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Die Mär von der Personalnot

Die Milliardenschweren Fördersummen des Bundes wurden von den Kommunen in NRW kaum genutzt. Am Bedarf in der Region hat das allerdings nicht gelegen. Ganz im Gegenteil. Der Grund vielmehr: Die Städte waren mit der Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen überfordert. Zu wenig Personal in den Ämtern? Nein. Es wird einfach nur völlig falsch eingesetzt.

von Stefan Laurin

Eines der städtischen Sorgenkinder: die Steag© Kraftwerk kann auch schön sein von Matthias Velten unter Lizenz CC BY 2.0

3,5 Milliarden Euro sind eine Menge Geld. Besonders für die klammen Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte 2015 die Summe den Städten und Gemeinden in NRW bereitgestellt, damit die sie in den kommenden drei Jahren in die Sanierung kaputter Straßen, maroder Schulen und Kliniken investieren. Ein Glücksfall. Doch im Sommer diesen Jahres dann die Überraschung: Von den Milliarden wurden gerade einmal 38,8 Millionen abgerufen. Die Bundesregierung hat daraufhin den Förderzeitraum bis zum Jahr 2021 verlängert.

Woran hat es gelegen? Den Eindruck, den Städten in NRW ginge es zu gut und sie hätten das Geld vom Bund nicht nötig, will Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, erst gar nicht aufkommen zu lassen. Das stellte er in einem Interview mit dem SPD-Kommunal-Magazin Demokratische Gemeinde klar und liefert gleich eine schnelle Erklärung: „…die Investitionen lassen sich nur verwirklichen, wenn die technischen Ämter der Kommunen die Vorbereitungen und Zuarbeiten schaffen können. Genau diese Ämter waren 2015 massiv in der Flüchtlingsunterbringung involviert.“

Sicher, viele Städte hatten 2015 mit der  Flüchtlingsunterbringung eine Herkulesaufgabe zu stemmen, die sie in der Kürze der Zeit und unter enormen Druck gut bewältigt haben: Gebäude wurden angemietet und umgebaut, Containerdörfer entstanden innerhalb weniger Tage, Turnhallen wurden unbürokratisch zu Notunterkünften umfunktioniert. Gemeinsam mit vielen freiwilligen Helfern wurde Großes geleistet. Allerdings wäre es fatal, aus den zeitweiligen Problemen in den technischen Ämtern darauf zu schließen, die Städte hätten insgesamt zu wenig Personal. Etwas ganz anderes ist das Problem.

Überforderte Mitarbeiter in einigen Ämtern gibt es – Correctiv.Ruhr hatte ja über die Probleme in den Bürgerbüros der Ruhrgebietsstädte berichtet. Allerdings gibt es dem gegenüber auch Bereiche in den Stadtverwaltungen und bei den Unternehmen der Städte, in denen Arbeit entweder ein langsamer, ruhiger Fluss ist oder gleich völlig überflüssig.

Die Entwicklungsgesellschaft Bochum (EGR), eine der Tochterunternehmen der Stadt Bochum, zum Beispiel ist für die Parkhäuser Ruhrgebietsstadt zuständig. Ein Mitarbeiter hat uns erzählt, was genau passiert, wenn in so einem Parkhaus mal eine Lampe kaputt geht:

“Wir rufen dann in der Zentrale an und melden, dass eine Lampe nicht mehr funktioniert und sagen meistens, was für ein Lampentyp betroffen ist. Dann kommen zwei Kollegen raus, trinken erst einmal einen Kaffee, schauen sich die Lampe an und stellen dann fest, dass man die neue Birne oder Leuchtstoffröhre braucht, die wir bereits beschrieben haben. Dann fahren die wieder weg und kommen ein paar Stunden oder Tage später wieder. Meistens haben sie dann die falsche Birne oder Leuchtstoffröhre dabei, trinken wieder eine  Kaffee und kommen dann irgendwann wieder und bringen alles in Ordnung.“

Die EGR ist nur eines von vielen Beispielen für einen unsinnigen Personaleinsatz der Städte: Dortmund leistet sich mit der Dortmund-Agentur eine eigene Werbeagentur, anstatt Aufträge auszuschreiben und so vielleicht nicht nur bessere Leistungen für weniger Geld zu bekommen sondern auch die darbende Kreativwirtschaft in der Stadt zu unterstützen.

