Faktencheck

Meldungen in der EMA-Datenbank sind keine bestätigten Nebenwirkungen oder Todesfälle durch Covid-19-Impfungen

Mehrere Internetseiten behaupten, laut Daten der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA sei die Zahl von Nebenwirkungen oder Todesfällen durch Covid-19-Impfungen stark gestiegen. Dafür gibt es keine Belege. In der EMA-Datenbank werden lediglich Verdachtsfälle in zeitlichem Zusammenhang zur Impfung eingetragen.

von Sarah Thust

Die Meldungen in der Online-Datenbank der EMA beweisen nicht, dass Nebenwirkungen oder Todesfälle durch Covid-19-Impfstoffe häufiger auftreten. Sie zeigen Verdachtsfälle. (Symbolbild: Unsplash/ Mat Napo)
Die Meldungen in der Online-Datenbank der EMA beweisen nicht, dass Nebenwirkungen oder Todesfälle durch Covid-19-Impfstoffe häufiger auftreten. Sie zeigen Verdachtsfälle. (Symbolbild: Unsplash/ Mat Napo)
Behauptung
Daten der EMA zeigten, dass es tausende Nebenwirkungen oder Todesfälle durch Covid-19-Impfungen gebe.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. In der EMA-Datenbank werden lediglich Verdachtsfälle gemeldet, ein Zusammenhang zur Impfung ist nicht belegt.

Zahlreiche Berichte und Beiträge in Sozialen Netzwerken beziehen sich aktuell auf Daten der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), um zu behaupten, dass es tausende Nebenwirkungen oder Todesfälle durch Covid-19-Impfungen gebe. „Nebenwirkungen und Todesfälle durch Impfungen nehmen rasant zu“, schreibt der Blog TKP Anfang April. In der Geschichte der EMA habe es „noch nie so massive Nebenwirkungen gegeben wie jetzt“. Der Bericht wurde von der Internetseite Wochenblick aufgegriffen. 

Auch die Seite 2020News schreibt Ende März, Impfnebenwirkungen seien „jetzt amtlich“. Und auf Facebook (hier und hier) werden angebliche „Impfschäden“ und „Todesfälle durch Impfung“ mit den Covid-19-Impfstoffen von Astrazeneca, Biontech/Pfizer, Moderna und Janssen (Johnson & Johnson) verbreitet. 

Doch die angeführten Zahlen zeigen weder bestätigte Nebenwirkungen, noch bestätigte Todesfälle durch Impfungen. Die Datenbank der EMA heißt EudraVigilance und ist ein System, um Verdachtsfallmeldungen über Nebenwirkungen zentral zu sammeln. Sie umfasst Meldungen von nationalen Arzneimittelbehörden (wie dem Paul-Ehrlich-Institut) und pharmazeutischen Unternehmen. Diese enthalten Hinweise von medizinischem Personal („Angehörigen der Heilberufe“) oder Patienten über „unerwünschte Ereignisse“, die zeitlich nach einer Impfung aufgetreten sind, und leiten diese an die EMA weiter. 

Meldungen sind Verdachtsfälle auf Nebenwirkungen durch Covid-19-Impfstoffe 

Gemeldete Nebenwirkungen oder Todesfälle stehen laut EMA „nicht notwendigerweise“ mit dem erhaltenen Covid-19-Impfstoff in Zusammenhang.

Die Zahl der Meldungen in der EMA-Datenbank ist seit Beginn der Impfungen gegen Covid-19 stark gestiegen. Doch das sei nicht erstaunlich, da in allen EU-Mitgliedsstaaten derzeit Impfkampagnen laufen, sagte uns eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). 

Hier wird behauptet, die EMA-Datenbank zeige „Impfschäden“ und „Todesfällen durch Impfung“. Das stimmt so aber nicht.
Hier wird behauptet, die EMA-Datenbank zeige „Impfschäden“ und „Todesfällen durch Impfung“. Das stimmt so aber nicht. (Quelle: Facebook / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

In dem Facebook-Beitrag werden mehrere Daten genannt, die angeblich von der EMA stammen. Stand ist demnach der 4. März oder der 3. April 2021, das Datumsformat ist hier nicht eindeutig. Die Zahl der „gemeldeten Impfschäden“ in Europa habe bei 272.781 gelegen, zudem werden 5.943 „gemeldete Todesfälle durch Impfung“ genannt. 

