Nein, es wurden nicht gezielt Krebszellen in Impfstoffe eingebracht
In einem Artikel wird behauptet, Krebszellen seien gezielt in Impfstoffe eingebracht worden. Und die könnten wiederum Krebs bei Menschen verursachen, die sich impfen lassen. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte, das Paul-Ehrlich-Institut bezeichnet Teile der Meldung als falsch.
Die Webseite NPR.News, die nach eigenen Angaben „gegen den Strom“ und „politisch inkorrekt“ sein will, hat am 7. Januar einen Artikel zum Thema Impfen veröffentlicht. Darin geht es um eine angebliche Studie aus Italien. Diese habe angeblich aufgedeckt, dass eine für die Herstellung von Impfstoffen verwendete Zelllinie namens MRC-5 „abnorme“ Gene enthalte, die mit Krebs in Verbindung gebracht würden. Nach Angaben des Analyse-Tools Crowdtangle wurde der Text bereits mehr als 15.000 Mal auf Facebook geteilt.
In dem Artikel wird weiter behauptet, das Krebsrisiko einer Person steige, wenn ihr ein Impfstoff aus der Zelllinie injiziert werde. Diese Zelllinie stamme von einem abgetriebenen männlichen Baby mit „ernsthaften Gesundheitsproblemen“. Gleiches gelte für eine weitere abgetriebene Zelllinie namens WI-38.
An den Behauptungen ist – bis auf die Namen und Herkunft der Zelllinien – nicht viel Wahres dran. Wir haben darüber mit dem Paul-Ehrlich-Institut gesprochen, das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen verantwortlich ist.
Manche Impfstoffe werden mit Hilfe von menschlichen Zelllinien gewonnen
Zunächst zu den Aussagen in dem Artikel, die stimmen. „Ja, es gibt die Zelllinie MRC-5“, schreibt Dr. Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut an CORRECTIV. Daraus würden auch heute noch beispielsweise Impfstoffe gegen Masern-Mumps-Röteln (MMR) hergestellt. Die MRC5-Zellen stammten aus der Lunge eines 14 Wochen alten, bereits vor mehreren Jahrzehnten abgetriebenen männlichen Fötus. „Die Abtreibung erfolgte aus persönlichen Gründen der Mutter, nicht zum Zweck der Gewinnung der Zelllinie”, schreibt Stöcker.
Und auch die Zelllinie WI-38 existiere tatsächlich und werde bis heute zur Herstellung von Impfstoffen verwendet. Sie stamme aus Fibroblasten der Lunge eines drei Monate alten, weiblichen Fötus, der 1961 in Schweden abgetrieben wurde. Der Grund für die Nutzung der Zelllinien sei, dass bestimmte Impfviren nur in menschlichen Zellen gezüchtet werden könnten, schreibt die Pressesprecherin.
Studie von Corvelva entspricht nicht den wissenschaftlichen Kriterien
Die angebliche Studie, auf die sich der Artikel bezieht, stammt von der Forschergruppe „Corvelva“ aus Italien. Auf deren Webseite ist zu lesen, dass die in einem Impfstoff namens Priorix (gegen MMR) enthaltene DNA im Vergleich zu einem typischen menschlichen Genom „nicht normal“ sei. Es seien 560 Gene untersucht worden, die angeblich „an der Entstehung von Krebs beteiligt“ seien. Bei diesen Genen seien diverse „Abweichungen“ festgestellt worden. Die Konsequenzen seien „unklar“.
Die Studie beschäftigt sich also nicht damit, ob tatsächlich Krebs hervorgerufen wird. Sie hat lediglich die DNA-Fragmente untersucht.
Auf der Webseite von „Corvelva“ kann man sich die zehnseitige Studie herunterladen. Allerdings wurde sie offenbar in keiner wissenschaftlichen Publikation veröffentlicht. Wir haben danach unter anderem bei der US National Library of Medicine und bei Google Scholar gesucht und keine Ergebnisse erhalten. Bevor Artikel in Fachmagazinen veröffentlicht werden, durchlaufen sie eine Qualitätssicherung (peer review), bei dem andere Wissenschaftler die Ergebnisse der Forschung nachvollziehen und prüfen.
