Faktencheck

Erneut falsche Behauptungen über Partei-Positionen der Grünen im Umlauf

Vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verbreitete sich auf Facebook ein Bild mit mehreren falschen Behauptungen über die Grünen. Es handelt sich um einen alten Beitrag, der schon nach der EU-Wahl 2019 kursierte.

von Till Eckert

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Diese Behauptungen über die Grünen verbreiten sich auf Facebook. Drei sind falsch, eine teilweise richtig, eine richtig. (Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Die Grünen wollten den Spritpreis auf sieben Euro anheben, seien für Kinderehen, wollten Deutschland „abschaffen“, „noch mehr Flüchtlinge“ und besuchten Demos, auf denen „Deutschland verrecke“ gerufen worden sei.
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Größtenteils falsch
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Größtenteils falsch. Drei der Behauptungen sind falsch, zwei sind größtenteils richtig.

Vor den Landtagswahlen am 14. März in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz teilte eine Facebook-Seite einen Beitrag mit mehreren Behauptungen über die Grünen. „Hier stimmt was nicht“, steht auf dem Bild. Dazu die Frage: „Die Grünen waren immer weit unten und auf einmal wählt ganz Deutschland Grün?!“ Der Beitrag wurde bisher mehr als 3.300 Mal geteilt. 

Der Facebook-Beitrag mit teils falschen Behauptungen (Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Der Beitrag kursierte in dieser Form bereits kurz nach der EU-Wahl 2019, CORRECTIV.Faktencheck hatte die Behauptungen schon damals geprüft.

1. Wollen die Grünen den Benzinpreis auf sieben Euro anheben?

Nein. Die Behauptung geht schon seit einigen Jahren durchs Netz, wir hatten dazu am 5. Mai 2018 einen Faktencheck veröffentlicht. Hintergrund war eine angebliche Aussage des Grünen-Politikers Anton Hofreiter, der in einem Interview gesagt haben soll, der Liter Benzin solle „mindestens sechs bis sieben Euro kosten”. Die Aussage ist jedoch erfunden. 

Im vergangenen Europawahlprogramm der Grünen war keine solche Forderung enthalten (PDF). Auch in den aktuellen Wahlprogrammen der Grünen für die Landtagswahlen in Baden-Württemberg (PDF) und Rheinland-Pfalz (PDF) lässt sich unter den Stichworten „Benzin“, „Sprit“, „Kraftstoff“ keine entsprechende Forderung finden.

2. Sind die Grünen für Kinderehen?

Nein. Auch diese Behauptung geistert seit Jahren durchs Netz. Hintergrund ist das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen. Vor der Gesetzesänderung im Jahr 2017 konnten Jugendliche ab 16 Jahren in Ausnahmefällen mit Zustimmung des Familiengerichts schon vor ihrem 18. Geburtstag heiraten. Seit dem 22. Juli 2017 kann man in Deutschland nur noch heiraten, wenn beide Partner volljährig sind. 

Unter anderem hatten die Grünen gegen den Gesetzentwurf gestimmt (PDF). Das ist womöglich der Grund für die Behauptung, die Grünen würden Kinderehen befürworten. Doch die Grünen lehnten die Änderung laut einer Rede der Bundestagsabgeordneten Katja Keul nicht pauschal ab, sondern weil sie Kritik an einem konkreten Unterpunkt hatten: dass Ehen, die vor dem 16. Lebensjahr geschlossen wurden, pauschal „unwirksam“ werden.

In einem Statement vom 14. Dezember 2018 schrieb Keul bezüglich einer Einschätzung des Bundesgerichtshofs, nach der genau dieser Punkt verfassungswidrig sei: „Die Zweifel des Bundesgerichtshofs an der pauschalen Unwirksamkeit von Ehen mit Ehepartnern unter 16 Jahren bestätigt, was wir Grünen bereits im Gesetzgebungsverfahren bemängelt haben.“ Und: „Natürlich sind wir gegen Kinderehen[…].“

Statement von Katja Keul zum Standpunkt der Grünen zu Kinderehen (Screenshot und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck)

3. Wollen die Grünen „noch mehr Flüchtlinge“?

Die Behauptung ist zugespitzt, aber größtenteils richtig.

