Faktencheck

Nein, es wurde kein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Impfungen und plötzlichem Kindstod nachgewiesen

In einem Artikel wird behauptet, Impfungen würden plötzlichen Kindstod (SIDS) verursachen. Das sei von einem Gericht, der amerikanischen Arzneimittelbehörde und unabhängigen Wissenschaftlern bestätigt worden. Das stimmt so nicht; wesentlicher Kontext zu dem Fall wird ausgelassen. Zum Beispiel, dass eine Gerichtsentscheidung wieder aufgehoben wurde.

von Bianca Hoffmann

Impfungen und plötzlicher Kindstod (SIDS)
In einem Artikel wird behauptet, es gebe einen Zusammenhang zwischen Impfungen und dem plötzlichen Kindstod. (Symbolbild: fancycrave1 / Pixabay)
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Größtenteils falsch. Der beschriebene Einzelfall beweist nicht, dass plötzlicher Kindstod (SIDS) und Impfungen in einem Zusammenhang stehen.

In einem Artikel der Schweizer Webseite Legitim wird behauptet, ein Gericht habe bestätigt, dass Impfstoffe zu Fällen von plötzlichem Kindstod beitragen und diese verursachen könnten. Als angeblichen Beweis für diese Behauptungen wird im Text der Fall von J.B. erzählt. Dieser sei im Jahr 2011 knapp fünf Monate nach seiner Geburt gestorben, nachdem er am Tag zuvor eine Mehrfachimpfung beim Kinderarzt erhalten habe. 

Außerdem ist in dem Artikel das Foto eines Beipackzettels einer Kombinationsimpfung gegen Keuchhusten, Diphtherie und Tetanus zu sehen. Auf diesem ist als Nebenwirkung „Apnoe“, also Atemstillstand vermerkt. Der letzte angebliche Beweis für die Behauptung, dass Impfungen plötzlichen Kindstod verursachen, soll eine Studie des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sein, nach der 79,4 Prozent der Kinder, die an plötzlichen Kindstod verstorben sind, am Tag zuvor geimpft wurden. 

Der Artikel wurde im Dezember 2019 veröffentlicht und laut dem Analysetool Crowdtangle bisher mehr als 3.900 Mal auf Facebook geteilt. Bei den Behauptungen von Legitim werden wichtige Details weggelassen. So hat das Gericht beispielsweise nie gesagt, dass Impfungen grundsätzlich für den plötzlichen Kindstod verantwortlich sind. Zudem wurde die Entscheidung zu dem entsprechenden Fall wieder aufgehoben.

Eltern verlangten Entschädigung nach plötzlichem Kindstod ihres Babys

Bei dem im Artikel genannten Gerichtsurteil handelt es sich nicht um ein Urteil aufgrund einer Klage, sondern eine Entscheidung über Anspruch auf Entschädigung nach Impfverletzungen durch das National Vaccine Injury Compensation Program in den USA. Diese wurde durch das Office of Special Masters des United States Court of Federal Claims im Juli 2017 gefällt.   

In der Entscheidung geht es um den Fall von J.B., der 2011 im Alter von knapp fünf Monaten am Sudden Infant Death Syndrome (SIDS) (deutsch: plötzlicher Kindstod) verstorben ist. Er bekam am Tag vor seinem Tod eine Mehrfachimpfung (PDF, Seite 6). Diese bestand aus den Impfstoffen gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten (DTPa), Polio (IPV), HiB, Pneumokokken (PCV) und dem Rotavirus (Seite 4). Seine Eltern, Chase B. und Maurina C., reichten im Jahr 2013 Anspruch auf Entschädigung wegen „Impfverletzungen“ ein.

