Faktencheck

Irreführender Vergleich von Todesfällen durch Influenza und Covid-19 im Umlauf

In einer Grafik, die auf Facebook geteilt wird, werden Todesfälle durch Grippeviren mit den Todesfällen durch das neuartige Coronavirus verglichen. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Zahlen auf Deutschland beziehen – gemeint ist jedoch Österreich. Die Angaben sind zudem nicht alle korrekt und der Vergleich nicht sinnvoll.

von Alice Echtermann

Grafik mit falschen Zahlen zu Influenza und Corona
Diese Grafik wurde am 5. September auf Facebook geteilt. Sie enthält durchweg falsche Daten und irreführende Behauptungen. (Screenshot: CORRECTIV)
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Teilweise falsch
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Teilweise falsch. Die Zahlen zu Covid-19 und Influenza lassen sich nicht sinnvoll vergleichen. Einige Angaben in der Grafik sind zudem veraltet, falsch oder unbelegt.

Update 17. September 2020: Da die Grafik von einem Facebook-Account in Deutschland geteilt wird, entsteht der Eindruck, die Zahlen bezögen sich auf Deutschland. Nach Veröffentlichung dieses Faktenchecks erhielten wir den Hinweis, dass sie für Österreich plausibler seien. Wir haben den Artikel daher überarbeitet und die Daten noch einmal in Bezug auf Österreich geprüft. Die Bewertung haben wir von „größtenteils falsch“ zu „teilweise falsch“ verändert. 

Auf Facebook kursiert eine Grafik mit angeblichen Zahlen zu Todesfällen durch Influenza in den vergangenen zwei Grippesaisons. Diese werden mit Todeszahlen durch Covid-19 verglichen. Die Botschaft: Durch die Grippe seien in den letzten Jahren viel mehr Menschen gestorben als durch Corona, trotzdem sei die Wirtschaft damals intakt geblieben. 

Der Facebook-Beitrag wurde am 5. September veröffentlicht und bisher rund 900 Mal geteilt. Da der Nutzer, der ihn veröffentlicht hat, nach Angaben in seinem Profil in Berlin lebt und keine anderweitigen Angaben zu der Grafik macht, entsteht der Eindruck, die Zahlen bezögen sich auf Deutschland. Somit wären sie alle falsch.   

Tatsächlich passen die Werte zu Österreich. Doch auch hier sind nicht alle Angaben korrekt. Der Vergleich von Covid-19 und Influenza ist zudem insgesamt irreführend, weil die Zahl der Grippetoten anders erhoben wird als die Coronavirus-Fälle. 

Daten beziehen sich auf Österreich

Die Grafik nennt folgende Zahlen:

  1. Influenza 2017 / 2018: 400.000 Erkrankte, 2.800 Todesfälle 
  2. Influenza 2018 / 2019: 150.000 Erkrankte, 1.400 Todesfälle
  3. Corona 2020: 750.000 Tests, 19.612 positiv, 711 Todesfälle

Darunter steht außerdem, es seien jetzt wegen der Corona-Pandemie eine Million Menschen arbeitslos oder in Kurzarbeit, es gebe mehr Suizide und Depressionen. Diese Angaben sind nach Recherchen von CORRECTIV ebenfalls falsch oder unbelegt.

Grippe-Todesfälle werden statistisch geschätzt

Laut Robert-Koch-Institut ist es international üblich, die Zahl der Todesfälle durch Influenza statistisch zu schätzen. „Es ist die Erfahrung vieler Länder, dass sich Todesfälle, die der Influenza zuzuschreiben sind, in anderen Todesursachen, wie zum Beispiel Diabetes mellitus, Pneumonie oder Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems verbergen können.“ 

Das RKI präsentiert die Daten für Deutschland in Saisonberichten. Die Zahlen beruhen nicht auf positiven Testergebnissen, sondern auf der sogenannten Exzess-Mortalität. Damit ist die Zahl der zusätzlichen Todesfälle in einem bestimmten Zeitraum gemeint (PDF, Seite 21). „Während hinreichend starker Influenzawellen kann ein Mortalitätsanstieg beobachtet werden, der mehr oder weniger deutlich über die Hintergrundmortalität hinausgeht und der Influenza zugeschrieben wird“, erklärt das RKI. Die Hintergrundmortalität bezeichnet die jeweils erwartete Todesrate ohne den Einfluss von Influenza. Die geschätzten Grippe-Todeszahlen liegen also meist weit über den tatsächlich gemeldeten, laborbestätigten Fällen. 

