der Universität angegeben: Neben dem Telekommunikationsanbieter waren noch zwei weitere Unternehmen und die Stadt Aachen involviert.
„Unter uns wurde schon häufiger überlegt, anonyme Tipps bei der Polizei abzugeben“, sagt ein Mitarbeiter. „Die wissen alle, dass das nicht sauber ist.“
Gefälligkeiten unter Freunden?
Viel Aufmerksamkeit erhielt 2023 der Fall eines gerichtlich verurteilten RWTH-Professors. Dieser hatte Universitätsgelder für private Sportwagen und eine Villa abgezweigt, an deren Bau Lehrstuhl-Mitarbeitende beteiligt waren. Wir berichteten darüber in unserer ersten Recherche zur RWTH Aachen. Die Universität behauptete gegenüber CORRECTIV, es habe sich dabei um einen „Einzelfall“ gehandelt.
Tatsächlich deuten die Aussagen weiterer Insider aber darauf hin, dass ähnliche Vorgänge in den undurchsichtigen Geflechten aus Instituten und Firmen weiterhin vorkommen können. Wer sich an der Universität umhört, stößt beispielsweise auf Gerüchte über einen Professor an der Fakultät für Maschinenwesen. In dessen Wohnhaus sollen Lehrstuhl-Mitarbeitende im Jahr 2022 Teile der Inneneinrichtung und eine automatisierte Abklappvorrichtung für einen Fernseher eingebaut haben.
Wir konnten den Sachverhalt nicht vollumfänglich nachprüfen, haben den entsprechenden Professor allerdings dazu befragt. Dieser sagt: „Ich bin mit einem anderen Mitarbeiter am Institut befreundet, und ja, der ist ab zu bei mir zuhause, und ich bin es bei ihm. Und ja, wir helfen uns ab und zu privat.“ Die Ausklappvorrichtung für den Fernseher habe er jedoch mit seinem Sohn eingebaut.
Auch, dass Professoren mit Millionenbeträgen hantieren, gehört an der RWTH längst zur Normalität. Laut Insidern komme es dabei vor, dass sie sich bei Ausgaben teils massiv verkalkulieren. Das sei auch bei dem konkreten Professor vorgekommen, angeblich im Zusammenhang mit einem Projekt für einen chinesischen Auftraggeber. Die RWTH sagt gegenüber CORRECTIV, die Aussage beziehe sich womöglich auf ein Projekt, das mehrere Jahre zurückliege.
Weder die Uni oder der Professor teilen mit, was dabei konkret vorgefallen ist, sondern sprechen von „veränderten Rahmenbedingungen“, weshalb das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle interveniert habe. Hochschulleitung und Rechtsdezernat hätten daraufhin „die Übergabe der Leistungen an den Projektpartner“ gestoppt. Es sei um Leistungen im Wert von 950.000 Euro gegangen, die vom Auftraggeber dann nicht bezahlt wurden. Das sei ein „unvorhersehbarer und aber immer möglicher und völlig lauterer Vorgang“.
Recherchen führen zu Nervosität an der RWTH
Unsere erste Recherche zu den „Bling-Bling-Professoren aus Aachen“ führte nach CORRECTIV-Informationen zu einiger Aufregung auf den Fluren der RWTH Aachen und wurde dort breit diskutiert. Auch in den sozialen Netzwerken debattierten Teile der wissenschaftlichen Szene über die geschilderten Praktiken, so etwa auf LinkedIn oder Reddit. Einige Menschen zeigen sich geschockt. Andere schreiben, die darin beschriebenen Vorgänge seien schon lange ein offenes Geheimnis gewesen.
Wenn das so ist, stellt sich die Frage: Wie viel wusste die Universitätsleitung von der Kultur, in der Business und Cash wichtiger sind als Forschung und Lehre – und die offensichtlich auch private Geschäfte begünstigt?
Nach den Aussagen mehrerer Insider sollen sich aufgrund der Vorgänge in den Instituten in der Vergangenheit immer wieder Menschen an den Personalrat der RWTH gewandt haben, so auch nach unserer ersten Recherche. Die Frage, wie viele Meldungen durch wissenschaftliche Mitarbeitende, Doktorandinnen und Doktoranden zu den beschriebenen Sachverhalten bislang bei Ombudsstellen oder dem Personalrat eingingen und welche Konsequenzen die RWTH daraus zog, beantwortete der Sprecher der Universität nicht. „An der RWTH gibt es eine Richtlinie zur ‘Guten Wissenschaftlichen Praxis’ und eine entsprechende Kommission. Wer sich an diese Kommission, die Ombudsstellen oder auch an den Personalrat wendet, der kann sicher sein, dass das Anliegen sorgfältig und vertraulich bearbeitet wird.“
Nach außen wirkt es bislang, als sei die Universität unberührt von den teils drastischen Erfahrungsberichten durch die Mitarbeitenden. Intern steigt jedoch offensichtlich die Nervosität: Professoren sollen nach unserer ersten Recherche an ihren Instituten Krisensitzungen einberufen haben, um über mögliche Konsequenzen für ihre Institute zu sprechen.
