Faktencheck

Krankenhausdaten: Nein, es werden nicht zwei Drittel der Corona-Toten ohne Virusnachweis gemeldet

In einem Artikel von „Wochenblick“ vom 6. Januar wird behauptet, bei zwei Drittel der Todesfälle sei das Coronavirus nicht nachgewiesen worden. Es handele sich lediglich um Verdachtsfälle. Als angeblicher Beleg dient ein Bericht der Initiative Qualitätsmedizin (IQM), der jedoch falsch interpretiert wird. 

von Alice Echtermann

Symbolbild Arzt Krankenhaus
Daten aus Krankenhäusern, die der Transparenz dienen sollen, werden in einem Online-Artikel irreführend interpretiert. (Symbolfoto: Valelopardo / Pixabay)
Behauptung
Laut einem Bericht der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) sei bei „zwei Drittel der Covid-Toten“ und 77 Prozent der „offiziell gemeldeten“ Covid-19-Fälle kein Virus nachgewiesen worden. Dies sei eine „dreiste Fälschung der tatsächlichen Verhältnisse“.
Bewertung
Größtenteils falsch
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Größtenteils falsch. Die Daten werden irreführend dargestellt. Offiziell gemeldet werden nur laborbestätigte Fälle – nur sie fließen in die veröffentlichten Corona-Zahlen des Robert-Koch-Instituts ein. 

In einem Artikel bezeichnet die österreichische Webseite Wochenblick Covid-19 als „Papier-Pandemie“. Es wird behauptet, bei zwei Drittel der Todesfälle und der Mehrheit der gemeldeten Corona-Fälle gebe es keinen Nachweis des Virus SARS-CoV-2. Dies beweise angeblich eine Auswertung der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) für Krankenhäuser in Deutschland, die Wochenblick auch verlinkt. Der Artikel wurde laut dem Analysetool Crowdtangle bereits mehr als 3.990 Mal auf Facebook geteilt. 

Dem Verein IQM gehören nach eigenen Angaben hunderte Krankenhäuser aus Deutschland und der Schweiz an. Der besagte Bericht ist eine Auswertung von Daten aus 421 Krankenhäusern in Deutschland. Er belegt die Behauptung von Wochenblick jedoch nicht, sondern wird falsch interpretiert. Verdachtsfälle wurden zwar erhoben, doch sie zählen nicht in der Covid-19-Statistik. Sowohl bei den Corona-Fällen als auch bei den Todesfällen werden im Zusammenhang mit Covid-19 nur laborbestätigte Infektionen gezählt. 

IQM-Krankenhäuser dokumentieren im ersten Halbjahr viele Covid-19-Verdachtsfälle

Im Bericht des IQM wurde unter anderem erfasst, wie häufig die 421 Krankenhäuser Covid-19-Fälle oder Covid-19-Verdachtsfälle dokumentiert haben. Diese Dokumentation geschieht über Codes, die für Diagnosen stehen – der Code U07.1 steht für eine bestätigte Covid-19-Infektion, der Code U07.2 für einen Covid-19-Verdachtsfall ohne Labornachweis. Für den IQM-Bericht wurde ausgewertet, wie oft die Krankenhäuser diese Codes verwendet haben. 

Die IQM schreibt, die Zahl der Verdachtsfälle habe dabei viel höher gelegen als die der bestätigten Fälle: „Die Beobachtung, dass ca. dreimal mehr Fälle mit Covid-Verdacht als mit einer nachgewiesenen Infektion kodiert waren, ist absolut erstaunlich.“ Eine mögliche Erklärung sei die Sensibilisierung für das Thema; so sei wahrscheinlich jeder Patient mit passenden Symptomen zunächst als Verdachtsfall eingestuft worden.

Wochenblick stützt sich in dem Artikel auf eine Tabelle aus dem IQM-Bericht, in der die Häufigkeit der Codes U07.1 und U07.2 angegeben wird. Die Autoren addierten die Zahlen dieser beiden Kategorien und schlussfolgerten, dass im ersten Halbjahr 2020 61.702 Covid-19-Fälle „offiziell gemeldet“ worden seien. Bei 77 Prozent davon habe kein Virusnachweis vorgelegen. Dies bezeichnet Wochenblick als „dreiste Fälschung der tatsächlichen Verhältnisse“.

Das ist jedoch irreführend. 

Tabelle mit Daten aus den Krankenhäusern
Darstellung der Tabelle aus dem IQM-Bericht auf der Webseite von Wochenblick. Hervorhebungen im Original. (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Nur laborbestätigte Corona-Fälle werden offiziell gemeldet

Die Daten aus dem Bericht seien „falsch zusammengefasst und unzutreffend geschlussfolgert“, teilte uns der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der IQM, Ralf Kuhlen, auf Nachfrage mit. Offiziell gemeldet würden nur die Patienten mit einem Virusnachweis. 