Influenza-Zahlen für Österreich korrekt, aber nicht mit Covid-19 vergleichbar

Laut der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) wird die Zahl der Grippe-Toten für Österreich ebenfalls durch Modellierungen geschätzt. In der Saison 2017 / 2018 lag die Zahl bei 2.851. In der Saison 2018 / 2019 wares es geschätzt 1.373 Fälle, und in der aktuellen Saison (2019 / 2020) 834. Die Werte stimmen also gerundet mit den Zahlen in der Grafik überein. 

Die Angaben in der Grafik zu Covid-19 sind dagegen veraltet. Aktuell meldet das österreichische Sozialministerium insgesamt 35.902 bestätigte Corona-Fälle, 758 Todesfälle und insgesamt rund 1,4 Millionen Testungen (Stand: 16./17. September). 

Die Zahl von 711 Todesfällen, die in der Grafik genannt wird, lässt vermuten, dass die Daten von Ende Juli stammen: Laut dem Dashboard des Gesundheitsministeriums gab es in Österreich am 25. Juli 709 Todesfälle durch Covid-19. Am 27. Juli waren es 712.

Darüber hinaus ist ein direkter Vergleich der Covid-19-Zahlen mit denen der Influenza nicht sinnvoll. Das gilt für Deutschland wie für Österreich. Denn: Die Grippe-Todesfälle werden anhand von statistischen Modellen geschätzt, während es sich bei den Covid-19-Todesfällen um laborbestätigte Fälle handelt. Wir haben zu diesem Thema bereits einen ausführlichen Faktencheck veröffentlicht.  

Influenza- und Corona-Zahlen für Deutschland passen nicht zur Grafik auf Facebook

Für die Saison 2017 / 2018 wurden in Deutschland laut RKI rund 334.000 laborbestätigte Fälle von Influenza übermittelt (PDF, Seite 33). Die Zahl der Erkrankten lag mutmaßlich viel höher: „Die Zahl der Influenza-bedingten Arztbesuche in der Saison 2017/18 wurde auf rund 9 Millionen geschätzt“, schreibt das RKI (Seite 7). 

Es gab 1.674 Todesfälle mit bestätigter Influenzavirus-Infektion. Die statistische Schätzung geht jedoch von 25.100 Todesfällen aus (PDF, Seite 47).

Die Grippewelle 2017 / 2018 sei ungewöhnlich stark gewesen, schreibt das RKI (Seite 7). Die darauffolgende Saison (2018 / 2019) sei weniger schlimm gewesen: Es wurden laut RKI 954 laborbestätigte Grippe-Todesfälle gemeldet. Die Zahl der übermittelten Infektionen lag bei rund 182.000 (PDF, Seite 33). Die geschätzten Todeszahlen aufgrund der Exzess-Mortalität liegen noch nicht vor (PDF, Seite 47).

Aktuell werden laut RKI pro Woche in Deutschland mehr als eine Million Tests durchgeführt. Insgesamt waren bisher 259.428 Tests positiv (Stand 13. September). 9.349 Menschen sind in Deutschland im Zusammenhang mit einer Coronavirus-Infektion gestorben (Stand 13. September). 

Keine Belege für mehr Suizide während der Corona-Pandemie

In der Grafik heißt es weiter, durch die Corona-Krise seien die Suizide und Depressionen angestiegen. Im Frühjahr gab es in Deutschland tatsächlich Warnungen von Experten diesbezüglich. Dafür, dass dies eingetreten ist, gibt es jedoch bisher keine Belege. 

Wir konnten keine aktuelle Statistik zu Suiziden in Österreich finden. Die Todesursachen-Statistiken für Deutschland beim Statistischen Bundesamt liegen ebenfalls nur bis 2018 vor. Laut einem Bericht der Deutschen Welle gibt es jeweils eine Studie aus Österreich und Deutschland: Ihnen zufolge sagten während der Corona-Krise mehr Menschen über sich selbst, dass sie aggressiver oder gereizter seien oder „depressive Verstimmungen“ hätten. Ein Autor der österreichischen Studie sagte der Deutschen Welle, es habe „definitiv eine Zunahme depressiver Erkrankungen gegeben“. 

