CORRECTIV.Ruhr

Proteste gegen WDR-Dreh mit AfD-Mann Pretzell

Der Westdeutsche Rundfunk wollte gestern Junge Europäische Föderalisten mit AfD-Spitzenkandidat Marcus Pretzell an einem symbolträchtigen Bochumer Ort diskutieren lassen. Gegendemonstranten verhinderten den Dreh. Wir dokumentieren die unterschiedlichen Meinungen zum Umgang mit der AfD im Wortlaut.

von Jonas Mueller-Töwe

© Screenshot Correctiv.Ruhr

Drehort des WDR-Beitrags sollte am Mittwoch der Platz des europäischen Versprechens sein, direkt vor der Bochumer Christuskirche. Auf dem Boden des öffentlichen Platzes sind als Kunstwerk Namen von Menschen eingearbeitet, die sich der europäischen Idee verpflichtet fühlen. Einige Dutzend Demonstranten protestierten lautstark. Dabei kam es auch zu Drängeleien zwischen Dreh-Team und Journalisten, die den Protest dokumentierten. Pfarrer Thomas Wessel schloss sich dem Protest an (Im Video zu sehen mit beigefarbenem Mantel).

Hier Wessels Stellungnahme: „Dass der WDR diesen Platz, an dem über 14.000 Menschen ein Versprechen für Europa abgegeben haben, als Kulisse für einen AfD-Politiker wie Marcus Pretzell nutzt, finde ich geschmacklos. Pretzell auf den Platten mit den Namen dieser Menschen zu platzieren, heißt nichts anderes als dieses Werk zu entwürdigen. Wir werden nachher diesen Platz reinigen.“

Auch der WDR hat am Donnerstag die Correctiv.Ruhr-Fragen vom Vorabend beantwortet: „Das war gestern ein Dreh für die Aktuelle Stunde. In dem Format bringen die Kollegen Spitzenkandidaten der im Landtag vertretenen Parteien und der Parteien mit guten Chancen auf einen Einzug mit Menschen zusammen, die ihnen politisch eher fern stehen. Die AKS-Redaktion organisiert also Dialog und beobachtet diesen Dialog dann für ihre Sendungen. Bedenken gegen ein Gespräch mit Herrn Pretzell hatte die Redaktion nicht. Die zugrunde liegende Überlegung wurde bereits angedeutet: Er ist Spitzenkandidat einer Partei mit Chancen auf Landtagsmandate.“

Umzug vor das Bergbaumuseum

Auf weitere Nachfragen wollte der WDR die Proteste nicht bewerten: „Richtig ist, dass Antifa-Demonstranten versucht haben, den Dreh zu stören bzw. die Kameras mit Plakaten zu verdecken. Das WDR-Team hat die Beteiligten gebeten, die Arbeit nicht zu behindern, und darauf aufmerksam gemacht, dass im Zweifel nicht verhindert werden könne, dass einzelne Demonstranten im Bild auftauchen, wenn sie den Dreh durch ihre direkte Präsenz behindern.“ Das Team habe nach dem Abbruch auf dem Platz des europäischen Versprechens vor dem Bergbaumuseum Bochum weitergedreht.

Die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF), die im Rahmen der Sendung mit Marcus Pretzell diskutieren wollten, beantworteten am Donnerstag ebenfalls unsere Fragen. NRW-Vorstandsvorsitzender Markus Thürmann schrieb:

Welche Beweggründe hattet Ihr, an der Diskussion teilzunehmen? Wie kam Eure Beteiligung zustande?

 „Der WDR ist über eine Veranstaltung mit Beteiligung der Jungen Europäischen Förderalisten (JEF) in Essen auf uns als pro-europäischer Verband aufmerksam geworden und hat und dann gefragt, ob wir Interesse hätten, uns unserem politischen Gegner zu stellen. Man hatte uns das Format so erklärt, dass Herr Pretzell – so wie alle anderen Spitzenpolitiker und Spitzenpolitikerinnen aus NRW auch – nicht weiß, mit wem er sich trifft, wo wir uns treffen und worüber wir reden werden. Das alles konnten wir frei entscheiden.

