Faktencheck

„Kindesentzug“ wenn die Gesundheitsbescheinigung fehlt? Was hinter Sachsens Warnung an Eltern steckte

Im Netz kursiert die Behauptung, das sächsische Kultusministerium habe Eltern mit „Kindesentzug“ gedroht, wenn verpflichtende Unterschriften einer Gesundheitsbestätigung für die Schule fehlen. Das stimmt großteils – das Ministerium spricht von einer „unglücklichen Formulierung“.

von Till Eckert

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Drohte das sächsische Kultusministerium Eltern mit „Kindesentzug“ durch das Ordnungsamt, wenn sie einer Unterschriftenpflicht nicht nachkommen? Die Behauptung kursiert im Netz und ist größtenteils richtig – das Ministerium ruderte jedoch zurück. (Symbolbild: Pexels / CC0)
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Größtenteils richtig. Der Elternbrief ist echt, das Kultusministerium spricht von einer „unglücklichen Formulierung“.

In mehreren Blog-Artikeln wird berichtet, Sachsen drohe Eltern mit Kindesentzug, wenn sie ihren Kindern nicht eine tägliche Gesundheitsbestätigung in die Schule mitgeben sollten (hier und hier). Als Beleg dafür wird jeweils ein Elternbrief des sächsischen Kultusministeriums vom 16. Mai angegeben. Er ist unterschrieben von Christian Piwarz, Staatsminister für Kultus in Sachsen.

Auf Seite zwei geht es um eine tägliche Gesundheitsbestätigung für Kinder, die man auf der Coronavirus-Webseite Sachsens herunterladen kann. Sie muss im Rahmen der Corona-Maßnahmen täglich unterschrieben von Eltern abgegeben werden. Sie bestätigen damit, dass das Kind oder die Personen, die mit ihm zusammen leben, keine Covid-19-Symptome zeigen.

Die Artikel beziehen sich auf einen Unterpunkt im Brief des Kultusministeriums. Darin ist zu lesen: „Sie als Eltern sind verpflichtet, Ihr Kind umgehend von der Schule abzuholen, wenn Ihre Unterschrift für den konkreten Tag fehlt. Sofern Sie dem nicht nachkommen, ist die Schule in letzter Konsequenz verpflichtet, das Ordnungsamt einzuschalten – bis zur Inobhutnahme Ihres Kindes.“ 

Aus dem Brief des sächsischen Kultusministeriums an Eltern. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Seite Wochenblick spekuliert in ihrem Artikel, dass mit dieser Regelung angeblich „Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen gefügig gemacht werden“ sollen. Mit der Teilnahme an Demonstrationen durch die Eltern hat das Ganze aber nichts zu tun. Es geht um die Dokumentation des Gesundheitszustands der Kinder.

Kultusministerium: Brief ist echt, Formulierung „unglücklich“

Sprecherin Susann Meerheim vom Kultusministerium bestätigte CORRECTIV die Echtheit des Briefs telefonisch. Man habe Eltern damit jedoch vor allem sensibilisieren und keine Drohung aussprechen wollen: „Das mit der ‘Inobhutnahme’ war eine unglückliche Formulierung, die wir in unserem Blog inzwischen wieder gerade gezogen und aktualisiert haben“, sagt Meerheim. 

In dem Blog ist unter der Frage „Was passiert, wenn Eltern der Verpflichtung nicht nachkommen?“ aktuell zu lesen: „Das wiederholte Fehlen der Unterschrift kann unter Umständen auch ein Signal für häusliche Probleme, ggf. sogar eine Vernachlässigung sein, das heißt: der andauernden oder wiederholten Unterlassung fürsorglichen Handelns. In solchen Fällen kann in letzter Konsequenz gemäß § 50a Abs. 1 SächsSchulG die Einschaltung des Jugendamtes erfolgen.“

Meerheim sagt, man verstehe die Sorgen der Eltern, es gehe dabei allerdings nicht um Haftungsfragen, sondern um die Information für die Einrichtungen, ob die Kinder gesund sind.

Gerichtliche Verfahren zu Verhältnismäßigkeit der Gesundheitsbestätigung dauern an

Der Elternbrief löste dennoch eine Debatte aus. Auch der MDR berichtete darüber. Ein Vater hatte dem Medienbericht zufolge den Sinn einer Gesundheitsbestätigung in Frage gestellt; sie stelle einen Eingriff in die Grundrechte dar. Das Verwaltungsgericht Leipzig hatte sie daraufhin für „unverhältnismäßig“ erklärt. Das Kultusministerium fechtet diese Entscheidung jedoch an. 

Das Verwaltungsgericht Chemnitz schätzt die Unterschriftsabgabe laut MDR in einem zweiten Fall, in dem eine Frau geklagt hatte, als zumutbar für Eltern ein. Ein Antrag der Frau auf vorläufigen Rechtsschutz wurde abgelehnt. Das Chemnitzer Gericht bestätigte uns gegenüber einen entsprechenden Beschluss vom 25. Mai per E-Mail. „Inhaltlich hat das Verwaltungsgericht Chemnitz die Abgabe der Gesundheitsbestätigung für verhältnismäßig und zulässig erachtet“, schreibt Sprecher Jeannot Reichert.

Ein gerichtlicher Streit um die Gesundheitsbestätigung dauert demnach an.