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Kopfkino und Kriminalstatistik

Die Sicherheitslage sei nicht außer Kontrolle, die Kriminalitätsstatistik verbessert, die Flüchtlinge weniger kriminell als der Durchschnitt – NRW-Innenminister Jäger sieht bei einem Heimspiel in Duisburg alles gut und hat trotzdem viel zu erklären.

von Christoph Schurian

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„Sicherheit“, sagt Ralf Jäger (SPD), der Innenminister Nordrhein-Westfalens, „Sicherheit ist ein Gefühl“: Obwohl etwa die Jugendkriminalität seit 2010 zurückgehe, der Zuzug der Flüchtlinge seit 2015 sich nicht negativ auf die Kriminalstatistik auswirke, — im Gegenteil! — sei die Angst vor Kriminalität und Übergriffen, das Gefühl der Unsicherheit stärker geworden. Und weil das mittlerweile selbst bei einer Veranstaltung der SPD nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Duisburg so ist, hat der Minister für Sicherheitsgefühle viel zu erklären.

Wer denn der Meinung sei, die Kriminalität sei in den letzten Jahren gestiegen, fragt der Duisburger MdL in die Runde. Im Saal von „Der kleine Prinz“, einem kommunalen Veranstaltungszentrum mitten in Duisburg, recken sich zögerlich zehn Finger in die Höhe; ungefähr jeder siebte der Anwesenden. Eine Vorlage für den Innenpolitiker, der ein Rezept gegen das Unbehagen gefunden haben will: Mehr Polizei. Wer Beamten sehe, fühle sich nicht mehr unsicher. Das Land bringe deshalb mit „unglaublichen Anstrengungen“, mehr Polizei auf die Straße, so Jäger. Bis zu 2.000 neue Beamte würden im Jahr eingestellt. Auch die Verluste durch die Pensionsabgänge seien mittlerweile voll aufgefangen. Jäger wirbt daher für den Polizei-Beruf, der wäre für jeden etwas mit Fachhochschulreife, Sportabzeichen oder Rettungsschwimmer und unter 35 Jahre.

Besser aufeinander achtgeben

Im Veranstaltungslokal liegt das Durchschnittsalter um einiges höher. Doch Jägers Rede gegen Angst kommt an, erstmal. Man könne ja nicht vor jedes Haus einen Streifenwagen stellen. Einbruchsserien durch professionelle internationale Banden aus Südosteuropa müsse man zusammen in den Griff kriegen. Nachbarn sollten besser aufeinander achtgeben. Hausschlüssel gehörten nicht unter Fußmatten. Die Probleme mit Kriminalität und einigen wenigen unter den Geflüchteten, die „unsere Willkommenskultur missbrauchten“, dürfe man nicht unter die Fußmatte kehren, die Schwierigkeiten nicht klein reden, aber eben auch nicht erhöhen: Es gehe um „Differenzierung“, nur damit seien die Probleme zu lösen.

Jäger teilt sich das Podium mit der SPD-Landtagsabgeordneten und Sprecherin für Stadtentwicklung Sarah Philipp und dem Leiter des Integrationsbüro der Stadt Duisburg, Marijo Terzic. Bei beiden geht es weniger um Emotionen, mehr um Bares.  „Geld, das man jetzt in die Hand nimmt“ und in die betroffenen Stadtteile investiere: 2015 seien das in NRW 200 Millionen gewesen, weiß Sarah Philipp. Die Stadtteile mit vielen Zuwanderern seien zugleich die „jungen Stadtteile“, es gebe in Duisburg  „keine Banlieues, kein Mollenbeck“, — damit das so bleibe, müsse aber vor Ort etwas getan werden, was „unmittelbar gesehen wird“, auch wenn es die „Sanierung von Schultoiletten“ sei. Von Ressourcen spricht auch Marijo Terzic, ohne Ressourcen könne Integration nicht gelingen.

Keine Medienschelte, aber …

Anders als bei Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen sei das Problem der Zuwanderer aus der östlichen EU, aus Rumänien oder Bulgarien, besonders komplex, man habe da kaum Steuerungsmöglichkeiten, es gelte Freizügigkeit. In wenigen Jahren seien ingesamt 20.000 neue Zuwanderer nach Duisburg gekommen. Für Minister Jäger ist die Stimmung im Land, die Unsicherheit auch dadurch geprägt, dass die wenigen schlechten Beispiele von misslungener Integration von dem Medien gerne aufgegriffen würden. Auch wenn er „keine Medienschelte üben wolle“, bestehe trotz der Vorfälle in der Kölner Sylvesternacht das höchste Risiko Opfer eines sexuellen Übergriffs zu werden immer noch im privaten Umfeld: „Meistens kennen die Opfer ihre Täter.“   

Sicherheit ist ein Gefühl. Die Sicherheitslage eine Kippfigur, die unterschiedlich interpretiert wird. Das zeigen die Wortbeiträge aus dem Plenum. Eine Hausbesitzerin aus Laar, die Filmemacherin Marion Kainz, beklagt den Wertverlust ihres Hauses nach heftigen Konflikten mit „Libanesen oder Araber-Clans“. Sie sei gesundheitlich und finanziell angeschlagen und in großer Sorge, dass das ganze Stadtviertel abrutsche: „Wer unterstützt eigentlich die Opfer von gescheiterter Integration?“ Jäger verweist etwas rüde an die Kommissariate, die sich mit Opferschutz befassen oder den Weißen Ring: „die Politik ist nicht für den Zustand jeder privaten Immobilie zuständig“. Auch dem Beitrag einer Mitarbeiterin der Verkehrsgesellschaft begegnet Jäger zunächst abwehrend.

Busfahrer mit Sorgen

Kerstin Schütte von den Duisburger Verkehrsgesellschaft äußerte sich „auch für meine Arbeitskollegen“. Die Fahrer von Bus und Bahnen hätten Angst in Marxloh ihrer Arbeit nachzugehen, es komme zu Übergriffen in den Bahnen. „Migrantenkinder reißen von außen die Türen auf, ziehen den Nothalt oder laufen auf den Gleisen herum, bremsen die Fahrzeuge aus“.  Die Kollegen hätten Angst. Es seien zwar mehr Polizeistreifen vor Ort, aber sobald die weg wären, sei die Lage wieder außer Kontrolle. „Wir erwarten uns hier schnelle Hilfe!“

Für IM Jäger zunächst ein Problem des Arbeitgebers: „Wir können ja nicht auch noch jede Straßenbahn von Polizeistreifen begleiten lassen!“ Die Frau vom ÖPNV solle ihm aber eine E-Mail schreiben, er wolle mit den Vorständen der Verkehrsgesellschaft sprechen. Das Publikum der Friedrich-Ebert-Stiftung hat konkretere Vorschläge: „Fahren Sie doch selbst mal mit der Linie 901!“ Kerstin Schütte hofft auf den Einsatz des Ministers, skeptisch bleibt ihr Kollege Klaus Dieter Povsic: „Geschieht ja doch nicht“, sagt er. Die Fahrer hätten richtig Angst: „Was wenn ein Kind verunglückt?“ Die Erwachsenen, die Familien der Kinder wären zugegen. Die Bahnfahrer hätten Angst „gelyncht“ zu werden. Passiert sei noch nichts, sagt Povsic, „aber das Kopfkino, das läuft!“