Corona-Demo in Berlin: Nein, eine Frau starb nicht nach einem Polizeieinsatz auf dem Weg zur Dienststelle
Im Netz kursieren Videos, in denen eine Frau zu sehen ist, die von einem Polizeibeamten auf den Rücken geschlagen wird. Es wird behauptet, die Frau sei daraufhin verstorben. Unsere Recherchen ergeben: Die Szene spielte sich am Sonntag ab. Die Frau wurde verletzt – starb aber nicht.
Eine Frau liegt schreiend auf dem Boden, vier Polizisten halten sie fest, ein Beamter schlägt ihr zweimal auf den Rücken und legt ihr dann Handschellen an. Videos und Fotos dieser Szene sowie Artikel darüber kursieren vielfach im Netz (zum Beispiel hier auf Twitter). Auch der AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider schrieb auf seiner Webseite mit Verweis auf die Situation von „Polizeigewalt“.
Einige Webseiten wie DDB-News oder Politikstube sowie Nutzer auf Facebook (zum Beispiel hier und hier) behaupten, die Frau sei „später auf der Fahrt in die Dienststelle an inneren Verletzungen der Halsschlagader verstorben“. Die Behauptung kursiert auch im Telegram-Kanal des Arztes Bodo Schiffmann, der unter anderem die Partei „Widerstand 2020“ mitgründete. Die Beiträge wurden insgesamt mehrere zehntausend Mal aufgerufen und geteilt.
Die Szene soll sich laut einiger Beiträge am 30. August in Berlin ereignet haben. Am Wochenende fanden dort Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung mit mehreren zehntausend Teilnehmern statt.
CORRECTIV hat die Behauptung, die Frau sei gestorben, überprüft: Sie ist falsch. Der Polizeieinsatz ereignete sich unseren Recherchen zufolge am Sonntag, den 30. August in Berlin-Tiergarten, beim Großen Stern. Die Frau wurde verletzt, wie schwer ist unklar. Sie starb aber nicht.
Die Berliner Polizei nahm sowohl auf Twitter als auch auf Facebook zu den Behauptungen Stellung: „Nein, wir haben am Wochenende keine Frau umgebracht.“ Sie verwies dabei auf eine Mitteilung auf ihrer Webseite. Dort schrieb die Polizei zunächst, der Einsatz habe am Samstag (29. August) stattgefunden (Archiv). Mittlerweile hat die Polizei den Eintrag korrigiert, und spricht von Sonntag. Die Pressestelle bestätigte uns telefonisch, dass ihr in der ersten Version der Mitteilung ein Fehler unterlaufen sei.
Berliner Polizei: Landeskriminalamt ermittelt wegen des Verdachts der Körperverletzung
In der aktuellen Polizei-Mitteilung heißt es: „Derzeitigen Erkenntnissen zufolge wurde die 60-jährige Frau am vergangenen Sonntag kurz vor 13 Uhr von den Einsatzkräften am Großen Stern in Tiergarten festgenommen, weil Sie sich an einer unerlaubten Ansammlung beteiligt und sich trotz mehrfacher Aufforderung nicht entfernt haben soll.“
Sie habe zudem einem Polizisten in den Bauch getreten und versucht, einer weiteren Dienstkraft in den Arm zu beißen. „Da sie sich weiterhin wehrte, schlug ein Beamter ihr mit der Faust auf den Rücken. Die 60-Jährige wurde bei der Festnahme leicht verletzt, verzichtete jedoch auf eine angebotene ärztliche Behandlung und konnte anschließend ihren Weg fortsetzen.“
Auf Facebook wird der Vorfall von der Polizei ähnlich beschrieben: „Eine 60-Jährige aus Baden-Württemberg wird von einem Polizisten angesprochen, dass sie gehen soll. Sie kauert sich daraufhin auf den Boden und tritt einem Beamten in den Bauch. Als die Beamten versuchen, sie wegzutragen, versucht sie einem weiteren in die Hand zu beißen. Daraufhin wird sie unter lautem Geschrei auf den Bauch gedreht. Da sie sich auch weiterhin wehrt, wird ihr mit der Faust auf den Rücken geschlagen, um ihren Widerstand zu brechen. Anschließend kann sie festgenommen und weggeführt werden. Sie erlitt Schürfwunden, lehnte eine ärztliche Behandlung ab und wurde nach Identitätsfeststellung und Platzverweis entlassen. Sie sieht nun Ermittlungsverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte sowie Körperverletzung entgegen. Anders als auf Social Media behauptet, haben wir keine Anhaltspunkte für weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen der Frau. Unsere Kollegen blieben unverletzt.“
Der Berliner Polizei zufolge ermittelt „nun ein Fachkommissariat des Landeskriminalamtes wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt“.
Auf unsere Anfrage teilte die Berliner Feuerwehr, die die Einsätze von Rettungswagen koordiniert, mit, dass an dem Sonntag zwischen 13 und 14 Uhr fünf Alarme für den Großen Stern in Berlin-Tiergarten in der Rettungsstelle eingegangen seien. „Bei einem handelte es sich laut Meldung um eine ca. 60 Jahre alte weibliche Person“, schrieb uns ein Sprecher. Diese sei in eine Klinik transportiert worden.
Ob es sich dabei um die Frau handelt, die in dem Video zu sehen ist, konnte die Feuerwehr uns aus Datenschutzgründen nicht bestätigen. Auch fünf nahegelegene Krankenhäuser gaben uns auf unsere Anfrage per Telefon keine Auskunft. Lediglich eines teilte uns mit, dass dort in dem genannten Zeitraum keine 60-jährige Frau eingeliefert worden sei.
Verbreiter der Behauptung, die Frau sei in Folge des Polizeieinsatzes gestorben, korrigierten sich teilweise
Die Behauptung, die Frau sei verstorben, wurde jedoch auch im Netz bereits teilweise zurückgenommen und korrigiert. So auch beispielsweise in dem Telegram-Kanal von Bodo Schiffmann. „WICHTIG – Das Opfer der Polizeigewalt ist nicht gestorben!”, hieß es darin am 31. August um 15:44 Uhr. Dazu wurde ein Screenshot eines Facebook-Beitrags veröffentlicht.
In den Kommentaren dazu finden sich Screenshots aus einer mutmaßlichen Unterhaltung vom 30. August mit einem Bekannten der Frau in dem Video. Darin ist nichts davon zu lesen, dass die Frau schwer verletzt oder verstorben sei. Die Verfasserin des Facebook-Beitrags bezeichnet die Meldung, die Frau sei gestorben, als „Fake“.
Fazit: Die Videos und Fotos im Netz zeigen einen Polizeieinsatz vom 30. August am Großen Stern in Berlin-Tiergarten. Dabei wurde eine Frau verletzt, das Landeskriminalamt ermittelt deswegen laut Polizei wegen Verdachts der Körperverletzung. Die Behauptung, die Frau sei auf dem Weg in die Dienststelle verstorben, ist jedoch falsch. Laut der Polizei wurde sie nicht auf eine Dienststelle mitgenommen und erlitt nur leichte Verletzungen.
Wie stark ihre Verletzungen sind und was genau nach dem Einsatz mit ihr geschah, ist unbelegt.