Antragsteller müssen nachweisen, dass der Tod durch die Impfung verursacht wurde

Um diese Entschädigung zu erhalten, muss eine der folgenden Bedingungen erfüllt sein (Seite 3): Entweder liegt eine Krankheit, Verletzung, Behinderung oder ein Zustand vor, der in einer Tabelle des Code of Federal Regulations genannt wird, wie zum Beispiel einen anaphylaktischen Schock oder eine Schulterverletzung. Oder die Antragssteller weisen eine so genannte „off table“-Verletzung nach, also eine Verletzung, die nicht in der Tabelle aufgeführt wurde (wie SIDS). 

Im vorliegenden Fall mussten sie also beweisen, dass die Impfung tatsächlich für den Tod des Kindes verantwortlich war. Dafür gibt es ein dreistufiges Verfahren. „(1) Die Antragsteller müssen eine medizinische Theorie aufstellen, die eine kausale Verbindung zwischen der Impfung und der Verletzung herstellt; (2) eine logische Abfolge von Ursache und Wirkung aufzeigen, die zeigt, dass die Impfung der Grund für die Verletzung war; (3) und eine unmittelbare zeitliche Beziehung zwischen Impfung und Verletzung herstellen“, heißt es in der Begründung der Entscheidung (PDF, Seite 3).

Gutachten: Fall belegt nicht generelles SIDS-Risiko durch Impfstoffe

Das Gutachten kam zu dem Schluss, dass die Eltern von J.B. ein Recht auf eine Entschädigung von dem sogenannten Vaccine Program haben. Der Gutachter schrieb: „In diesem Fall bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Bittsteller genügend Beweise und Zeugenaussagen vorgelegt haben, um Anspruch auf eine Entschädigung im Impfprogramm zu haben. Ich bin nicht zu dem Schluss gekommen, dass Impfstoffe ein erhebliches SIDS-Risiko darstellen. Tatsächlich sprechen die Beweise für das Gegenteil. Die große Mehrheit der Impfstoffempfänger erkrankt nicht an SIDS.“ (PDF, Seite 55)

Das wird im Text von Legitim allerdings nicht erwähnt. 

Von Legitim verwendetes Zitat lässt Entscheidung des Gerichts in anderem Licht erscheinen

Dort wird ein anderes Zitat aus der Beurteilung des Gutachters auf Seite 55 gewählt, in dem es heißt: „In diesem Fall bin ich nach Durchsicht der Beweise zu dem Schluss gekommen, dass es wahrscheinlicher ist, dass die Impfstoffe eine wesentliche kausale Rolle für den Tod von J. B. spielten, ohne deren Folgen er nicht gestorben wäre. Die Rolle der Modulatoren im Säuglingsmark sind gut beschrieben worden und sind wahrscheinlich der Grund für eine signifikante Anzahl von SIDS-Todesfällen, die im Zusammenhang mit einer milden Infektion auftreten. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die durch den Impfstoff stimulierten Zytokine bei diesem anfälligen Säugling wahrscheinlich die gleiche Wirkung im Schlaf hatten.“

In den vorhergehenden Sätzen erklärt der Gutachter aber, dass der Tod von J.B. wahrscheinlich durch eine Reihe unterschiedlicher Faktoren, wie zum Beispiel der CO2-Rückatmung durch das Auf-der-Seite-Liegen, verursacht wurde. Die Impfung sei nur einer der möglichen Auslöser gewesen (PDF, S. 55). 

Plötzlicher Kindstod kann viele Ursachen haben

Die Todesursache beim plötzlichen Versterben eines Kindes kann laut Experten in der Regel nicht, beziehungsweise nicht eindeutig geklärt werden. Laut Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte können Faktoren wie das Rauchen in der Nähe des Säuglings, das Schlafen in Bauch- oder Seitenlage oder eine Überhitzung des Säuglings eine Rolle spielen. Tritt einer dieser Faktoren zeitgleich mit einem anscheinend lebensbedrohlichen Ereignis (ALE) ein, kann das zum plötzlichen Kindstod führen. 