In dem Beitrag des österreichischen Blogs TKP werden ähnliche Zahlen genannt. Der Autor des Textes hat sie auf Grundlage einer „Auswertung“ in Form einer Excel-Tabelle berechnet: Demnach gehe aus der EMA-Datenbank hervor, dass bis 3. April 5.993 Todesfälle gemeldet worden seien. Insgesamt habe es bei den Impfstoffen von Astrazeneca, Biontech/Pfizer und Moderna 272.644 „gemeldete Fälle von Nebenwirkungen“ gegeben. 

Laut EMA werden die Daten falsch interpretiert

Wir haben den Blog-Beitrag der Pressestelle der EMA vorgelegt. Eine Sprecherin antwortete uns, sie wisse nicht, woher die Daten stammen. Dennoch schrieb sie: „Wir (…) können bestätigen, dass die Informationen in dem von Ihnen verlinkten Artikel falsch sind und höchstwahrscheinlich auf einem Missverständnis der Daten beruhen.“ 

Dafür muss man zunächst verstehen, was die Datenbank wirklich darstellt: Es sind gemeldete Verdachtsfälle und keine nachgewiesenen Nebenwirkungen. Das steht auch auf der Internetseite der Datenbank.

Auszug aus der E-Mail einer Sprecherin der EMA
Auszug aus der E-Mail einer Sprecherin der EMA (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Sprecherin der EMA betont: „Spontane Fallberichte von vermuteten ADRs [Anm. d. Red.: Nebenwirkungen] reichen selten aus, um zu beweisen, dass eine bestimmte vermutete Reaktion tatsächlich durch ein bestimmtes Arzneimittel verursacht wurde.“ Jeder dieser Fallbericht müsse darum als „ein Teil eines Puzzles“ gesehen und im Kontext weiterer Untersuchungen betrachtet werden. Es ist zum Beispiel möglich, dass eine Person aufgrund einer Krankheit oder eines anderen Medikaments verstorben sei.

Für Deutschland werden von der EMA als Ansprechpartner das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sowie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) genannt. 

Über eine deutsche Online-Plattform der beiden Behörden kann jede Person Verdachtsfallmeldungen zu Covid-19-Impfstoffen einreichen. Diese Meldungen werden erfasst, bewertet und dann an die EMA weitergeleitet, erklärte uns Susanne Stöcker vom PEI. Hersteller von pharmazeutischen Produkten müssten mögliche Nebenwirkungen dagegen direkt an die EMA melden.

Auch Stöcker weist darauf hin, dass die Meldungen in der EMA-Datenbank lediglich Verdachtsfälle sind: „Der explosionsartige Anstieg von Meldungen in der EMA-Datenbank ist übrigens nicht erstaunlich – es laufen in allen Mitgliedstaaten die Covid-19-Impfkampagnen, bei denen in einer nie dagewesenen Größenordnung geimpft wird. Da ist es nur natürlich, dass auch besonders viele Verdachtsfallmeldungen eingehen. Aber das ist ja genau der Punkt: Es sind Verdachtsfallmeldungen, nicht bestätigte Nebenwirkungen.“

Wie kann man die Daten in der EMA-Datenbank abrufen?

Die Meldungen zu Covid-19-Impfstoffen finden sich in der EMA-Datenbank unter „Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen bei Substanzen“ – Buchstabe C. Klickt man dort auf den jeweiligen Covid-19-Impfstoff, wird man auf die Seite „Number of Individual Cases“ weitergeleitet. Dort wird die Gesamtzahl der gemeldeten Verdachtsfälle angezeigt, also der vermuteten Nebenwirkungen.

Anzahl der Verdachtsfälle von möglicher Nebenwirkungen in der EMA-Datenbank
Auf der ersten Seite zum Covid-19-Impfstoff von Moderna wird die Anzahl der Verdachtsfälle angezeigt. Bis zum 13. April wurden 14.235 Fälle gemeldet. (Quelle: EudraVigilance, Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen von Substanzen, Covid-19 mRNA Vaccine Moderna / Screenshot vom 13. April: CORRECTIV.Faktencheck)

Laut der EMA-Datenbank wurden bisher insgesamt aus allen Ländern 14.235 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen bei Moderna, 138.321 Verdachtsfälle bei Biontech/Pfizer (hier „Tozinameran“ genannt) und 163.852 Verdachtsfälle bei Astrazeneca gemeldet (Stand laut Datenbank: 13. April 2021). 

