Schnüffeln auf Facebook
Berater bei Jobcentern nutzen soziale Netzwerke, um Arbeitslose zu kontrollieren. Das gaben Chefs von kommunalen Jobcentern bei ihrem jährlichen Branchentreffen in Berlin zu. In einigen Fällen wurden nach der Schnüffelei in sozialen Netzwerken Gelder gestrichen. Vor zwei Jahren hieß es bei der Bundesagentur für Arbeit und kommunalen Jobcentern noch: „Wir machen das nicht.“ Die Bundesagentur für Arbeit verbietet eine unkoordinierte Spionage durch Mitarbeiter.
Kommunale Jobcenter gehören Städten oder Kreisen und sind unabhängig von der Bundesagentur für Arbeit und ihren Ablegern – die Aufgaben sind aber gleich. Während bei der Bundes-Arbeitsagentur soziale Netzwerke an den Rechnern gesperrt sind, können Sachbearbeiter in kommunalen Jobcentern diese Seiten aufrufen.
Auf der Tagung in Berlin diskutierten die Chefs der kommunalen Jobcenter offen über die Schnüffelei in sozialen Medien. Der Chef eines Jobcenters sagte, Berater würden Arbeitslose auf Facebook, Twitter und Co. aus persönlicher Neugier überprüfen, ohne dass ein Vorgesetzter sie dazu aufgefordert hätte. Dadurch ergäben sich Nachteile für die Arbeitslosen: Wenn herauskommt, dass Arbeitslose schwarz arbeiten, könnten Leistungen gekürzt werden. Einige Teilnehmer der Tagung gehen davon aus, dass die Berater regelmäßig Arbeitslosen im Netz hinterher spionieren.
So hat etwa das Jobcenter in Düren nach Online-Recherchen Gelder gestrichen, nachdem bekannt wurde, dass ein Arbeitsloser zugleich als Ebay-Power-Seller tätig war. Ein Mitarbeiter des Amtes hat den Mann mit den Ergebnissen seiner unaufgeforderten Spionage konfrontiert und ihn dann vor Gericht gebracht. „Bei Missbrauch akzeptiert das Sozialgericht die Recherche in sozialen Netzwerken, obwohl die Bundesagentur für Arbeit dies verbietet“, erklärte der Leiter des Jobcenters in Düren, Karl-Josef Cranen.
Auf Nachfrage von CORRECTIV ruderte er zurück: „Der Sachverhalt hat sich doch anders dargestellt: Der späteren Rückforderung von Leistungen lag eine anonyme Anzeige zu Grunde.“
Expertin: Durchleuchten nicht gerechtfertigt
Die Sprecherin des Datenschutzbeauftragten in NRW sagte, ein standardmäßiges „Durchleuchten“ der Arbeitslosen im Internet bzw. in sozialen Netzwerken sei nicht gerechtfertigt. „Das Internet bietet als Informationsquelle nicht unbedingt zuverlässige Auskünfte über Betroffene.“ Daten sollten in erster Linie bei Arbeitslosen erfragt werden. Nur wenn es einen schweren Betrugsverdacht gäbe, wären Ausnahmen denkbar, so die Sprecherin weiter.
Sie räumte ein, dass ein Interesse an dieser Form von Recherche besteht: In den letzten Jahren hätte sich ein kommunales Jobcenter schriftlich erkundigt, wie Daten aus sozialen Medien verwenden werden können, mehrere hätten telefonisch nachgefragt.
Bundesagentur: „Soziale Netzwerke gesperrt“
Die Bundesagentur legt Wert auf die Feststellung, ihren Klienten nicht hinterher zu schnüffeln. „Soziale Netzwerke sind für unsere Mitarbeiter gesperrt. Es war auch nie möglich, diese zu nutzen. Das ist nicht unsere Geschäftspolitik“, sagt Susanne Eikemeier von der Bundesagentur für Arbeit. Der Pressestelle für Datenschutz im Bund sind hingegen „durchaus Fälle von Recherchen in sozialen Netzwerken durch Jobcenter bekannt geworden“ – und zwar in konkreten Verdachtsfällen. Dann sei die Online-Recherche angemessen, so die Datenschutzbehörde.