Eigentlich legen Wissenschaftler offen, wie ihre Erkenntnisse gewonnen wurden. Bei Corvelva gibt es lediglich den Hinweis auf ein nicht namentlich genanntes Labor in den USA, das die Analyse eines Impfstoffes durchgeführt habe (PDF, S. 2). In den zehn Seiten der Studie fehlen die genauen Daten dieser Analyse, es gibt nur eine Zusammenfassung. Corvelva ist zudem bekannt dafür, die Sicherheit von Impfstoffen infrage zu stellen.
Paul-Ehrlich-Institut: Impfstoffe können keinen Krebs hervorrufen
Die Pressesprecherin des Paul-Ehrlich-Institutes, Susanne Stöcker, schreibt in einer E-Mail an CORRECTIV, dass die Studie von Corvelva fehlerhafte Informationen enthalte, die zu Falschinterpretationen führen.
Für die Behauptung, dass der Fötus, von dem die Zelllinie stammt, „abnorme Gene“ gehabt habe, gebe es keine Belege. „Zudem ist möglicherweise in Resten vorhandene DNA in den Impfstoffen fragmentiert, was bedeutet, dass das Risiko, dass intakte Gene in das Genom des Impflings integriert werden könnten, nicht gegeben ist.“
In dem Artikel von NPR.News wird außerdem behauptet, dass das Krebsrisiko bei jeder Verwendung der Impfstoffe aus der MRC-5-Zelllinie steige. Das sei falsch, schreibt Stöcker. „Die für die Produktion der Impfantigene eingesetzten Zellen haben nicht die Fähigkeit, Tumore hervorzurufen.“ Sie betont außerdem: „Ein Impfstoff zum Schutz vor Infektionskrankheiten, der auch nur im Geringsten ein Krebsrisiko steigen lassen würde, könnte niemals eine Zulassung erhalten bzw. behalten.“
Unterschied bei der Herstellung von Lebend- und Totimpfstoffen
Das Paul-Ehrlich-Institut ist in Deutschland verantwortlich für die Zulassung von Impfstoffen. Bevor ein Impfstoff auf den Markt kommt, muss er laut Bundesgesundheitsministerium eine klinische Prüfung in drei Phasen durchlaufen (PDF, S. 2). „Nur wenn der Nutzen eindeutig die Risiken überwiegt, wird ein neuer Impfstoff die Zulassung erhalten.“
Die Herstellung von Impfstoffen gegen Viren ist sehr komplex. Susanne Stöcker erklärt den Prozess vereinfacht so: „Lebendimpfstoffe werden auf menschlichen Zellen vermehrt und enthalten abgeschwächte Impfviren, die einen Impfschutz vermitteln, ohne die Infektionskrankheit des Wildtyp-Virus zu verursachen.“ Es seien auch tierische Zellen dafür im Einsatz. Manche Impfstoffe wie die gegen Röteln müssten aber auf menschlichen Zellen vermehrt werden. Dafür komme dann beispielsweise die Zelllinie MRC-5 zum Einsatz.
Sogenannte inaktivierte Virus-Impfstoffe, auch als Totimpfstoffe bekannt, enthalten abgetötete Krankheitserreger, die sich nicht mehr vermehren können. Sie werden ebenfalls in Zelllinien vermehrt und im Anschluss gereinigt, schreibt Stöcker. „Auch wenn darauf geachtet wird, möglichst alle nicht benötigten Bestandteile zu entfernen, können grundsätzlich noch Spuren von zellulärer DNA im Impfstoff vorhanden sein. Diese liegt dann in zerstückelter, inaktiver Form vor, so dass kein Risiko davon ausgeht.“
Weitere Faktenchecks zur Studie von Corvelva erschienen
Der Artikel von NPR.News erschien im Vorfeld bereits auf Englisch auf der Webseite Natural News. Dieser Text wurde bereits von den französischen Faktencheckern von Health Feedback geprüft. Sie kamen zu dem Ergebnis, die Studie von Corvelva sei ungenau.
Auch die Faktenchecker von Mimikama haben haben sich mit dem Artikel von NPR.News beschäftigt. Sie kamen zu dem Ergebnis, die Studie sei ungenau und von „Impfkritikern“ veröffentlicht.
Unser Fazit: Die in dem Artikel genannten Behauptungen sind wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. Die für die Produktion von Impfstoffen eingesetzten Zellen können keinen Krebs hervorrufen.