Nach CORRECTIV-Informationen soll auch der Kanzler der Uni, Manfred Nettekoven, kurz nach der Veröffentlichung eine Aufstellung aller Firmen gefordert haben, an denen Professoren beteiligt sind, mitsamt deren Zweck. Gegenüber CORRECTIV behauptet der Universitäts-Sprecher, es habe sich dabei um einen „routinemäßigen Vorgang“ gehandelt.
Die Landesregierung stärkt der Universität bislang offiziell den Rücken. Zu den von uns in unserer ersten Veröffentlichung beschriebenen Vorgänge schrieb ein Sprecher, dass Firmenausgründungen ein „völlig normaler Vorgang“ seien. Compliance-Richtlinien der Universität seien einzuhalten. Bei Verstößen entfalte „der Rechtsstaat seine volle Wirkung“.
Zur aktuellen Recherche teilt die Landesregierung zudem mit: „Die innovativen Ausgründungen beziehungsweise Start-ups aus den Hochschulen sind von besonderer Bedeutung für die Vitalität und Wettbewerbsfähigkeit von Forschung und Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen.“ Derzeit bestehe kein Anlass für ein rechtsaufsichtliches Vorgehen des zuständigen Ministeriums.
Experte von Transparency International fordert unabhängige Untersuchungen
Christopher Bohlens, der für den Verein „Transparency International Deutschland“ die Arbeitsgruppe Wissenschaft leitet und als Sachverständiger im Wissenschaftsrat tätig ist, sieht das anders: „Die beschriebenen Fälle deuten auf eine problematische Unternehmenskultur hin, in der Regelverstöße gegen die Richtlinien für Nebentätigkeiten scheinbar geduldet oder ignoriert werden“, sagt er.
„Es scheint, dass Professoren ihre Position ausnutzen, um persönliche Vorteile zu erlangen, ohne Rücksicht auf die institutionellen und gesellschaftlichen Interessen. Dies ist besonders besorgniserregend, da Universitäten als moralische Vorbilder fungieren sollten und die Ausbildung zukünftiger Führungskräfte beeinflussen.“
Gerade die strukturelle Verflechtung zwischen universitären Instituten und privaten GmbHs, bei der Arbeitsleistung und Ressourcen nicht klar voneinander getrennt sind, sieht Bohlens kritisch. „Das Risiko, dass Professoren öffentliche Gelder, beispielsweise durch Arbeitsleistung von Mitarbeitenden, in private GmbHs lenken, ist hoch, wenn keine klaren Regelungen und Kontrollen bestehen.“ Eine fehlende Trennung von Ressourcen und Tätigkeiten verstoße gegen Prinzipien der Transparenz und Unabhängigkeit.
Die von einigen Mitarbeitenden berichtete Praxis, bei der wissenschaftliche Mitarbeitende, Doktorandinnen und Doktoranden zweifelhafte Stundenabrechnungen schreiben, um ihre Arbeit den öffentlich geförderten Projekten zuzuordnen, stelle laut Bohlens einen schwerwiegenden Vertrauensbruch dar: „Dies untergräbt die Glaubwürdigkeit des deutschen Wissenschaftssystems.“ Die PEM-Insitutsleitung dementierte solche Vorgänge zwar. Die Vorwürfe der Insider wogen laut Bohlens jedoch schwer.
„Die Universität sollte unabhängige Untersuchungen zu den Vorfällen einleiten. Gegebenenfalls müssen externe Prüfstellen wie der Landesrechnungshof oder die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden“, sagt der Experte.
Laut ihm brauche es weiterhin schärfere Compliance-Richtlinien und Sanktionen, eine Überprüfung der Vergabeprozesse und Schutz für Whistleblower. „Insgesamt zeigt die Recherche ein systemisches Problem auf, das nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch institutionell angegangen werden muss“, sagt Bohlens.
CORRECTIV hat auch bei der DFG nachgefragt, ob dort Vorgänge bekannt seien, nach denen promotionsgeförderte Doktorandinnen und Doktoranden für private GmbHs arbeiteten. Ein Sprecher antwortete, dass der Organisation solche Fälle bislang nicht bekannt gewesen seien. Hinweisen auf sogenannte „Mittelfehlverwendungen“ will sie jedoch nachgehen.
Jonas und die weiteren Mitarbeitenden, mit denen wir für diese Recherche sprachen, haben alle eines gemeinsam: Die Zeit an den Instituten der RWTH hat sie mitgenommen.
„An der RWTH ist das völlig normal mit diesen Firmen. Als Studi hat man das nicht verstanden. Das waren für uns gefühlt normale Arbeitgeber“, beschreibt ein Insider seine Erfahrung. „Das Framing war: Forschung ist chronisch unterfinanziert. Und durch die Firmen würden die Einnahmen wieder an die Uni fließen. Aber das ist natürlich nicht so.“
Ein weiterer Mitarbeitender sagt: „Das ist institutsübergreifend ein Thema, wie die Doktoranden zwischen den Instituten und GmbHs ausgetauscht werden und nicht wissen, was sie da machen.“ Wollen würde das zwar niemand, aber: „Wir müssen das machen, weil wir ja promovieren wollen.“
Text und Recherche: Till Eckert
Redaktion: Anette Dowideit
Faktencheck: Elena Kolb
Design: Niklas König
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