Filzdecke Ruhr

Im Alleingang

Fred Toplak ist Unternehmer, ein Selfmade-Mann, Marathonläufer und jetzt an der Spitze im Hertener Rathaus. Als parteiloser Politiker nach 60 Jahren SPD-Bürgermeistern. Er geht vieles anders an als die Sozialdemokraten, obwohl er von seiner Geschichte als Arbeiterkind im Ruhrgebiet eigentlich in ihre Reihen passen sollte . „Ich habe ein anderes Sozialverständnis“, sagt Toplak selbstbewusst. Selbst eine schwere Krebsdiagnose nach Amtsantritt konnte ihn nicht bremsen.

von Christoph Schurian

© correctiv.ruhr (Christoph Schurian)

Vor seiner ersten Stadtratssitzung erfuhr der neue Bürgermeister von Herten, dass er Krebs hat: „Ich brauch noch drei Tage, habe ich dem Arzt gesagt, einen für die Familie, einen für die Firma und einen für die Stadt.“ Die Stadtratssitzung dauerte bis 22 Uhr, dann ging Fred Toplak in die Klinik. Ließ sich das bösartige Geschwür im Hals entfernen. Und versuchte schnell wieder gesund zu werden.  

Im Sommer gewann Toplak die Stichwahl, turmhoch. 66 Prozent entfielen auf ihn. 34 auf den SPD-Kandidaten. Toplak trat als Unternehmer an, nicht als Politiker. Er hat in Herten eine Firma aufgebaut für Werbetechnik, seine 15 Mitarbeiter trommelte er schon im Dezember 2015 zusammen: „Bei einer Pizza habe ich erzählt, dass ich im Sommer Bürgermeister bin und die Firma deshalb nicht mehr leiten werde.“ Genauso bei der ersten öffentlichen Kandidatenrunde im Hertener Glashaus. Toplak durfte sich als letzter vorstellen und tat das gleich mal als kommender Bürgermeister, der die Stichwahl mit absoluter Mehrheit gewinnen wird: „Die von der SPD, die sind vor Schreck nach hinten umgekippt“, erinnert sich Toplak. Bis heute hätten sich die Sozialdemokraten nicht davon erholt.

Seine Firma ist jetzt Herten

Der Bürgermeister sitzt im Rathaus in Zimmer 102, gleich an dem geschwungenen Treppenaufgang in dem rot geziegelten Rathaus aus den 1950er Jahren. Die Tür steht offen, die Sekretärin verabschiedet sich gerade, ermahnt den Vorgesetzten, bitte nicht wieder so lange zu machen. Es sind 12-Stunden-Tage, manchmal 16, 18 Stunden, sieben Tage die Woche. Morgens geht es um eine überlastete Mitarbeiterin im Migrationsamt, dann liegt ein Versicherungsfall auf den Tisch, ein Gespräch über Leasingverträge für den Fahrzeugpark, dazwischen Bürgeranfragen zu verlaubten Friedhöfen, selten gemähten Wiesen, spontane Bürgerbesuche. Selbst auf jedem Knöllchen steht ‘Der Bürgermeister’. „Mir geht es ähnlich wie dem Weihnachtsmann“, meint Toplak, nur dass der immerhin ein ganzes Jahr lang Zeit habe, um alle Kinder zu beschenken. „Aber mir gefällt das, ist genau mein Ding!“

Toplak ist der erste Parteilose auf dem Bürgermeisterstuhl. Und er will einen neuen Stil prägen: Wenn die SPD davon rede, was die Bürger wollen, dann habe er sich immer gefragt, wen die meinen? „Mir erzählen die Leute auf der Straße etwas ganz anderes.“ Die Leute sprechen ihn nicht nur auf der Straße an, auch im Internet. Fred Toplak ist bei Facebook und nur sehr selten „off“. Vier Stunden am Tag, manchmal bis tief in die Nacht beantwortet er Anfragen, kommentiert, beteiligt sich an Debatten. An manchen Tagen erreichen ihn 30 persönliche Nachrichten, Bürgersorgen. „Die finden es gut, dass ich immer antworte, auch wenn ich mal schreibe: ich habe keine Zeit.“ Toplak ist immer im Dienst, wie ein Unternehmer. Nur seine Firma ist jetzt Herten. Seine Kunden Bürger. Und die können schwierig sein.