Die Stadt Essen besitzt mit der BFZ-Essen nicht nur ein eigenes Weiterbildungsinstitut, das auf dem Bildungsmarkt im Wettbewerb mit privaten Unternehmen steht, sondern mit der BFZ-Tochter PerTransfer Essen  auch noch eine Personalberatung.

Man könnte immer noch behaupten, es fehle an Mitarbeitern, doch personell sind die Städte im Ruhrgebiet trotz ihrer finanziellen Probleme im bundesweiten Vergleich nicht schlechter aufgestellt als andere Kommunen – wie eine Recherche von Correctiv.Ruhr belegt:

Verwaltungsmitarbeiter pro Einwohner

Verwaltungsmitarbeiter pro Einwohner.png

Allerdings konzentrieren sie sich weniger auf ihre Kernaufgaben, was zum Teil in bedenklichen Selbstbildern der Ruhrgebietsstädte deutlich wird. Man versteht sich als „Konzern Stadt“, ist an international tätigen Energieunternehmen wie RWE oder Steag beteiligt. Doch: Jedes eingegangene Wagnis fordert auch einen Preis ein. So nagten in den vergangenen Jahren Wertberichtigungen der RWE-Aktien am städtischen Eigenkapital. Seitdem auch die Steag keine Dividende mehr zahlen kann, müssen die Städte und ihre Töchter die Kredite für den Kauf zahlen. Was ihre finanzielle Lage weiter verschärft: Man erwarb die Steag ohne jedes Eigenkapital.

Im vergangenen Jahr hat CORRECTIV für die Recherche zur „Filzdecke Ruhr“ alle Volkseigenen Betriebe der Region in einem Atlas zusammengefasst und der Frage nachgespührt, in welchen Bereichen und bei wie vielen Unternehmen sich die Kommunen des Reviers engagieren: Es sind über 1000 Unternehmen, die den Städten ganz oder teilweise gehören.

Eine Aufgabenkritik wird seit Jahrzehnten gefordert: Im NRW-Wahlkampf 2010 war es der damaligen Ministerpräsidenten Peer Steinbrück, der ankündigte, die Städte von Aufgaben zu entlasten. Er verlor die Wahl. Sein Nachfolger, Jürgen Rüttgers (CDU), zügelte die wirtschaftlichen Aktivitäten der Städte. Sie sollten sich auf die Daseinsvorsorge beschränken und nicht mit privaten Unternehmen in Konkurrenz treten.

Eine der ersten Maßnahmen der rot-grünen Landesregierung unter Hannelore Kraft war es dann, die Beschränkungen wieder zurückzunehmen und bewusst den Städten die Möglichkeit zu eröffnen, sich auch international wirtschaftlich zu betätigen. In der Begründung des „Gesetzes zur Revitalisierung des Gemeindewirtschaftsrechts“ steht konkret:

“Daher müssen die Fesseln, die der Kommunalwirtschaft angelegt wurden, durch die hier vorgelegte Fassung des Kommunalwirtschaftsrechts wieder gelöst werden. Neben der Wiederherstellung der alten Rechtslage wird die überregionale Wettbewerbsmöglichkeit der kommunalen Energieversorger gesichert. Zudem sollen den Kommunen Gestaltungsspielräume eröffnet werden, die eine effiziente Aufgabenerledigung und eine bessere interkommunale Zusammenarbeit erleichtern.“

Es kann also nicht sein, dass den Flüchtlingen allein die Verantwortung zugeschoben wird, durch ihre Anwesenheit die Städte blockiert zu haben. Sie haben lediglich aufgezeigt, wie stark sich die Städte selbst bei ihren Aufgaben verzettelt haben.

Zeit für die schon lange geforderte Aufgabenkritik.