Nein, die US-Regierung bestätigte keine Verbindung zwischen Impfungen und Autismus
Im Netz wird immer wieder behauptet, Impfstoffe führten zu Autismus und psychischen Schäden. In einem Artikel, der aktuell wieder auf Facebook geteilt wird, heißt es, die US-Regierung habe diesen Zusammenhang schon vor Jahren bestätigt. Die Behauptungen darin sind jedoch größtenteils falsch.
In den Sozialen Netzwerken wird ein Artikel des Blogs Bewusst-Vegan-Froh geteilt. Der Titel lautet: „Regierung gibt zu: Impfungen verursachen Autismus und schwere körperliche/psychische Schäden”. Dabei bezieht sich der Text auf die US-Regierung. Der Artikel wurde bereits am 6. Februar 2018 veröffentlicht, wurde von der Facebook-Seite des Blogs aber im Juni 2020 wieder verbreitet. Die Debatte um Impfungen wird aktuell wegen eines potenziellen Impfstoffs gegen das neuartige Coronavirus wieder laut.
Mittlerweile wurde der Text von Bewusst-Vegan-Froh laut dem Analysetool Crowdtangle mehr als 20.600 Mal auf Facebook geteilt. Das Datum 2018 ist im Beitrag selbst nicht zu sehen.
In dem Artikel wird auf zwei Artikel der US-amerikanischen Online-Zeitung Huffington Post verwiesen. Diese Artikel wurden von der Huffington Post jedoch „im Interesse der öffentlichen Gesundheit“ gelöscht mit dem Hinweis darauf, dass die Texte von Lesern geschrieben worden seien, die ihre eigene Meinung ausgedrückt hätten. Die dort genannten Einzelfälle wurden vor einem US-Gericht verhandelt.
In dem Artikel werden mehrere Behauptungen aufgestellt. Wir haben drei davon überprüft. Das Ergebnis unserer Recherche: Die Behauptungen sind größtenteils falsch und führen in die Irre. Ein Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus wurde nie nachgewiesen. Die US-Regierung hat also auch nie etwas derartiges „zugegeben“.
1. Behauptung: Das US-amerikanische Vaccine Injury Compensation Program und der US Court of Federal Claims räumten ein, dass Impfungen Autismus verursachen
Der US Court of Federal Claims (USCFC) habe eingeräumt, dass Impfstoffe mit dem quecksilberhaltigen Konservierungsstoff Thiomersal Autismus verursachten, behauptet Bewusst-Vegan-Froh.
Laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI), dem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, verhindert Thiomersal die Verkeimung der Impfstoffe und verringert damit das Risiko einer bakteriellen Infektion. Es wird aber kaum mehr verwendet. „Für alle generell empfohlenen Schutzimpfungen sind inzwischen quecksilberfreie Impfstoffe verfügbar“, schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI) auf seiner Webseite (Punkt 14).
Auf der Webseite des PEI wird darauf hingewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen Autismus und Thiomersal von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem Institute of Medicine in den USA und der European Medicines Agency (EMEA) untersucht worden sei. Das Ergebnis: „Die epidemiologischen Daten sprechen gegen einen Zusammenhang zwischen Thiomersal in Kinderimpfstoffen und Autismus.“
Wie wir bereits in einem Faktencheck überprüften, ist eine geringe Menge von Thiomersal beziehungsweise Ethyl-Quecksilber in Impfstoffen laut RKI und PEI zudem grundsätzlich unbedenklich. Die Weltgesundheitsorganisation schreibt auf ihrer Webseite, dass es keine Belege für eine Toxizität bei Kindern oder Erwachsenen gebe, die Thiomersal in Impfstoffen ausgesetzt waren.
US-Behörde hat nach eigenen Angaben nie Zusammenhang eingeräumt
Auch die Organisation Health Resources and Services Administration (HRSA), eine Zweigstelle der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde, zu der das Vaccine Injury Compensation Program (VICP) gehört, schrieb uns per E-Mail: „Es gibt keinen glaubwürdigen wissenschaftlichen Beleg für eine Kausalität zwischen Impfungen und Autismus.” Das VICP habe eine solche Verbindung auch nie eingeräumt.
Die US-amerikanische Regierung habe zudem noch nie eine Entschädigung auf Grundlage dessen bezahlt, dass eine Impfung angeblich Autismus verursacht habe.
Gericht sieht keine wissenschaftlich erwiesene Verbindung zwischen Thiomersal und Autismus
Die HRSA schrieb zudem, dass in den frühen 2000ern Tausende von Petitionen an das VICP eingereicht wurden, die eine Verbindung zwischen Impfungen und Autismus suggerierten. Diese hätten sich auf eine Publikation des britischen Arztes Andrew Wakefield bezogen, der von der britischen Ärztekammer ein Berufsverbot bekommen hat.