Keine Aber-Sätze

Frau Schnitzler kennt in der Hertener Stadtpolitik so ziemlich jeder. 30 Jahre lange standen drei Poller vor ihrem Haus, damit sie leichter auf ihren Hof fahren konnte. Als die Poller entfernt wurden, hat sich Frau Schnitzler eingemischt, bei Ratssitzungen wurde sie laut, sie hat sich an die Presse gewandt. Frau Schnitzler war richtig sauer. Bis der neue Bürgermeister Frau Schnitzler besucht hat – mit Klartext und „keinen Aber-Sätzen“. Dass die Poller baurechtlich nicht mehr erlaubt sind, weil die sonst auf jedem Bürgersteig stehen würden. Und das er „jetzt nichts mehr darüber hören möchte, nie mehr!“ Frau Schnitzler hatte Kaffee und Kuchen für Toplak und am Ende ein Geschenk vom Dachboden. Das Hirschgeweih hängt jetzt über der Tür zum Besprechungsraum. Neben einer überdimensionalen Grafik, einer staunenden Blondine aus einem US-Comic.

Toplak mag Hirsche, Comics und den besonderen Auftritt. Zuletzt beim Volkslauf. Auf seinem schwarzen T-Shirt war ein Geweih zu sehen, sein Wappentier, dazu der Spontispruch: „Sei immer du selbst. Außer du kannst Batman sein. Dann sei Batman.“ Der Bürgermeister trug schwarze Leggins, schwarze Turnhose und quietschblaue Laufschuhe. Bei Facebook hat er ein Foto von sich und seinem Sohn gepostet. Toplak sieht nicht aus wie Batman, sondern wie ein sehr dünner Mann in Trainingsklamotten. Am Ende brauchte er für die siebenhalb Kilometer 53 Minuten. Für einen Mann ohne Kehldeckel ist das beachtlich.

Der erste Volkslauf

Toplak dachte zunächst an eine Mandelentzündung, dann wurde der Tumor gefunden, der auf den Rachenraum ausstrahlte. In der ersten Operation wurde alles ausgeräumt, Mandeln, die Klappe für Luft und Speiseröhre, die Nervenstränge, alles weg. Heute hat Toplak chronische Zahnschmerzen, seine Geschmacksnerven spielen verrückt, das meiste schmecke „nach Scheiße“, wie er sagt, er muss sich zum Essen zwingen. Irgendwann wog er 49 Kilogramm, 30 weniger als vor dem Krebs. Die Klappe wurde nachgebildet aus Eigengewebe, doch sein Körper stieß die Konstruktion ab. Jetzt muss es ohne den Kehldeckel gehen, das heißt, absolute Konzentration. Entweder atmen oder schlucken. Sprechen strengt an, die Sätze muss er oft herauspressen. „Ich bin aber mental ziemlich stark“ sagt er. Er meint wohl, er kann sich quälen.

Drei Jahre vor dem Wahlkampf begann Toplak auch schon mit etwas Neuem, mit Wettkämpfen. Bei einem Fahrradunfall hatte er sich die Schulter gebrochen und musste das Fallschirmspringen aufgeben. Er suchte einen neuen Kick. Meldete sich für den Bertlicher Volkslauf an. „Nach den 7,5 Kilometern war ich platt, Seitenstechen, einige Passagen musste ich gehen – aber mir hat es gefallen.“ Drei Monate später lief er mit Freunden und fast ohne Training den Vivawest-Marathon in vier Stunden. Die Freunde wunderten sich über den untrainierten Laufkollegen. Nach der Hälfte sei es eine mentale Sache gewesen, „und darin bin ich ja ziemlich gut.“

