Nein, die WHO hat PCR-Tests nicht als unzuverlässig eingestuft
Hat die Weltgesundheitsorganisation die „Epidemische Lage von Nationaler Tragweite“ beendet, weil sie PCR-Tests als „unzuverlässig“ einstufte? Das wird auf mehreren Webseiten behauptet. Das Dokument der WHO, aus dem die Behauptung abgeleitet wird, enthält aber lediglich eine Empfehlung, nicht eindeutige PCR-Testergebnisse mit einem zweiten Test zu bestätigen. Dieser Hinweis und die Erkenntnisse sind keineswegs neu.
„Unglaublich: WHO warnt vor Unzuverlässigkeit von PCR-Test“, titelte die Webseite Reitschuster am 22. Januar. Die Behauptung in der Überschrift ist jedoch falsch. Grundlage dafür soll eine Informationsnotiz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sein. Dieselbe Notiz wird aktuell in verschiedenen Berichten als Grundlage herangezogen, um zum Beispiel zu behaupten, die WHO habe unvermittelt das „Covid-Testverfahren geändert“ (Uncut-News). Auf den Webseiten Achgut und Vera Lengsfeld heißt es, die WHO habe mit dieser Änderung die „Epidemische Lage von nationaler Tragweite“ in Deutschland „beendet“.
In Sozialen Netzwerken verbreiten zum Beispiel die AfD-Politikerin Katrin Ebner-Steiner und die AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag diese Behauptungen. Bei Watergate.tv heißt es sogar, die WHO habe mit ihrer Aussage zu PCR-Tests die Pandemie beendet.
CORRECTIV.Faktencheck hat recherchiert: Die Berichte sind irreführend. Es stimmt nicht, dass die WHO PCR-Tests als „unzuverlässig“ eingestuft hat. Und ihre Einschätzung zur Covid-19-Pandemie hat sich ebenfalls nicht verändert.
Was steht in dem WHO-Dokument?
Als Quelle für die Behauptung wird auf allen Webseiten ein Dokument der WHO genannt. Dabei handelt es sich um einen Hinweis zur Anwendung von PCR-Tests für die Covid-19-Diagnose. Der Zweck des Hinweises wird explizit angegeben: „Die WHO fordert Benutzer von PCR-Tests auf, die Gebrauchsanweisung zu befolgen, wenn die Ergebnisse interpretiert werden.“
Wenn das Testergebnis nicht zum Krankheitsbild passt, solle ein zweiter Test mit einer zweiten Probe gemacht werden, um das Ergebnis zu bestätigen, heißt es in der Mitteilung der WHO. Eine solche Ungereimtheit könnte beispielsweise ein positives Ergebnis sein, obwohl der Patient keine Covid-19-Symptome hat – oder umgekehrt. Es geht also lediglich darum, dass ein Testergebnis, das unerwartet oder schwierig zu interpretieren ist, noch einmal überprüft werden soll.
WHO-Sprecherin: Informationsschreiben wurde aus dem Kontext gerissen
Das bestätigt auch die WHO selbst. Eine Sprecherin schreibt uns auf Anfrage per E-Mail, das Dokument belege nicht, dass die WHO PCR-Tests für unzuverlässig oder fehlerhaft halte. Stattdessen sei das Informationsschreiben aus dem Kontext gerissen worden.
Der Hintergrund sei folgender: Seit Beginn 2020 seien insgesamt zehn Berichte über Probleme mit den Ergebnissen von PCR-Tests bei der WHO eingegangen, die entweder auf falsch-positive oder falsch-negative Ergebnisse bezogen waren. Die WHO habe herausgefunden, dass die Tests nicht immer korrekt nach den Anweisungen der Hersteller durchgeführt würden. „PCR-Tests sind zuverlässig […], doch sie erfordern eine gewisse Labor-Infrastruktur und Ressourcen, was in Zeiten von Ressourcenknappheit eine Herausforderung sein kann“, so die Sprecherin der WHO.
Wegen der berichteten Probleme habe die WHO am 14. Dezember ein Informationsschreiben veröffentlicht, das zur sorgfältigen Handhabung und Auswertung der Tests aufruft. Das Schreiben wurde im Januar mit leichten sprachlichen Klarstellungen noch einmal veröffentlicht.
