Faktencheck

Corona: Nein, die Bundesregierung hat nicht dazu aufgerufen, Nachbarn zu „melden“

Ein Text, der schon vor Monaten in Österreich kursierte, verbreitet sich aktuell in Deutschland. Demnach habe „die Regierung“ dazu aufgefordert, Menschen zu melden, die gegen die Corona-Auflagen verstoßen. Das stimmt so nicht.

von Steffen Kutzner

Neighbour is watching
Angeblich habe die Bundesregierung dazu aufgerufen, Nachbarn zu denunzieren, die sich nicht an die Corona-Auflagen halten. Das stimmt nicht. Solche Aufrufe gab es jedoch vereinzelt auf Länderebene. (Symbolbild: Picture Alliance / Goldmann)
Behauptung
Die Bundesregierung habe dazu aufgerufen, Nachbarn, die gegen die Corona-Maßnahmen verstoßen, zu „melden“.
Bewertung
Teilweise falsch
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Teilweise falsch. Die Bundesregierung hat nicht dazu aufgerufen, Menschen zu melden, die sich nicht an die Corona-Maßnahmen halten. Auf Länderebene gab es jedoch vereinzelt solche Aufrufe.

„Die Regierung fordert uns auf, unsere Nachbarn zu melden, wenn sie sich nicht an die neuen Regeln halten“, wird auf Facebook behauptet. Einer der Beiträge wurde mehr als 9.000 Mal geteilt. Welche „Regierung“ gemeint ist, bleibt unklar; die Behauptung kursierte in früheren Beiträgen bereits im Dezember 2020 auf Facebook. Damals bezog sie sich laut eines Faktenchecks der DPA auf Österreich. Das Ergebnis des DPA-Faktenchecks: Es gab keine solche Aufforderungen der österreichischen Regierung.

Ein Sprecher der deutschen Bundesregierung erklärte uns per E-Mail dazu: „Die Bundesregierung ruft alle Bürger dazu auf, die geltenden Vorschriften und Regeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie einzuhalten. Sie ruft nicht zur Denunziation auf.“ Auch für Deutschland stimmt die Behauptung aus dem Facebook-Post also nicht – zumindest nicht auf Bundesebene. 

Meldung von Corona-Verstößen umstritten

Auf Länderebene hat es solche Aufrufe jedoch tatsächlich gegeben. So erklärte etwa Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil im November 2020: „Das macht keiner gerne. Und dann kommt auch schnell der Gedanke auf, ‚Mensch, bin ich jetzt eine Petze oder gar ein Denunziant?‘, aber ehrlich gesagt: Im Moment geht es um richtig viel […]. Und deswegen können wir eine solche Mithilfe aus der Bevölkerung auch gut gebrauchen“, so wird Weil in einem Medienbericht zitiert.

Auch Hamburgs Innensenator Andy Grote sagte laut eines Medienberichts, die Polizei werde „künftig auch verstärkt Hinweisen aus der Bevölkerung nachgehen“. Er wies aber darauf hin, dass die Meldung von Corona-Verstößen aus der Bevölkerung seiner Ansicht nach „nichts mit Denunziation zu tun“ habe. Stattdessen gehe es um Gesundheitsschutz.

Als indirekte Aufforderung lässt sich auch das Meldeformular verstehen, welches die Stadt Essen zur Verfügung stellt. Die Bereitstellung sorgte im Oktober 2020 für viel Kritik

Ob es eine moralische Pflicht gebe, Corona-Verstöße anderer zu melden, ist umstritten und wird medial immer wieder diskutiert, etwa im Spiegel oder – bereits im April 2020 – beim Deutschlandfunk.

Redigatur: Till Eckert, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Faktencheck der DPA desselben Kettenbriefs bezogen auf Österreich (8. Dezember 2020): Link