Dennoch sei der US Court of Federal Claims (USCFC) auf die Petitionen eingegangen und habe ein fünfjähriges Verfahren eingeleitet, die sogenannten Omnibus Autism Proceedings. Nach Anhörungen und dem Anfertigen von Dokumenten mit 218.000 Seiten habe das Gericht bestätigt, dass es keinen glaubwürdigen Beweis dafür gebe, dass eine Masern-Mumps-Röteln-Impfung in Kombination mit Impfungen mit Thiomersal, oder letztere allein, Autismus verursachen könnten. In dem neuesten Dokument (PDF, Seite 4) von Ende November 2011 des USCFC zu den Omnibus Autism Proceedings ist dies auch zu lesen.
Fazit: Die Behauptung ist falsch. Weder das Vaccine Injury Compensation Program noch der US Court of Federal Claims haben eingeräumt, dass Impfen Autismus hervorruft. Das ist auch gar nicht nötig. Epidemiologischen Daten sprechen gegen einen Zusammenhang zwischen dem Stoff Thiomersal in Kinderimpfstoffen und Autismus.
2. Behauptung: Eine Mumps-Masern-Röteln-Impfung löste bei einem Jungen unter anderem eine Gehirnentzündung und Autismus aus
Laut dem Artikel auf Bewusst-Vegan-Froh trat nach einer Mumps-Masern-Röteln-Impfung (MMR-Impfung) bei einem Jungen namens Ryan eine Enzephalitis, eine Gehirn- und Rückenmarksentzündung, auf. Die Familie klagte dem Artikel zufolge vor dem US-Gericht United States Court of Federal Claims (USCFC). Ihr Sohn habe zwischen 2003 und 2005 nach mehreren Impfungen neurologische Dysfunktionen, Asthma und eine Autismus-Spektrum-Störung entwickelt. In dem Artikel wird behauptet, das Gericht habe das bestätigt und die Familie eine Millionen-Dollar-Entschädigung erhalten.
Wie unsere Faktencheck-Kollegen der AFP bereits in einem Faktencheck überprüften, ist diese Behauptung größtenteils falsch. In den Behauptungen geht es mutmaßlich um einen Jungen mit dem Namen Ryan Mojabi.
Das US-Gericht United States Court of Federal Claims (USCFC) bestätigte, dass eine MMR-Impfung eine Enzephalitis bei Ryan Mojabi hervorgerufen habe. Deswegen sollte die Familie eine Entschädigung von fast einer Million Dollar erhalten. Eine Verbindung zwischen den Impfungen und Autismus oder Asthma wurde jedoch nicht bestätigt.
Laut den US Centers for Disease Control and Prevention ist eine Gehirnentzündung eine mögliche, aber sehr seltene Nebenwirkung einer MMR-Impfung. In einer Studie des österreichischen Bundesministerium für Gesundheit und des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Universität Wien steht, dass das Risiko einer Enzephalitis nach einer Masernimpfung bei 1:1.000.000 liege. Das Risiko einer Enzephalitis durch Masern selbst liege dagegen bei 1:1.000. Auch das Robert-Koch-Institut schreibt auf seiner Webseite, dass sich bei einem von 1.000 Kindern, die an Masern erkranken, eine Enzephalitis entwickele.
Fazit: Die Behauptung von Bewusst-Vegan-Froh, ein Junge namens Ryan habe nach Impfungen eine Autismus-Spektrum-Störung entwickelt, ist unbelegt. Es handelt sich mutmaßlich um Ryan Mojabi. In dessen Fall hat das US-Gericht den Zusammenhang jedenfalls nicht bestätigt; eine Entschädigung wurde lediglich aufgrund einer Enzephalitis gezahlt.
3. Behauptung: Ein Mädchen entwickelte durch diverse Impfungen Autismus
Bei Bewusst-Vegan-Froh wird außerdem der Fall eines 15 Monate alten Mädchens namens Emily vorgestellt. Ein US-Gericht habe eingeräumt, dass sie durch diverse Impfstoffe, unter anderem auch gegen MMR, eine Anfallkrankheit und Autismus entwickelt habe. Auch diese Behauptung überprüften unsere Kollegen von AFP. Demnach hieß das Mädchen mutmaßlich Emily Lowrie. Wie öffentlich einsehbare Dokumente (Seite 1 und 2) zeigen, klagte die Mutter von Emily, Jillian Lowrie, ebenfalls vor dem United States Court of Federal Claims (USCFC). Ihre Tochter habe nach Routineimpfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis eine Gehirnentzündung (Enzephalopathie) erlitten. Von Autismus war in dem Verfahren nicht die Rede. Das Gericht sprach der Familie eine Entschädigung von über einer Million Dollar zu.
Fazit: Die Behauptung ist in Bezug auf Emily Lowries Fall falsch. Das Mädchen hat als Folge von Impfungen eine Gehirnentzündung entwickelt, keinen Autismus. Für die nachgewiesene Nebenwirkung erhielt sprach ein Gericht ihr eine Entschädigung zu.