Faktencheck

Vergleich falscher Covid-19-Todeszahlen verharmlost die Lage in Indien

Beim Vergleich der Covid-19-Todeszahlen von Deutschland und Indien zeige sich, dass die Lage in Indien überdramatisiert dargestellt werde. Das suggeriert ein Facebook-Beitrag. Doch der Vergleich basiert auf falschen Zahlen und die Corona-Lage in Indien ist aus vielen Gründen besorgniserregend.

von Uschi Jonas

Dieses Foto entstand am 6. Mai 2021 in einem temporären Covid-19-Pflegezentrum in Neu-Delhi (Symbolbild: Picture Alliance/ Zumapress.com/ Manish Rajput)
Dieses Foto entstand am 6. Mai 2021 in einem temporären Covid-19-Pflegezentrum in Neu-Delhi (Symbolbild: Picture Alliance/ Zumapress.com/ Manish Rajput)
Behauptung
Beim Vergleich der Covid-19-Todeszahlen ergebe sich in Deutschland eine dramatischere Lage als in Indien.
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. Es wird mit falschen Zahlen gerechnet. In Bezug auf die Gesamtbevölkerung sind die Todeszahlen der beiden Länder vergleichbar hoch. Die Lage in Indien ist dennoch aufgrund einer schlechteren Gesundheitsversorgung als dramatischer einzustufen.

Auf Facebook kursiert ein Beitrag, der angebliche Covid-19-Todeszahlen von Deutschland und Indien gegenüberstellt. Demnach würden in der Bundesrepublik mit Blick auf die Gesamtbevölkerung mehr Menschen im Zusammenhang mit Corona sterben als in Indien. Die Rede ist deshalb von „Panikmache“. Gemeint ist damit vermutlich die mediale Berichterstattung über die Auswirkungen der Pandemie in Indien. Der Beitrag vom 7. Mai wurde mehr als 1.600 Mal geteilt.

Unser Faktencheck zeigt: Der Vergleich führt mit falschen Zahlen in die Irre und greift insgesamt zu kurz. Die Corona-Lage in Indien ist aus verschiedenen Gründen besorgniserregend, unter anderem aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung im Land.

Dieser Vergleich der Covid-19-Todeszahlen von Deutschland und Indien auf Facebook führt mit falschen Zahlen in die Irre (Quelle: Facebook/ Screenshot vom 19.05.2021: CORRECTIV.Faktencheck)
Dieser Vergleich der Covid-19-Todeszahlen von Deutschland und Indien auf Facebook führt mit falschen Zahlen in die Irre (Quelle: Facebook/ Screenshot vom 19.05.2021: CORRECTIV.Faktencheck)

Der Beitrag stellt den Anteil von Corona-Infizierten den Bevölkerungszahlen von Deutschland (links) und Indien (rechts) gegenüber: Oben im Bild stehen die Einwohnerzahlen der beiden Länder, darunter stehen die angeblichen Todeszahlen pro Tag und der prozentuale Anteil der Gestorbenen an der Gesamtbevölkerung. 

Da der Beitrag am 7. Mai veröffentlicht wurde, haben wir im ersten Recherche-Schritt die Covid-19-Todesfallzahlen in Indien und Deutschland für den 6. und 7. Mai 2021 betrachtet und sie gegenübergestellt. 

Laut dem Dashboard der WHO gab es am 6. Mai in Deutschland 250 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus, am 7. Mai gab es in Deutschland 284 Todesfälle. 

In Indien gab es laut WHO am 6. Mai 3.980 Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19, am 7. Mai gab es 3.915 Todesfälle.

Der Vergleich der Covid-19-Todeszahlen greift zu kurz

Die in dem Facebook-Beitrag dargestellten angeblichen Todesfallzahlen stimmen folglich annähernd für Indien, aber die Zahlen für Deutschland werden um ein Zehnfaches höher angegeben als sie tatsächlich waren. 

Diese angeblichen Todesfall-Zahlen werden in dem Facebook-Beitrag gegen die Bevölkerungszahl aufgerechnet. Es wird behauptet, täglich würden 0,0031 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland an Covid-19 sterben, in Indien hingegen seien es nur 0,00027 Prozent. Dadurch wird der Eindruck erweckt, die Lage in Indien sei weniger dramatisch als in Deutschland. Wir haben nachgerechnet. 