Laut Protokoll im Gutachten wurde das Baby J.B. beispielsweise in Seitenlage gefunden und war erkältet (PDF, S. 8). Ob die Impfung dann das ALE ausgelöst haben könnte, wurde von drei unabhängigen Experten untersucht, die zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind. Die letztendliche Entscheidung hat dann der Gutachter getroffen. 

Den Antragsstellern wurde eine Entschädigungssumme von 300.000 US-Dollar zugesprochen (PDF, Seite 2) Die Entscheidung des Gutachters wurde ein Jahr später in einem Urteil des United States Court of Federal Circuit aufgehoben. Der Gutachter habe bei seiner Entscheidung einen Fehler gemacht und andere Entscheidungen zum Thema SIDS und Impfungen nicht in sein Urteil einfließen lassen, heißt es darin (Seite 7). 

Der im Text von Legitim genannte Fall beweist also nicht, dass Impfungen generell Fälle von plötzlichem Kindstod hervorrufen können. Die Behauptung ist falsch. 

Hinweis auf Nebenwirkung „Apnoe“ im Beipackzettel deutet nicht zwangsläufig auf plötzlichen Kindstod hin

In dem Text von Legitim ist ein Beipackzettel verlinkt, der zu dem Präparat Infanrix DTPa-IPV gehört. Dieses sorgt für die aktive Immunisierung gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis (Keuchhusten) und Polio bei Kindern ab zwei Monaten. Hier wird als potenzielles Risiko auch Apnoe angegeben, also Atemstillstand. „Dies gilt insbesondere für diejenigen, die in der Vorgeschichte Zeichen einer Lungenunreife gezeigt haben. Da der Nutzen der Impfung für diese Säuglingsgruppe hoch ist, sollte sie ihnen weder vorenthalten noch verschoben werden“, heißt es in der Produktbeschreibung.

Ein ähnlicher Impfstoff wurde auch in Deutschland zugelassen. Hier wird die Nebenwirkung Apnoe näher spezifiziert als „vorübergehende Atempausen“. Diese Nebenwirkung kommt laut Gebrauchsinformation sehr selten vor, also bei bis zu einer von 10.000 Impfstoffdosen. 

Bei Apnoe und SIDS handelt es sich um zwei unterschiedliche Krankheitsbilder. Forscher untersuchen, ob Schlafapnoe mit dem plötzlichen Kindstod in Verbindung stehen könnte. 

Die Nennung der Nebenwirkung Apnoe in einem Beipackzettel ist jedoch kein Hinweis darauf, dass eine Impfung einen plötzlichen Kindstod verursacht. 

In 16 Jahren sind in den USA mutmaßlich 432 Kinder an SIDS verstorben, die am Tag zuvor geimpft wurden

Im Text von Legitim wird außerdem auf das Vaccine Adverse Event Reporting System des Center for Diseases and Control (CDC) hingewiesen. In einer Studie von 2015 dazu wurden Todesfälle untersucht, die in diesem System in den USA zwischen 1997 und 2013 gemeldet wurden und mutmaßlich mit einer Impfung in Zusammenhang standen. Im Vaccine Adverse Event Reporting System kann jeder einen potenziellen Impfschaden melden.

Von den insgesamt 2.149 gemeldeten Todesfällen verstarben 544 Kinder an SIDS. 79,4 Prozent der verstorbenen Kinder wurden am vorherigen Tag geimpft, also 432 Kinder. Also wurden innerhalb von 16 Jahren 432 SIDS-Todesfälle von Kindern gemeldet, die am Tag zuvor geimpft wurden. 

Zum Vergleich: Allein im Jahr 2017 sind 1.400 Kinder in den USA an SIDS verstorben. Die Zahlen gehen seit 30 Jahren stetig zurück. 