So steht es auch in den täglichen Lageberichten des Robert-Koch-Instituts, das die Fallzahlen für Deutschland kommuniziert. In dem Bericht vom 7. Januar 2021 wird erklärt: „Covid-19-Verdachtsfälle und Covid-19-Erkrankungen sowie Labornachweise von SARS-CoV-2 werden gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) an das Gesundheitsamt gemeldet. Das Gesundheitsamt übermittelt diese Daten über die zuständige Landesbehörde an das Robert Koch-Institut (RKI). Im vorliegenden Lagebericht werden die bundesweit einheitlich erfassten und an das RKI übermittelten Daten zu laborbestätigten Covid-19-Fällen dargestellt.“

Dokumentation von Verdachtsfällen ist keine „Fälschung“ der Fallzahlen 

Das heißt: Veröffentlicht werden vom RKI immer nur die laborbestätigten Fälle, bei denen das Virus mit einem PCR-Test oder einer Erregerisolierung nachgewiesen wurde (PDF, Seite 8). Die Dokumentation von Verdachtsfällen ist also keine „Fälschung“ der Statistiken. 

Der Code U07.2 für einen Covid-19-Verdachtsfall könne drei verschiedene Dinge bedeuten, erklärte uns Ralf Kuhlen am Telefon. Erstens: Der Patient hatte kein Covid-19. Zweitens: Er hatte Covid-19, aber der PCR-Test war falsch-negativ. Dies sei aber selten. Und drittens: Der Patient hatte keine Möglichkeit, einen PCR-Test zu bekommen. Dies sei aber nur ganz zu Beginn der Pandemie möglich gewesen, später seien ausreichend Tests durchgeführt worden, sagte Kuhlen. 

In einer E-Mail schrieb uns Kuhlen außerdem: „Ohne Frage ist die Anzahl der als Verdachtsfall kodierten Patienten mit U07.2 hoch, was zum damaligen Zeitpunkt der Vorsicht und Unsicherheit im Umgang mit der Kodierung zuzuschreiben sein kann. […] In unserer nachfolgenden Analyse zeigt sich, dass der Anteil der Verdachtsfälle U07.2 deutlich zurückgegangen ist – hier auch der größeren Erfahrung im Umgang mit der Erkrankung und Kodierung zuzurechnen.“

Die Antworten von Ralf Kuhlen von der IQM per E-Mail. (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Daten im IQM-Bericht sollen Transparenz bringen

Die Daten der IQM sollten Transparenz schaffen und eine Grundlage für die Bewertung der Corona-Maßnahmen bilden. Sie würden aber fälschlich genutzt, um die Pandemie zu verharmlosen, so der Mediziner weiter. „In Anbetracht der Schwere der aktuellen Covid-Situation ist es uns völlig unverständlich, wie man die Fakten in Abrede stellen oder gar gezielt manipulieren will“, schrieb er uns.

Kuhlen ist außerdem medizinischer Geschäftsführer von Helios. Dabei erlebte er kürzlich, wie im Netz auch Daten der Helios-Kliniken irreführend zitiert wurden (wir berichteten). 

Auszug aus der E-Mail von Ralf Kuhlen. (Screenshot und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck)

Die IQM hatte ihrem Bericht bereits im November ein Statement beigefügt, in dem es heißt: „IQM distanziert sich ausdrücklich davon, dass die Analyse genutzt wird, falsche Behauptungen zur Covid-19-Pandemie zu untermauern und die Relevanz sowie die Auswirkungen von Covid-19 zu verharmlosen.“ 

Wochenblick behauptet in seinem Artikel übrigens auch, dass es keine oder nur eine geringe Übersterblichkeit durch die Pandemie gebe. Dafür gibt es keine Belege. Aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes zu wöchentlichen Sterbefallzahlen Deutschland zeigen, dass es sowohl im April als auch im Dezember 2020 zu einer Übersterblichkeit kam. Das heißt, es starben in diesen Zeiträumen mehr Menschen als im Durchschnitt der Vorjahre. Dieser Anstieg korreliert mit dem Anstieg der Covid-19-Todesfälle. Am 11. Januar 2021 lagen beim Statistischen Bundesamt die vorläufigen Sterbefall-Daten allerdings erst bis zum 13. Dezember 2020 vor. 

Redigatur: Sarah Thust, Uschi Jonas

Update, 12. Januar 2021: In einer früheren Textversion hatten wir geschrieben, Ralf Kuhlen sei medizinischer Geschäftsführer bei Helios Deutschland – wir haben diesen Fehler korrigiert. 

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Bericht der Initiative Qualitätsmedizin „Effekte der SARS-CoV-2 Pandemie auf die stationäre Versorgung im ersten Halbjahr 2020“: Link
  • Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom 7. Januar 2021: Link