Was ist der Ct-Wert?
Im Dokument der WHO wird auf den Cycle Threshold oder Ct-Wert verwiesen. Das ist der sogenannte Zyklus-Schwellenwert. Er gibt an, wie oft Viruspartikel durch das PCR-Verfahren vermehrt werden müssen, bevor der Test ein positives Ergebnis anzeigt. Der Ct-Wert sei umgekehrt proportional zur Viruslast eines Patienten, so die WHO.
Diese Erkenntnis ist jedoch kein „Sprengstoff von wahrhaft planetarer Bedeutung“, wie es im Text von Achgut heißt, sondern ein lange bekannter Umstand.
Die umgekehrte Proportionalität hatte Sandra Ciesek, die Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Uniklinikum in Frankfurt am Main, schon im September 2020 im NDR-Podcast „Coronavirus-Update“ erklärt (Seite 6 und 8 in diesem Skript): Die Probe werde im Labor mit bestimmten Stoffen vermischt und dann in Zyklen abwechselnd erhitzt und abgekühlt. „Und dieser Ct-Wert, der heißt cycle treshold, das ist praktisch die Menge der Zyklen, die man braucht, um ein positives Ergebnis zu haben und um einen Nachweis des Virus zu haben. Deshalb ist es so, wenn der Ct-Wert niedrig ist, heißt das, dass wir schon sehr früh, also nur sehr wenige von diesen Zyklen brauchen, um das Virus sichtbar zu machen. Das heißt, es ist viel da. Und wenn der Ct-Wert hoch ist, bedeutet das, wir brauchen ganz viele Runden in der PCR, um überhaupt Viren zu finden. Und dann ist die Viruslast in der Regel niedriger.“
Relevant ist das deshalb, weil eine hohe Viruslast laut Robert-Koch-Institut (RKI) mit der Vermehrungsfähigkeit der Viren korreliert. Und vermehren sich die Viren, ist es wahrscheinlich, dass der Patient auch ansteckend (infektiös) ist. Sandra Ciesek warnte jedoch bereits, dass Ct-Werte nicht gut vergleichbar seien: Sie könnten stark schwanken, je nachdem, wie der Abstrich genommen wird und in welchem Krankheitsstadium der Mensch sei.
Empfehlung der WHO, schwach-positive Tests zu bestätigen, besteht schon mindestens seit September 2020
Die Hinweise der WHO bezüglich des Ct-Wertes sind nicht neu: Im WHO-Leitfaden für SARS-CoV-2-Diagnostik vom 11. September 2020 heißt es (Seite 6 im Dokument): „Schwach-positive Testergebnisse müssen vorsichtig interpretiert werden, weil es bei hohen Ct-Werten mitunter zu falschen Ergebnissen kommen kann. Ist ein Testergebnis ungültig oder fragwürdig, sollte eine weitere Probe beim Patienten entnommen und der Test wiederholt werden.“
Mit ähnlichem Wortlaut findet sich die Anweisung auch schon im Leitfaden der WHO vom 19. März 2020, der hier heruntergeladen werden kann. Dort heißt es, dass jedes widersprüchlich erscheinende Testergebnis noch einmal überprüft und bestätigt werden solle (Seite 2).
Der Hintergrund sei, so eine Sprecherin der WHO gegenüber CORRECTIV.Faktencheck, dass Menschen, deren Tests einen sehr hohen Ct-Wert haben, früher aus der Quarantäne entlassen werden könnten, wenn der zweite Test ein paar Tage später negativ ausfalle. Denn das sei ein Hinweis darauf, dass der erste Test zum Ende der Infektion genommen worden sei, als die Viruslast schon gering war.
Das Robert-Koch-Institut verweist seit Monaten auf den Ct-Wert
Reitschuster schreibt über die WHO-Hinweise, sie widersprächen nach seinem Kenntnisstand „elementar“ dem, wie die Tests „bislang in Deutschland gehandhabt werden“. Doch auch das RKI weist bereits seit Monaten in seinen „Hinweisen zur Testung von Patienten auf SARS-CoV-2“ auf den Ct-Wert hin.