Zeche oder Tankwart

Toplak war in der Spur, lief 50 Kilometer, 100, morgens einen Marathon vor der Arbeit, 250 Kilometer am Mont-Blanc-Massiv mit 10.000 Höhenmetern. Er stellte fest, er ist ein begabter Läufer, auch wenn er erst mit 54 Jahren angefangen hat. Davor eine typische Ruhrgebietsjugend. Der Großvater kam aus Slowenien nach Westerholt in den Bergbau. Fünf Kinder, Bergbau, sein ältester Bruder, Bergbau. Leben im Zechenhaus mit vier Familien, Gemüse und Kaninchen im Garten, die Kinder tobten auf der Straße. „Und nach der Hauptschule sagt dir das Arbeitsamt, was du wirst: Zeche oder Tankwart. Ich hatte darauf keine Böcke, bin noch zwei Jahre zur Schule gegangen.“

Von seiner Kindheit hat er auch der SPD-Ratsfraktion beim Antrittsbesuch erzählt. Eine habe gerufen, „dann bist du ja einer von uns!“ –  „Nein, habe ich gesagt, Eure Geschichten laufen anders.“ Die seien bei den Falken, dann in der Partei, Gewerkschaft, Ratssitz. Er sei ein Schlüsselkind gewesen, das lernen musste, sich um sich selbst zu kümmern: „Und das hat mich geprägt, Qualifikation und Leistung, jeder muss sich zuerst um sich selbst kümmern. Ich habe ein ganz anderes Sozialverständnis als die Sozialdemokraten.“ 

Der Trump von Herten?

Ein Selfmade-Mann an der Rathausspitze, ein Unternehmer in der Politik – der Vergleich mit Donald Trump, dem gewählten Präsidenten der USA liegt nah. Toplak hat nichts dagegen. Wie Trump sei er ein politischer Einzelgänger, ein Mann aus der Wirtschaft, der gewählt wurde, weil die Dinge mies laufen: „Man ruft doch auch kein Unternehmen an, wenn alles klappt!“ Die Wähler von Trump, auch die AfD-Wähler, die könne man nicht als „Protestwähler“ titulieren. So würden das nur die etablierten Parteien sehen, in der Hoffnung, die Menschen zurückzugewinnen. In Herten habe die SPD bis heute nicht gemerkt, wie weit sie von den Wählern entfernt sei: „Ich weiß nicht, woran das liegt, vielleicht Selbstüberschätzung, fehlender Realititätssinn …?“ Aber menschlich sei der Milliardär aus New York natürlich „ein A…loch“.

Hertens Maverick zog mit kernigen Slogans wie „Stop den Filz“ in den Wahlkampf. Doch wie soll das gehen, er allein, die SPD hält die Mehrheit im Rat, das langjährige Personal im Rathaus? „ Ich kannte das aus eigenem Erleben, wenn du den und den nicht kanntest aus der Stadtpolitik, dann konntest du Aufträge vergessen.“ Und jetzt: „Manche Dinge laufen nicht mehr, einfach weil ich hier sitze.“ Er erwarte Loyalität und Leistungsbereitschaft, er habe im Rathaus viele Mitarbeiter kennengelernt, die mit hohen Ansprüchen und unter hoher Belastung arbeiten etwa im Migrationsamt oder dem Jobcenter. „Vor denen ziehe ich den Hut, aber es gibt natürlich auch die anderen.“

In drei Jahren wird Fred Toplak Bilanz ziehen. Natürlich „ganz allein“. Ganz allein wird er überlegen, ob er zufrieden ist mit seiner Arbeit oder ob „ich nur gegen Windmühlen angekämpft habe“. Vor allem das schlechte Image der Stadt will er verbessern. Immerhin würden die Gewerbesteuereinnahmen in Herten seit seinem Amtsantritt im Sommer steigen: „Die Kollegen wollen wohl vermeiden, dass sie von mir einen bösen Anruf bekommen!“ Dann verabschiedet sich Toplak, die Stimme angeschlagen – es ist noch viel zu tun.