Faktencheck

45 Jahre gearbeitet und trotzdem nur 795 Euro Rente – das trifft nicht auf die Hälfte aller Deutschen zu

Trotz 45 Beitragsjahren bleibe im Alter für die Hälfte aller Deutschen nur eine Rente auf „Grundsicherungsniveau“ übrig – so lautet die Behauptung in einem Facebook-Beitrag von Anfang Februar. Die Berechnungen darin treffen teilweise zu, aber nur auf ein Drittel aller Beschäftigten.

von Lea Weinmann

Eine mutmaßlich ältere Frau mit Rollator
Rente nur auf Grundsicherungsniveau trotz 45 Beitragsjahren? CORRECTIV ist der Behauptung in einem Facebook-Beitrag nachgegangen. (Symbolfoto: cocoparisienne / Pixabay)
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Teilweise falsch
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Teilweise falsch. Die Angaben zum Verdienst der Deutschen stimmen nicht ganz. Die darauf basierende Rentenprognose ist ungenau und trifft aktuell auf ein Drittel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland zu.

In einer Bildmontage auf Facebook wird behauptet, „jeder zweite Deutsche“ verdiene „weniger als 2.500 Euro brutto“. Mit diesem Gehalt erhalte man eine „Rente in Höhe des Grundsicherungsniveaus (795 Euro)“ – selbst wenn man 45 Jahre einzahle.

Die Facebook-Seite „Der Wächter“ hatte die Collage am 3. Februar veröffentlicht. Bisher wurde sie laut Facebook mehr als 4.100 Mal geteilt. Nach Recherchen von CORRECTIV sind die aufgestellten Berechnungen zwar nicht ganz korrekt, die Grundaussage ist aber richtig.

Jeder zweite Deutsche verdient weniger als 2.701 Euro brutto im Monat

In der Fotocollage auf Facebook werden Behauptungen zur Rente aufgestellt. (Screenshot: CORRECTIV)

Gemäß der aktuellsten Entgeltstatistik der Bundesagentur für Arbeit verdienten im Jahr 2018 nur 45,3 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten maximal 2.500 Euro brutto monatlich. Etwa die Hälfte der Beschäftigten (50,2 Prozent) hatte demnach einen Bruttoverdienst von weniger als 2.701 Euro.

Die Behauptung, jeder zweite Deutsche verdiene weniger als 2.500 Euro brutto ist demnach – bezogen auf sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Jahr 2018 – nicht richtig.

Die Entgeltstatistik der Arbeitsagentur zeigt: 45,3 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verdiente im Jahr 2018 weniger als 2.500 Euro brutto im Monat. (Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Screenshot: CORRECTIV)

Das Grundsicherungsniveau schwankt

Der Beitrag nennt anschließend ein „Grundsicherungsniveau“ von 795 Euro. Doch stimmt das auch? 

Wie hoch die Grundsicherung im Alter ist, hängt nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung (DRV) vom jeweiligen Einkommen und Vermögen (unter: „Wie wird die Grundsicherung berechnet?“) ab: Der Bedarf basiert auf sogenannten Regelbedarfsstufen und Zulagen, die individuell berechnet werden. Laut Statistischem Bundesamt lag er im vierten Quartal 2018 bei durchschnittlich 792 Euro und im dritten Quartal 2019 – das sind die aktuellsten Zahlen – bei durchschnittlich 808 Euro brutto monatlich.

Der durchschnittliche monatliche Bruttobedarf in der Grundsicherung im Alter lag nach Angaben des Statischen Bundesamts im dritten Quartal 2019 bei durchschnittlich 808 Euro. (Quelle: Statistisches Bundesamt, Screenshot: CORRECTIV)

Wer 2.500 Euro verdient, erhält 979 Euro Rente

Die Altersrente wird anhand von „Entgeltpunkten“ für jedes Beitragsjahr ermittelt, erklärt DRV-Sprecherin Gundula Sennewald auf Anfrage von CORRECTIV per E-Mail: „Versicherte, deren Verdienst genau in Höhe des Durchschnittsverdienstes liegt, erhalten einen Entgeltpunkt“, schreibt Sennewald.