Wie wir für einen Faktencheck im September 2020 recherchierten, forderte das RKI bereits damals eine Überprüfung von unklaren Ergebnissen mit „grenzwertigen Ct-Werten“.
Außerdem weist die WHO in ihren Handlungsanweisungen für Labore darauf hin, dass mit sinkender Prävalenz das Risiko falsch-positiver Testergebnisse steige. Das bedeutet, dass die mathematische Wahrscheinlichkeit für fehlerhafte Testergebnisse steigt, wenn die Krankheit in der getesteten Menschengruppe nur selten vorkommt. Auch das ist seit langem bekannt – CORRECTIV.Faktencheck hat darüber bereits im Juni 2020 ausführlich berichtet.
Die Behauptung, die Hinweise der WHO zu PCR-Tests bedeuteten das Ende der „Epidemischen Lage von Nationaler Tragweite“ (oder gleich der ganzen Pandemie), führt also in die Irre.
WHO warnt nicht vor PCR-Tests
Die Hinweise der WHO, dass der Ct-Wert vorsichtig interpretiert werden muss, bedeuten nicht, dass die WHO vor einer angeblichen Unzuverlässigkeit von PCR-Tests warnen würde, wie es etwa bei Reitschuster behauptet wird.
Im Gegenteil: Die WHO erklärt auf unsere Anfrage, dass PCR-Tests die höchste Sensitivität aller Testvarianten hätten. PCR-Tests weisen demnach nach, ob ein Patient mit dem Virus infiziert wurde. Laut eigener Datenerhebungen in mehr als 50 europäischen Ländern sei die Qualität der Testergebnisse insgesamt gut.
Hat die WHO die Pandemie beendet?
Nein. Die WHO hat am 12. März 2020 die Pandemie ausgerufen und ihre Einschätzung seither nicht geändert. Auf unsere Anfrage hin verwies die WHO auf ein Treffen des Emergency Committee am 14. Januar 2021. Das Komitee stimme darin überein, dass die Covid-19-Pandemie noch immer international ein Gesundheitsrisiko darstelle und koordinierte Gegenmaßnahmen erfordere.
Auch die „Epidemische Lage von Nationaler Tragweite“ in Deutschland hat die WHO nicht beendet – denn das kann sie gar nicht. Der Rechtsbegriff ist in Deutschland im Infektionsschutzgesetz verankert. Darauf verwies auch das Bundesgesundheitsministerium auf unsere Presseanfrage hin.
Im Gesetz heißt es explizit, dass der Bundestag entscheide, wann eine Epidemische Lage von Nationaler Tragweite vorliege. Dies sei der Fall, wenn entweder „die Weltgesundheitsorganisation eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite ausgerufen hat und die Einschleppung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit in die Bundesrepublik Deutschland droht“, was laut Einschätzung der WHO der Fall ist, oder „eine dynamische Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit über mehrere Länder in der Bundesrepublik Deutschland droht oder stattfindet“.
Momentan sind PCR-Tests das Standard-Testverfahren zum Nachweis von SARS-CoV-2-Infektionen in Deutschland. Neben PCR-Tests sind zwar auch Antigen-Tests Teil der Nationalen Teststrategie, aber sie sind weniger spezifisch als PCR-Tests. Deshalb muss jeder positive Antigen-Test laut Bundesregierung zusätzlich durch einen positiven PCR-Test bestätigt werden.
Redigatur: Alice Echtermann, Sarah Thust
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- WHO-Hinweise zu PCR-Tests: „WHO Information Notice for IVD Users 2020/05: Nucleic acid testing (NAT) technologies that use polymerase chain reaction (PCR) for detection of SARS-CoV-2“ (Version vom 20. Januar 2021): Link
- WHO-Leitfaden zur SARS-CoV-2-Diagnostik (11. September 2020): Link
- Robert-Koch-Institut: „Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2“: Link
- NDR-Podcast Coronavirus-Update vom 22. September 2020: Link
- §5 Infektionsschutzgesetz: Link