Deutschland hat laut dem Statistischen Bundesamt aktuell rund 83,1 Millionen Einwohner. In Bezug auf die 250 Todesfälle vom 6. Mai ergibt das einen prozentualen Anteil von rund 0,0003 Prozent an diesem Tag an der Gesamtbevölkerung. In Bezug auf die 284 Todesfälle am 7. Mai ergibt das einen Anteil von 0,00034 Prozent.

In Indien leben den aktuellsten Daten der Weltbank zufolge rund 1,366 Milliarden Menschen. In Bezug auf die 3.980 gemeldeten Todesfälle vom 6. Mai ergibt das einen Anteil von rund 0,00029 Prozent an der Gesamtbevölkerung, in Bezug auf die 3.915 Todesfälle vom 7. Mai sind es rund 0,00029 Prozent. 

Die Prozentangaben im Facebook-Beitrag sind folglich für Indien etwas zu niedrig angegeben, für Deutschland rund um ein Zehnfaches zu hoch. Fakt ist: Der Anteil der Corona-Todesfälle an der Gesamtbevölkerung ist in beiden Ländern vergleichbar hoch. Doch eine reine Gegenüberstellung dieser Zahlen greift zu kurz, um die Situation einschätzen zu können. 

Warum die Corona-Lage in Indien besorgniserregend ist

Die deutsche Bundesregierung hatte Indien am 26. April als Gebiet mit besonders hohem Infektionsrisiko eingestuft. Grund dafür ist die dort neu entdeckte Virus-Mutation. Seit Wochen berichten Medien, dass sich die Lage in vielen Krankenhäusern in Indien zuspitzt. 

Die Probleme sind vielschichtig. In einigen Gebieten gibt es teils heftige Ausbrüche, wie beispielsweise in der Hauptstadt Neu-Delhi, was zu Engpässen in der Versorgung führt. Generell ist das öffentliche Gesundheitssystem in Indien eher schlecht aufgestellt, das war auch schon vor Corona so. Während der Pandemie fehlt es zudem an medizinischem Sauerstoff zur Versorgung von Covid-19-Intensivpatienten. 

Zudem warnen Experten davor, dass bei weitem nicht alle Covid-19-Fälle und Todesfälle erfasst würden. Die Dunkelziffer wird laut Medienberichten auf ein Vielfaches geschätzt. Das liegt Experten zufolge daran, dass zu wenig getestet werde und durch Versorgungsengpässe nicht alle Menschen in medizinischen Einrichtungen versorgt werden könnten. Dass die Dunkelziffer viel höher liegen könnte, wird auch in dem Facebook-Beitrag erwähnt. 

Bundesregierung schickte Corona-Nothilfe nach Indien

Krematorien seien stark überlastet, heißt es in Medienberichten. Tote werden teilweise in Massenkrematorien in Innenhöfen verbrannt. Hinzu kommt, dass es Hinweise darauf gibt, dass sich die indische Virus-Variante B.1.617 schneller einfacher verbreitet als das Ursprungsvirus, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) auf seiner Webseite erläutert.

Insgesamt ist die Lage in Indien dramatisch, wie auch indische Medien berichten. Es mangele teilweise an Schutz- und Hygienemaßnahmen, wie zum Beispiel der Indian Express schreibt. Deutschland schickte neben anderen Ländern bereits Ende April Nothilfen nach Indien, um dem Land mit der Versorgung mit Beatmungsgeräten und Sauerstoff zu helfen. Deutschland bereite so schnell wie möglich eine Unterstützungsmission vor, twitterte Regierungssprecher Steffen Seibert am 25. April stellvertretend für Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die indische Regierung informiert unter anderem auf Twitter mehrfach täglich über die aktuelle Lage und spricht von großen Herausforderungen für das Gesundheitssystem im Zusammenhang mit dem Bewältigen der aktuellen zweiten Welle im Land. Auch fordert sie die Menschen auf, sich an die Corona-Maßnahmen zu halten und ermutigt, sich impfen zu lassen.

Redigatur: Sarah Thust, Till Eckert