Aus einer Beantwortung einer Anfrage im österreichischen Parlament vom 18. August geht jedoch kein Anstieg der Polizeieinsätze wegen Suiziden oder Suizidversuchen im Vergleich zu den Vorjahren hervor. 

Die Augsburger Allgemeine berichtete Anfang Mai 2020 über Zahlen aus sieben deutschen Bundesländern und kam zu dem Schluss, dort seien die Suizid-Fälle nicht gestiegen. Auch in Berlin lässt sich kein Anstieg belegen, wie CORRECTIV bereits für einen Faktencheck recherchierte. 

Keine Million mehr Arbeitslose wegen Corona in Österreich

Auch dass wegen der Corona-Maßnahmen eine Million Menschen „arbeitslos oder in Kurzarbeit“ seien, wie in der Grafik behauptet wird, stimmt nicht. 

Wie uns eine Sprecherin des Arbeitsmarktservice Österreich per E-Mail mitteilte, stieg die Arbeitslosigkeit in Österreich vom 15. März (Tag vor Beginn des Lockdowns) bis 13. April um 223.105 Personen. Somit waren am 13. April in Österreich insgesamt 533.621 Menschen arbeitslos. Inzwischen sei die Arbeitslosigkeit wieder auf 371.893 Personen gesunken. 

Am Höhepunkt seien zudem rund 1,3 Millionen Menschen in Kurzarbeit gewesen. Diese Zahl sei mittlerweile wieder auf rund 400.000 gesunken. 

Die E-Mail des Arbeitsmarktservice Österreich an CORRECTIV. (Screenshot: CORRECTIV)

Arbeitslosenzahlen für Deutschland während Corona-Krise nicht um eine Million gestiegen

Laut Bundesagentur für Arbeit lag die Zahl der Arbeitnehmer in Deutschland, die Kurzarbeitergeld bekamen, im Juni bei 5,36 Millionen. In den Monaten davor waren es noch etwas mehr gewesen. „Durch die Zahlung von Kurzarbeitergeld bei vorübergehend schwierigen Wirtschaftsbedingungen sollen den Betrieben ihre eingearbeiteten Mitarbeiter und den Arbeitnehmern ihre Arbeitsplätze erhalten werden, um so Arbeitslosigkeit zu vermeiden“, schreibt die Arbeitsagentur dazu (PDF, Seite 9). 

Es gab dennoch einen Anstieg der Arbeitslosigkeit durch die Corona-Krise – allerdings nicht um eine Million Menschen. Die Bundesagentur für Arbeit berechnet den „Corona-Effekt“ auf den Arbeitsmarkt und kommt zu dem Schluss, dass dieser vor allem im April und Mai zu mehr Arbeitslosigkeit führte. Danach wurde der Effekt nach und nach schwächer. „Seit Juli gibt es somit praktisch keinen zusätzlichen erhöhenden Effekt durch Corona. Der Gesamt-Corona-Effekt als Summe der Monate April, Mai, Juni, Juli und August beträgt 637.000.“ (PDF, Seite 12 und 13). 

Es gibt beziehungsweise gab also nach diesen Berechnungen 637.000 mehr Arbeitslose in Deutschland aufgrund der Corona-Krise. Insgesamt waren im August 2020 rund 2,96 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos. 

Fazit: Die Daten in der Grafik beziehen sich auf Österreich, nicht auf Deutschland. Der Vergleich von Covid-19 und Influenza führt in die Irre, da die Zahlen unterschiedlich erhoben werden. Zudem sind die Angaben zur Arbeitslosigkeit falsch. Die Behauptung, durch die Corona-Maßnahmen gebe es mehr Suizide oder Depressionen, ist unbelegt. 

Wenn Sie Depressionen oder suizidale Gedanken haben, bekommen Sie Hilfe zum Beispiel bei der Telefonseelsorge (unter 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222) oder anderen Beratungsstellen.