Auch wenn wir Vertreterinnen und Vertreter der Alternativ für Deutschland (AfD) oder der Jungen Alternativen (JA) nicht zu unseren eigenen Veranstaltungen einladen, sehen wir eine große Gefahr darin, sich der AfD nicht zu stellen, wenn wir von Dritten – in diesem Fall der WDR – die Möglichkeit dazu bekommen.“

Wie positioniert Ihr Euch zur AfD?

Wir lehnen die Positionen und Meinungen der AfD entschieden ab. Das gilt nicht nur für die Europapolitik – unserem Spezialgebiet – sondern auch für die Einstellungen, was z.B. Religion, Gleichberechtigung, Weltoffenheit oder Toleranz betrifft. Gerade aber in der Europapolitik, wo vieles zugegebenermaßen aktuell nicht optimal läuft, tritt die AfD die Flucht zurück in den Nationalstaat an, zurück in eine Zeit, von der viele von uns gedacht haben, dass sie lange vorbei ist, während wir als JEF versuchen progressiv nach vorne zu gehen, um Europa demokratischer und besser zu machen. Eine Mitgliedschaft in der AfD oder der JA und der JEF sind ausgeschlossen. Ausführlich kann man die Positionen noch in unserem Beschluss zur AfD von Anfang März 2017 nachlesen.“

Fandet Ihr den Platz für den Dreh geeignet? 

„Den Ort für den Dreh hatten wir vorgeschlagen. Wir wollten einen Ort wählen, der einen Bezug zu Europa hat. Das Ziel war, Herrn Pretzell mit der Tatsache zu konfrontieren, dass es viele Menschen gibt, die ein Versprechen für Europa abgegeben haben und die nicht den Nationalstaat als finale Lösung sehen. Gleichzeitig wollten wir den Platz in den Vordergrund rücken, weil wir finden, dass es wichtig ist, sich für ein vereintes Europa einzusetzen.“

Wie bewertet Ihr die Proteste gegen den Dreh? 

„Was uns – und wir vermuten auch den protestierenden Aktivistinnen und Aktivisten – klar war, war immer, dass wir schlussendlich alle wollen, dass die Positionen der AfD nicht zur Politik in Deutschland und Europa werden. Um das zu erreichen, haben wir unterschiedliche Mittel. Während sich unsere Mittel – nämlich der Dialog und die argumentative Konfrontation – eher an die Leute richtet, die argumentativ zu überzeugen sind, richteten sich die Mittel der Aktivistinnen und Aktivisten vor allem an die emotionale Ebene. Beide Mittel – Diskussion und Demonstration – sind gut und in einer Demokratie erwünscht, weil unterschiedliche Menschen erreicht werden. Beides gleichzeitig ist aber problematisch, weil dann beide Elemente nicht vernünftig transportiert werden können.“

Müsste sich aus Eurer Sicht etwas an der bisherigen Berichterstattung zur AfD ändern? 

„Bei der Landtagswahl 2016 in Baden-Württemberg hat der SWR die AfD nicht zur „Elefantenrunde“ eingeladen. Das Mediale Echo war danach so groß, dass es der AfD leicht gefallen ist, sich in der Position eines Opfers aufspielen zu können, eines Opfers, welches von „den Medien“ und von „den etablierten Parteien“ diskriminiert wird. Die AfD ist vieles aber ein Opfer mit Sicherheit nicht. Wir sind der Ansicht, dass man die AfD weder medial ausgrenzen noch überproportional aufbauen darf. Wir müssen konfrontativ versuchen systematisch ihre Argumente auseinander zu nehmen. Es ist unrealistisch, dass wir die Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker überzeugen können. Das war auch nie unser Ziel. Diese sind häufig zu ideologisch, um ihre grundlegende Meinung zu ändern. Uns geht es vor allem um die Menschen, die mit der AfD sympathisieren, sich aber noch kein genaues Bild gemacht haben und denen wir mit unserer Argumentation darlegen wollten, was das für alle Menschen in Europa und darüber hinaus bedeutet, wenn die AfD eine tragende Rolle in der Politik bekäme.“