Faktencheck

Griechenland: Keine Belege, dass Grenzschützer einen Syrer erschossen haben – Indizien sprechen aber dafür

Auf Twitter werden zurzeit mehrere Videos verbreitet, die angeblich den Tod eines syrischen Flüchtlings an der griechisch-türkischen Grenze dokumentieren. Obwohl es laut Medienberichten Augenzeugen für die Tat gibt, spricht die griechische Regierung von „Fake-News“.

von Bianca Hoffmann

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Dieser Tweet soll den Tod eines Syrers an der türkisch-griechischen Grenze dokumentieren. (Collage: CORRECTIV)
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Unbelegt. Es ist nicht klar, ob an der griechisch-türkischen Grenze ein Mann von griechischen Grenzstreitkräften mit Gummikugeln erschossen wurde – es gibt aber viele Indizien, die dafür sprechen.

Vorsicht, in diesem Artikel ist explizites Material verlinkt, das einen schwer verletzten oder toten Mann zeigt. 

Die arabische Journalistin Jenan Moussa veröffentlichte am Montag (2. März) mehrere Videos bei Twitter. Diese sollen den Tod eines jungen Mannes an der griechisch-türkischen Grenze dokumentieren.  

Das erste Video ist aus einer Menschenmenge heraus gefilmt. Als sich die Menge teilt, kann man einen Menschen erkennen, der am Boden liegt. Dazu schreibt Moussa: „Dies ist der erste gemeldete Todesfall unter Migranten, die versuchten, von der Türkei nach Griechenland zu gelangen.“ Ein syrischer Mann sei von griechischen Grenzsoldaten erschossen worden. 

Der Tweet wurde bereits mehr als 1.500 Mal geteilt. Es gibt zwar Indizien, die dafür sprechen, dass sich der Vorfall so ereignet hat, die griechische Regierung spricht allerdings von „Fake-News“. 

Getöteter Syrer hieß nach Recherchen der Journalistin Mohammed alArab

Die Journalistin Jenan Moussa berichtet, dass sie Kontakt zur Familie des Getöteten gehabt habe und dass es sich dabei um den 22-jährigen Mohammad alArab handle, der seit fünf Jahren in der Türkei lebe und arbeite. Sie schreibt, er sei von Gummigeschossen getroffen worden.

Tweet von Jenan Moussa (Screenshot: CORRECTIV, Quelle: Twitter)
Tweet von Jenan Moussa (Screenshot: CORRECTIV, Quelle: Twitter)

Woher die für ihre investigativen Berichte über den sogenannten Islamischen Staat bekannte Journalistin das Video hat, ist nicht klar. Allerdings belegt sie den Vorfall mit einem weiteren Video auf Twitter, auf dem der Mann von einem Boot getragen wird. Weitere Fotos und Videos dokumentieren einen leblosen jungen Mann, an dem mutmaßlich Wiederbelebungsmaßnahmen durchgeführt werden. 

Die Kleidung des Mannes stimmt augenscheinlich in allen drei Aufnahmen überein. 

Griechischer Regierungssprecher spricht von „Fake-News“

Jenan Moussa veröffentlichte die Videos um 10:01 Uhr am 2. März. Schon eine Stunde später reagierte der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas ebenfalls auf Twitter. Er schrieb: „Ein Video, das den Todesfall an der griechisch-türkischen Grenze zeigt, ist Fake-News. Wir rufen alle auf, Vorsicht walten zu lassen, wenn sie über Nachrichten berichten, die die türkische Propaganda fördern.“

Die griechische Regierung dementiert also, dass es einen Todesfall gab. In einem späteren Tweet schreibt Petsas außerdem, dass die griechischen Grenzstreitkräfte keine Schüsse auf Personen, die versuchen, illegal ins Land zu reisen, abgegeben hätten. 

Die Journalistin antwortete darauf am 4. März gegen 10 Uhr bei Twitter und zeigte das Foto eines Sarges. Dazu schrieb sie: „Es ist ein Trend, jede unwillkommene Geschichte als gefälschte Nachricht abzutun. Aber das waren keine gefälschten Nachrichten. Nur eine richtige Berichterstattung durch mich.“ Sie schreibt weiter, dass der Leichnam von Mohammad alArab in den nächsten Stunden die türkisch-syrische Grenze erreichen werde und er dann in Syrien beerdigt würde. 

Medien interviewen angebliche Augenzeugen des Vorfalls

Verschiedene Medien recherchierten ebenfalls zu dem Fall und fanden laut eigenen Angaben Augenzeugen des Vorfalls. So sprach der britische Fernsehsender Channel4 am 2. März mit einem Mann namens Ali Idress. Dieser berichtet, dass Mohammad alArab etwa 40 Meter von der Grenze entfernt gewesen sei, als ihn eine Kugel in die Kehle getroffen habe. Daraufhin sei er tot zu Boden gefallen. 

Die Nachrichtenagentur Reuters schreibt am 2. März, sie habe von einem Augenzeugen erfahren, dass sich der Vorfall nördlich der Stadt Enez zugetragen habe. Der Zeuge der Nachrichtenagentur macht allerdings keine weiteren Aussagen zu der Art der Verwundung. Als Quelle für den Vorfall nennt Reuters zwei nicht namentlich genannte türkische Sicherheitskräfte. 

Auch der österreichische Kurier berichtete über den Fall, konnte das Video allerdings nicht verifizieren. 

(Hinweis: Wenige Tage später, am 4. März, berichteten türkische Behörden in Edirne von einem anderen Fall; griechische Polizisten und Grenzschützer hätten mit scharfer Munition auf mehrere Personen geschossen. Ein nicht identifizierter Mann sei in die Brust getroffen worden und wenig später in einem Krankenhaus der Universität Trakya gestorben. Auch diese Berichte wies die griechische Regierung laut Medienberichten zurück.)

Update, 6. März: Kurz nach der Veröffentlichung erreichte uns ein Kommentar zu unseren Artikel, in dem auf ein Video hingewiesen wurde. Das Team von „Forensic Architure“ der Goldsmiths Universität aus London hat den Vorfall mit Hilfe von Videos und Satellitenbildern überprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Videos in Griechenland an der Grenze entstanden sind.  An unserer Bewertung ändert sich dadurch nichts, da bislang keine offizielle Quelle den Tod von Mohammad alArab bestätigt hat.