Faktencheck

Nein, es wurde kein Immunitätsausweis beschlossen

Auf einer Webseite wird behauptet, es wäre Mitte September ein Gesetz beschlossen worden, das die Einführung eines Immunitätsausweises erlaube. Das ist falsch. Der deutsche Ethikrat lehnte einen solchen Nachweis explizit ab.

von Steffen Kutzner

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Kurze Zeit war im Gespräch, dass der Nachweis einer Immunität gegen SARS-CoV-2 im Impfpass stehen soll. (Quelle: Tim Reckmann / Flickr / CC BY 2.0)
Behauptung
Die Bundesregierung habe im September ein Gesetz beschlossen, das einen Immunitätsausweis ermögliche.
Bewertung
Falsch. Der Immunitätsausweis war zunächst in einem Gesetzesentwurf Ende April vorgesehen, wurde aber schon wenige Tage später wieder gestrichen.

„Das Vorhaben wurde geräuschlos und weitgehend unbemerkt vergangenen Mittwoch in Merkels Bundeskabinett beschlossen“, heißt es auf der Internetseite News-For-Friends. Die Rede ist dort von einem Immunitätsausweis. Damit wolle „Angela Merkel nun den totalen Überwachungsstaat errichten“, heißt es weiter. 

Unsere Recherchen ergaben: Ein solcher Ausweis war zwar zu Beginn der Pandemie im Gespräch, er wurde jedoch nie umgesetzt. Der Beitrag ist eine wortgenaue Kopie eines Textes, der am 4. Mai auf einem WordPress-Blog, der kein Impressum hat, veröffentlicht worden war. Doch auch damals handelte es sich um eine Falschinformation: Es wurde kein Gesetz beschlossen, das einen Immunitätsausweis ermöglichte.

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So verlief die Debatte um den Covid-19-Immunitätsausweis

25. März 2020: Der Bundestag berät zum ersten Mal über einen am Vortag eingebrachten Gesetzentwurf zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, das im Wesentlichen das Infektionsschutzgesetz erweitert und die Maßnahmen gegen die Pandemie ermöglicht. Es wurde am 26. März beschlossen. Von einem Immunitätsausweis ist darin nicht die Rede.

Beim ersten Gesetz blieb es nicht: Im zweiten Gesetzentwurf, der Ende April diskutiert wurde, kam eine „Immunitätsdokumentation“ vor. Deren Zweck sollte sein, Menschen, die ihre Immunität nachweisen können, von einzelnen Corona-Maßnahmen zu befreien. Diese Dokumentation sollte „analog der Impfdokumentation (auch zusammen in einem Dokument)“ vermerkt werden; die Idee war also ein Stempel im Impfpass (Seite 2).

Am 29. April 2020 erklärte Gesundheitsminister Jens Spahn bei einer Pressekonferenz, dass der vorgesehene Immunitätsnachweis lediglich als „vorsorgliche Regelung“ gedacht sei. Diese Regelung sollte explizit erst zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft in Kraft treten, an dem gesicherte Erkenntnisse über eine etwaige Immunität nach durchlebter Covid-19-Erkrankung vorliegen würden (ab Minute 10:38 im Video). Spahn betont das in seiner Antwort mehrfach. 

Deutliche Kritik an Immunitätsausweis – dann wird er aus dem Gesetzentwurf gestrichen

Anfang Mai wurde Kritik an der Idee des Immunitätsausweises laut. In einem Kommentar im Tagesspiegel hieß es, der Vorschlag sei „gefährlich“. Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz, erklärte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Der Immunitätsausweis wäre ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“ und würde die Gesellschaft spalten. Spahn ordnete die Kritik später in einem Interview als „nachvollziehbar“ ein. „Wir brauchen als Gesellschaft mehr Zeit, dieses Thema zu debattieren.“

Medienberichten zufolge hatte zuerst die Bild am Sonntag am 3. Mai geschrieben, dass sich Spahn wegen der Bedenken an den Ethikrat gewendet hatte. In der Fassung vom 5. Mai 2020 ist die angedachte Immunitätsdokumentation nicht mehr vorhanden. Der Nachweis stand also nur sechs Tage, vom 29. April bis 5. Mai, in dem Entwurf. Am 19. Mai 2020 wurde das zweite Gesetz beschlossen – ohne Immunitätsdokumentation.

Am 22. September lehnte der Ethikrat Immunitätsbescheinigungen in der von Spahn erbetenen Stellungnahme ab (Seite 46).

Fazit: Bereits im Mai wurde behauptet, dass „vor zwei Wochen“ ein Gesetz beschlossen worden wäre, das einen Immunitätsausweis ermögliche. Doch das stimmt nicht. Ende April war lediglich eine sogenannte Immunitätsdokumentation im Gespräch, sie wurde aber aus einem Gesetzentwurf gestrichen.

Redigaturen: Sarah Thust, Till Eckert