Für die Mitglieder eines großen Hartz-IV-Forums stellt die Recherche von Jobcenter-Beratern im Netz keine Überraschung dar. Eine Userin schreibt: „Die Konfrontation mit Wortmeldungen von mir auf anderer Plattform als hier wurde zwei Mal in Gesprächen mit Sachbearbeitern des Jobcenters mündlich vollzogen – mit dem Versuch, die Situation, die zur Rede stand, zu dementieren.“ Ein anderer Nutzer stellt fest: „Heute kann es passieren, dass einem Hartz4 gestrichen wird, weil der Sachbearbeiter im Internet angebliche Beweise für irgendwas gefunden hat.“
Ärger für Verkauf gebrauchter Hosen
Auch bei Fachanwälten für Sozialrecht ist die Problematik schnüffelnder Sachbearbeiter von Jobcentern bekannt. Mathias Klose aus Regensburg berichtet von einer Mandantin, die gebrauchte Hosen und CD’s für kleines Geld verkauft hat und dann von ihrem Berater angegangen wurde. Hier konnte man sich außergerichtlich einigen.
Entgegen des Tenors auf der Fachtagung, wollen die größten kommunalen Jobcenter auf Nachfrage von CORRECTIV von unangeordneter Social-Media-Recherche nichts wissen. In den fünf größten kommunalen Jobcentern Essen, Recklinghausen, Wuppertal, Stuttgart und Görlitz werden laut Arbeitsministerium zusammen knapp 200.000 Leistungsempfänger betreut.
Einig waren sich Essen, Recklinghausen, Wuppertal und Görlitz: Systematisch gebe es keine Auswertung sozialer Medien und anderer Seiten, wenn ein Verdacht besteht, könne man aber Daten abfragen. Über unangeordnete Spionage lägen keine Informationen vor. Das Jobcenter in Görlitz räumt ein: „Es ist jedoch möglich, dass für jedermann öffentlich zugängliche Informationen aus konkretem Anlass genutzt werden.“ Worin solche konkreten Anlässe bestehen, bleibt unklar.
Weiter willkürliche Suche
Die Chefs der kommunal getragenen Jobcenter wissen, dass ihre Berater durch diese Praxis in die Privatsphäre der Arbeitslosen eingreifen. Die Leiter der kommunalen Jobcenter und Politiker haben sich auf der Fachtagung gefragt, ob die Online-Schnüffelei in Zukunft mit System betrieben werden soll. Sie wollen klären, welche Daten abgefragt werden. Aus dem Protokoll zur Fachtagung geht hervor: Es gibt Handlungsbedarf. Schließlich stimmten die Experten ab: Alles soll bleiben, wie es ist. Damit versteckten sich die Jobcenter-Chefs vor der Realität, denn ihre Mitarbeiter werden wohl weiter willkürlich nach Daten über ihre Kunden suchen.
Falls Ihr ähnliche Erfahrungen mit Eurem Jobcenter gemacht habt, meldet Euch gerne unter benedict.wermter@correctiv.org oder über unseren verschlüsselten, anonymen Briefkasten.
Diese Geschichte ist im Rahmen der Initiative #FragAmFreitag enstanden. Jeden Freitag fragen wir bei CORRECTIV auf Basis unserer Auskunftsrechte bei Behörden Informationen oder Dokumente ab. In diesem Fall haben wir den auf der Tagung entstandenen Anfangsverdacht genutzt, um weitere Informationen von verschiedenen Jobcentern und Behörden zu besorgen. Mit Hilfe der Auskunftsrechte können Journalisten und Bürger für mehr Transparenz sorgen und Misstände aufdecken. Mehr Infos zu den Auskunftsrechten vermitteln wir in Workshops (zum Beispiel in Soltau), in unserem eBook und auf der Plattform unseres Kooperationspartners fragdenstaat.de. Mach mit und teile Deine Anfrage bei Twitter mit dem Hashtag #FragAmFreitag!