Diese Grafik zeigt, wie viele plötzliche Todesfälle pro 100.000 Geburten in den USA es zwischen 1990 und 2017 gegeben hat. Die orange Linie zeigt die mutmaßlichen Fälle von plötzlichem Kindstod (SIDS). (Screenshot: CORRECTIV, Quelle: Centers for Disease and Control)
Diese Grafik zeigt, wie viele plötzliche Todesfälle pro 100.000 Geburten in den USA es zwischen 1990 und 2017 gegeben hat. Die orange Linie zeigt die mutmaßlichen Fälle von plötzlichem Kindstod (SIDS). (Screenshot: CORRECTIV, Quelle: Centers for Disease and Control)

Auch in Deutschland gibt es dazu Erhebungen. So starben laut Bulletin zur Arzneimittelsicherheit im Jahr 2018 zwei Säuglinge an SIDS. Einer hatte laut Paul-Ehrlich-Institut am Vortag eine Impfung erhalten, der andere drei Tage zuvor. Bei beiden kam die Sechsfachimpfung sowie die gegen Pneumokokken zum Einsatz, bei einem der beiden außerdem noch gegen das Rotavirus. „Bisher konnte in umfangreichen Studien kein Zusammenhang zwischen SIDS im ersten Lebensjahr und verschiedensten Impfstoffen nachgewiesen werden“, steht in dem Bericht (Seite 18). 

„Besteht der Verdacht auf einen plötzlichen Kindstod nach Impfung erfordert dies nach Infektionsschutzgesetz § 6 Abs.1 Nr. 3 zwingend eine Meldung über den Verdacht einer Impfkomplikation“, schreibt Susanne Stöcker, Pressesprecherin des PEI per E-Mail an CORRECTIV. Ganz generell gebe es aber keine wissenschaftlich belegten Hinweise für einen Zusammenhang des plötzlichen Kindstodes mit Impfungen. 

E-Mail von Susanne Stöcker, Pressesprecherin PEI, an CORRECTIV. (Screenshot: CORRECTIV)
E-Mail von Susanne Stöcker, Pressesprecherin PEI, an CORRECTIV. (Screenshot: CORRECTIV)

Studien sprechen gegen Zusammenhang zwischen plötzlichem Kindstod und Kombinations-Impfstoffen

Eine andere Studie von 2015 spricht gegen einen Zusammenhang zwischen SIDS und Impfungen gegen Diphterie, Tetanus und Keuchhusten (Pertussis). Sie untersucht die Todesfälle an SIDS in den USA im Jahresverlauf von 1968 bis 2009. Berichte über mögliche neurologische Komplikationen auf den Keuchhusten-Impfstoff führten in den 70er und 80er Jahren zu einem dramatischen Rückgang der Impfquoten. Die Hypothese der Studie: Wenn Impfungen eine Ursache für SIDS seien, hätte es in dieser Zeit auch einen Rückgang der Fälle von plötzlichem Kindstod geben müssen. 

Das Gegenteil ist der Fall. Die Sterblichkeitsrate durch SIDS stieg laut Studie zwischen 1968 und 1971 um 27 Prozent an. Zwischen 1971 und 1974 gab es eine Steigerung um 47 Prozent. 

Eine deutsche Studie des Robert Koch-Institutes (RKI) kommt zu dem Ergebnis: „Die Hauptauswertungen der Studie zeigen, dass das Risiko für einen plötzlichen Tod innerhalb von einer Woche nach Sechsfachimpfung nicht erhöht war.“ Für die Studie wurden 254 an SIDS verstorbenen Kinder aus den Jahren 2005 bis 2008 untersucht. Von ihnen sind 11 innerhalb von drei Tagen nach einer Sechsfachimpfung verstorben.  

Fazit: Die Behauptungen in dem Artikel von Legitim führen in die Irre, da der wesentliche Kontext weggelassen wird. Es gibt keine Hinweise darauf, dass es einen generellen Zusammenhang gibt zwischen Impfungen und dem plötzlichen Kindstod. Das Schadenersatzverfahren aus den USA, das zitiert wird, ist kein Beleg dafür – im Gegenteil wurde die Entscheidung später sogar aufgehoben.