Insgesamt führt die Datenbank sehr viele unterschiedliche potenzielle Nebenwirkungen auf. Laut einer Präsentation der EMA sind, abgesehen von Berührungsempfindlichkeit an der Einstichstelle, beispielsweise Kopfschmerzen, Müdigkeit, Fieber und Muskelschmerzen häufige gemeldete Nebenwirkungen (PDF, Seite 6). Diese könnten laut EMA aber auch Symptome einer anderen Krankheit sein, oder mit einem anderen Medikament zusammenhängen. 

Die Zahl von Todesfällen geht aus den Daten nicht hervor

Nun zu den vermeintlichen Todesfällen: In der oberen Leiste in der Datenbank sind sieben Registerkarten zu sehen. Klickt man dort auf die vorletzte Registerkarte („Number of Individual Cases for a selected Reaction“), kommt man zur Anzahl der Einzelfälle für bestimmte Reaktionsgruppen. Diese reichen von Schwangerschaft über psychiatrische Störungen bis hin zu Herzschwächen. 

Auf der linken Seite kann man eine Reaktionsgruppe („Reaction Group“) auswählen, also zum Beispiel „Beschwerden des Blut- und Lymphsystems“. Unten auf der Seite werden dann die dabei gemeldeten „tödliche Ereignisse“ („fatal“) unter „Outcome“ angezeigt (zum Beispiel hier für den Impfstoff von Moderna).

Screenshot der EMA-Datenbank: Anzahl der tödlichen Ereignisse für Verdachtsfälle bezüglich des „Blut und Lymphsystems“
Auf der sechsten Registerkarte zum Covid-19-Impfstoff von Moderna wird die Anzahl der tödlichen Ereignisse für Verdachtsfälle bezüglich des „Blut und Lymphsystems“ angezeigt. (Quelle: EudraVigilance / Screenshot vom 13. April: CORRECTIV.Faktencheck)

Der Autor des Artikels im Blog TKP hat vermutlich die tödlichen Verdachtsfälle für jede Gruppe von Nebenwirkungen zusammengezählt. Das ist jedoch irreführend, da einzelne Patienten mit verschiedenen Nebenwirkungen in mehreren Kategorien auftauchen können. Sie würden auf diese Weise also mehrfach gezählt (Beleg: Download als PDF). Das erklären auch Faktenchecks von Mimikama und der AFP. Zudem ist nicht bestätigt, dass die Todesfälle auf die Impfung zurückzuführen waren. 

Fazit

Aus der EMA-Datenbank lässt sich aus mehreren Gründen nicht schließen, dass die Zahl der gemeldeten Todesfälle durch eine Corona-Impfung stark steigt:

  1. Eine Person kann in der Statistik theoretisch mehrfach auftauchen, weil mehrere vermutete Nebenwirkungen angegeben werden können.
  2. Angaben zu Verdachtsfällen dürfen nicht so verstanden werden, als hätte der Impfstoff die beobachtete Wirkung verursacht.
  3. Die Daten sind nur ein Teil der Informationen, die von der Europäischen Arzneimittelagentur und den nationalen Zulassungsbehörden verwendet werden, um nach der Zulassung eines Arzneimittels dessen Nutzen und Risiken zu überwachen. 

Dass die Zahl der Meldungen in der Datenbank gestiegen ist, hat offenbar vor allem damit zu tun, dass die Impfkampagnen gegen Covid-19 derzeit in ganz Europa laufen und daher besonders viele Menschen geimpft werden und die Aufmerksamkeit für dieses Thema sehr hoch ist.

Redigatur: Steffen Kutzner, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • EudraVigilance-Datenbank der EMA: Link
  • Anleitung zur Interpretation eines Web-Reports: Link
  • Häufig gestellte Fragen über die Datenbank: Link
  • Über die Datenquellen der EMA-Datenbank: Link 1 und Link 2
  • Beispiel für eine Verdachtsfallmeldung zum Impfstoff von Astrazeneca: Download als PDF
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