Faktencheck

„Compact“ verbreitet falsche Behauptung über Pandemie-Risikoszenario von 2012

In einem Video, das zehntausendfach auf Facebook geteilt wurde, wird behauptet, die Bundesregierung habe eine Risikoanalyse von 2012 vertuscht, in der es um eine Coronavirus-Pandemie ging. Die Analyse gibt es – sie ist öffentlich und nicht schwer zu finden. 

von Alice Echtermann

Compact TV
Das Video von Compact, dem die Moderatorin behauptet, von der Risikoanalyse 2012 fehle im Archiv des Bundestags jede Spur. (Screenshot: CORRECTIV)
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Größtenteils falsch. Die Risikoanalyse von 2012 existiert, sie wurde jedoch nicht aus dem Archiv des Bundestags entfernt.

„Wir werden komplett verarscht“, schreibt ein Facebook-Nutzer, der im April ein Video des rechten Magazins Compact geteilt hat. Darin behauptet die Moderatorin, die Bundesregierung habe schon 2012 ein Krisenszenario einer Coronavirus-Pandemie entworfen und den Bundestag darüber informiert – im Archiv des Bundestags finde sich davon jedoch „keine Spur“. Das Video ist von April und wurde mehr als 16.300 Mal auf Facebook geteilt. 

Die Andeutung, es sei etwas vertuscht worden, ist jedoch falsch. 

Zwar stimmt es, dass es einen solchen Bericht gibt: CORRECTIV hat schon Faktenchecks dazu veröffentlicht. Es handelt sich um den „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“, der 2013 dem Bundestag vorgelegt wurde. Es war kein „Geheimplan“ oder eine Vorhersage der aktuellen Pandemie, sondern eine Analyse einer hypothetischen Pandemie mit einem ausgedachten Virus namens „Modi-SARS“.

Die Behauptung der Moderatorin, von dem Bericht gebe es im Archiv des Bundestags „keine Spur“, ist irreführend. Die Drucksache 17/12051 ist im Archiv des Bundestags zu finden. Zudem gibt es bei den Pressemeldungen den Vermerk, dass sie dem Parlament vorgelegt wurde, und darin ist die Drucksache ebenfalls verlinkt. 

Suche im Archiv des Bundestags
Im Archiv des Bundestags findet man die Analyse. (Screenshot: CORRECTIV)

Alexander Gauland wies im Bundestag auf das Papier hin

In dem Beitrag von Compact wird außerdem eine Rede von Alexander Gauland (AfD) im Bundestag eingeblendet, in der er sagte, laut dem Risikoszenario liege die Sterblichkeitsrate (Letalität) von „Modi-SARS“ bei jungen Menschen bei etwa einem Prozent, bei über 65-Jährigen bei 50 Prozent. „Das ist die exakte Beschreibung der Folgen des Covid-19“, behauptet Gauland.

Damit hat er zwar die Zahlen aus der Risikoanalyse richtig zitiert (Seite 58), aber seine Schlussfolgerung, diese seien exakt auf SARS-CoV-2 übertragbar, ist nicht richtig. Gauland hielt die Rede am 25. März 2020 im Bundestag (Video, ab Minute 15:41). Damals war über die Sterblichkeitsrate von Covid-19 noch weniger bekannt als heute. Es steht jedoch fest, dass diese nicht bei 50 Prozent liegt, auch nicht bei älteren Menschen. 

Laut dem Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom 25. März lag die Quote der Verstorbenen im Verhältnis zu den bestätigten Infizierten damals bei 0,5 Prozent. 

Nach aktuellen Angaben des RKI waren 87 Prozent der in Deutschland an Covid-19 Verstorbenen 70 Jahre alt oder älter. Anteil der Todesfälle an den Infizierten wird derzeit mit 4,5 Prozent angegeben. Die Letalität lässt sich laut RKI aber noch nicht zuverlässig berechnen da die tatsächliche Anzahl der Infektionsfälle unbekannt ist.