Zur Berechnung der Rente werden alle Entgeltpunkte pro Kalenderjahr addiert und dann mit unterschiedlichen Faktoren multipliziert. Diese sind laut DRV:

  • der Rentenartfaktor (Faktor 1 bei Altersrenten)
  • der Zugangsfaktor (Faktor 1 bei regulärem Rentenbeginn)
  • und der Rentenwert (aktuell 33,05 Euro in den alten Bundesländern und 31,89 Euro in den neuen Bundesländern).
CORRECTIV hat die DRV gebeten, die Zahlen im Facebook-Beitrag nachzurechnen. Sprecherin Gundula Sennewald berechnet in einer E-Mail eine Nettorente von „rund 979 Euro“. (Screenshot: CORRECTIV)

Daraus berechnet die DRV für den im Facebook-Bild genannten Verdienst von 2.500 Euro eine Bruttorente von rund 1.100 Euro. Abzüglich des Anteils für die Kranken- und Pflegeversicherung bleibe (in den alten Bundesländern) eine Nettorente von rund 979 Euro übrig. Steuern fallen bei dieser Rentenhöhe nicht an, wie der Lohnsteuerhilfeverein gegenüber CORRECTIV per E-Mail mitteilte.

Im Umkehrschluss hieße das, schreibt Sennewald weiter: „Um nach 45 Arbeitsjahren eine Nettorente in Höhe von 795 Euro zu erwerben, müsste aus heutiger Sicht der Bruttoverdienst bei rund 2.000 Euro monatlich liegen.“

Laut Lohnsteuerhilfeverein fallen bei einer Rente von 979 Euro netto keine Steuern an. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Berechnung stimmt für ein Drittel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten

Ein zweiter Blick in die Entgeltstatistik zeigt: Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die im Jahr 2018 maximal 2.000 Euro brutto verdienten, liegt bei 32 Prozent. Aus heutiger Sicht würde also fast ein Drittel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach 45 Beitragsjahren eine Nettorente von 795 Euro oder weniger erhalten.

Nach Angaben der Rentenversicherung (Rentenversicherung in Zeitreihen, Seiten 118 und 119) betrug die durchschnittliche Altersrente für „besonders langjährig Versicherte“ – also Menschen, die mindestens 45 Jahre in die Rente eingezahlt haben – im Jahr 2018 1.429 Euro netto für Männer und 1.096 Euro netto für Frauen (beide Beträge vor Abzug von Steuern).

Rente allein reicht nicht aus

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bestätigt die Berechnungen der Rentenversicherung per E-Mail und fügt hinzu: „Bei der Betrachtung dieser Werte ist zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Rentenversicherung zwar die Hauptsäule, aber nicht die alleinige Basis der Alterssicherung in Deutschland ist. Um den Lebensstandard auch im Alter angemessen aufrechtzuerhalten, ist eine ergänzende Absicherung notwendig.“

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kommt bei seiner Berechnung zum gleichen Ergebnis: Es bleibt eine Nettorente von „gut 980 Euro“. (Screenshot: CORRECTIV)

Um die gesetzliche Rentenversicherung zu stärken, plane das Ministerium, eine Grundrente einzuführen, schreibt ein Sprecher des Ministeriums weiter. Das Arbeitsministerium hat dazu einen Gesetzentwurf erarbeitet. Darin heißt es, die Grundrente sei „als Rentenzuschlag konzipiert und soll von einer nachzuweisenden Bedürftigkeit wie in den Fürsorgesystemen unabhängig sein“. Das Bundeskabinett will den Entwurf am 19. Februar 2020 diskutieren.

Update, 20. Februar 2020: Am 19. Februar hat das Bundeskabinett die Einführung einer Grundrente beschlossen. Dadurch erhalten Beitragszahler, auf die unser Beispiel zutrifft, unter Umständen mehr Rente, als in unserem Faktencheck berechnet wurde.