Die Grünen lehnen grundsätzlich eine Obergrenze für die Zahl der Geflüchteten in Deutschland ab; das Recht auf Asyl sei „nicht verhandelbar”, hieß es auf Seite 90 ihres Europawahlprogrammes von 2019 (PDF). 

Die Grünen in Baden-Württemberg unterstützen laut ihres Wahlprogramms (PDF, Seite 243) eine Initiative, „Geflüchtete aufzunehmen, die aus Seenot gerettet worden sind oder in Flüchtlingslagern vor den Toren Europas leben“.

Im Wahlprogramm der Grünen in Rheinland-Pfalz (PDF, Seite 58) ist zu lesen, dass die Partei Seenotrettungsorganisationen unterstützt. Und: „Wir begrüßen, dass in Rheinland-Pfalz viele Städte sowie Landkreise und Gemeinden ihre Bereitschaft erklärt haben, mehr Geflüchtete aufzunehmen, als ihnen regulär zugewiesen werden.“ 

4. Wollen die Grünen „Deutschland abschaffen“?

Nein. Auch diese Behauptung ist nicht neu. Hintergrund ist ein Tweet der Grünen Jugend aus dem Jahr 2015. Die Jugendorganisation der Grünen hatte damals geschrieben: „Am 3. Oktober wurde ein Land aufgelöst und viele freuen sich 25 Jahre danach. Warum sollte das nicht noch einmal mit Deutschland gelingen?“ Die Grünen wurden daraufhin von vielen Seiten kritisiert: Die Partei würde sich die Abschaffung Deutschlands wünschen. Der damalige Bundessprecher der Grünen Jugend, Erik Marquardt, verteidigte den Tweet in einem Facebook-Post. Er schrieb, es gehe um die Idee der europäischen Integration und darum, Grenzen zu überwinden. 

Die Behauptung wurde 2019 auch in der Überschrift eines Artikels des AfD-Mitgliedermagazins AfDKompakt aufgegriffen: „Was die Deutschland-Abschaffen-Pläne der Grünen für uns Bürger bedeuten“.

Die Grünen schrieben auf Seite 88 ihres Europawahlprogrammes von 2019 (PDF): „Wir wollen eine breite Diskussion über Unionsmodelle wie die Vereinigten Staaten von Europa, den föderativen Bundesstaat oder die Europäische Republik führen und in die Gesellschaft tragen.“ Doch damit drückte die Partei nur aus, dass sie Diskussionen über neue Staatenmodelle führen wolle – nicht, dass sie „Deutschland abschaffen“ wolle. 

In den Wahlprogrammen der Grünen in Baden-Württemberg (PDF) und Rheinland-Pfalz (PDF) finden sich zwar Pläne für grenzüberschreitende Zusammenarbeiten bei Gesundheitsfragen, aber keine zu einer Auflösung des Landes.

5. Waren Parteifunktionäre auf einer Demo, auf der „Deutschland verrecke“ gerufen wurde?

Ja. Tatsächlich soll es laut Medienberichten, die im Beitrag des ARD-Faktenfinder zitiert werden, einen Fall gegeben haben, bei dem sich etwa die Grünen-Politikerin und heutige Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth auf einer Demo befand, auf der Personen „Deutschland verrecke“ und „Nie wieder Deutschland“ gerufen haben sollen. 

Der ARD-Faktenfinder hat sich für einen Artikel mit dem Vorfall am 28. November 2015 beschäftigt. Ein Bündnis hatte demnach zu einer Demonstration aufgerufen, die dann von „Autonomen“ angeführt wurde. Claudia Roth äußerte sich in einem Interview mit der Berliner Zeitung am 27. Mai 2018 zu dem Vorfall. Es seien bei der Demo „viele Sprüche“ gefallen, die sie „nicht unterstütze“. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Parteifunktionäre selbst deutschlandfeindliche Parolen gerufen hätten.

Claudia Roth im Interview mit der Berliner Zeitung am 27. Mai 2018 zu den Vorwürfen. (Screenshot und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck)

Redigatur: Steffen Kutzner,  Alice Echtermann