Faktencheck

Nein, das Infektionsschutzgesetz wurde nicht „versteckt“ verschärft

Ein AfD-Politiker behauptet, am 24. Juni 2021 sei das Infektionsschutzgesetz im Bundestag „versteckt“ verschärft worden, sodass auch Zwangsimpfungen möglich seien. Das stimmt nicht.

von Steffen Kutzner

Bundestag
Laut AfD-Politiker Peter Boehringer habe der Bundestag am 24. Juni eine „üble Verschärfung“ des Infektionsschutzgesetzes verabschieden wollen. Es ging aber lediglich darum, wie lange die Regierung Verordnungen für Einreisende aus Risikogebieten aufrechterhalten darf. (Archivfoto vom 24. Juni: Picture Alliance / Geisler-Fotopress / Sebastian Gabsch)
Behauptung
Mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes in Deutschland am 24. Juni werde das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt, wodurch Verordnungen zu Zwangsimpfungen möglich würden.
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes am 24. Juni enthält keine neue Einschränkung von Grundrechten. Bei der Änderung ging es darum, wie lange die Bundesregierung Auflagen für Einreisende aus Risikogebieten durchsetzen darf.

„Altparteien nehmen den Deutschen ihr Grund- und Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit“, schreibt der AfD-Bundestagsabgeordnete Peter Boehringer auf Facebook und Twitter am 23. Juni. Er kündigte an: Am Abend des 24. Juni 2021 stehe „eine üble weitere Verschärfung des [Infektionsschutzgesetzes] an“, die „parlamentarisch versteckt“ werde. Damit seien angeblich „sogar Verordnungen zu Zwangsimpfungen legal möglich“, schrieb Boehringer weiter. Dazu teilte er ein Foto einer Drucksache des Bundestages (Vorabfassung) vom 22. Juni 2021, die das belegen soll. Dasselbe Foto kursierte am selben Tag auf mehreren Kanälen in Sozialen Netzwerken wie Facebook und Telegram.

Der Hinweis, dass das „Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit“ und weitere Grundrechte durch bestimmte Paragrafen des Infektionsschutzgesetzes eingeschränkt werden können, ist jedoch nicht neu – dies wurde bereits im November 2020 in das Gesetz eingefügt. 

Mit der aktuell geteilten Beschlussempfehlung an den Bundestag ändert sich daran nichts. Darin geht es auch nicht um Zwangsimpfungen oder eine Impfpflicht. Es geht um Vorgaben für Einreisende aus Risikogebieten.

bundestag beschlussvorlage vom 22. Juni
Das von Boehringer verbreitete Bild soll zeigen, dass mit der Verabschiedung der Gesetzesänderung am 24. Juni die Einschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit bevorgestanden habe. Das ist irreführend. (Quelle: Twitter / Peter Boehringer / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Änderung enthält keine neue Einschränkung von Grundrechten

Das Foto auf Twitter zeigt die Vorabfassung einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz an den Bundestag vom 22. Juni 2021 (Seite 6). Darin geht es um einen Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts, der am 24. Juni im Bundestag zur Abstimmung gebracht und beschlossen wurde. 

Auf Facebook und in einem auf Twitter verlinkten Blog-Beitrag veröffentlichte Boehringer ein zweites Foto und weiteren Kontext. Er schrieb: „Nachdem bereits am 18.11.2020 bei der Dritten Novelle des InfSchG [Infektionsschutzgesetzes] eine Reihe von Grundrechten eingeschränkt wurden, steht nun juristisch sogar ganz explizit die Einschränkung unseres Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit an!“ 

Boehringer suggeriert also, dass die Einschränkung der „körperlichen Unversehrtheit“ eine Neuerung sei, die „versteckt“ in einem anderen Gesetzentwurf am 24. Juni eingeführt worden sei. 

Das stimmt so nicht: Dass das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit für Maßnahmen zum Infektionsschutz eingeschränkt werden kann, steht bereits seit der Dritten Novelle im November 2020 im Infektionsschutzgesetz (Paragraf 28). 

Dass in der Beschlussempfehlung für den 24. Juni noch einmal auf die Einschränkung der Grundrechte hingewiesen wird, liegt am sogenannten Zitiergebot. Demnach muss Gesetzen oder Gesetzesänderungen, die die Grundrechte einschränken können, ein solcher expliziter Hinweis beigefügt werden – auch wenn es sich nur um kleine Ergänzungen zu bereits bestehenden Gesetzen handelt. Das haben wir in einem Hintergrundbericht zum dritten Bevölkerungsschutzgesetz im November 2020 erklärt. 

Worum geht es in der Beschlussempfehlung?

Die Vorabfassung des Gesetzentwurfs (Artikel 9) enthält eine Änderung des Paragraf 36 des Infektionsschutzgesetzes. Diese sieht vor, dass die Bundesregierung spätestens ein Jahr nach Ende der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ nicht mehr dazu ermächtigt sein soll, von Einreisenden aus Risikogebieten eine Quarantäne oder die Vorlage eines negativen Corona-Tests zu verlangen. 

Vorher war es so, dass diese Ermächtigung laut Paragraf 36 sofort bei Ende der epidemischen Lage auslaufen würde. Zuletzt hatte das Parlament diese Lage am 11. Juni verlängert. Durch die Verabschiedung der Gesetzesänderung am 24. Juni endet die Ermächtigung erst bis zu einem Jahr nachdem der Bundestag die epidemische Lage aufhebt.

Änderungsvorschlag zum Infektionsschutzgesetz, wie er in der Beschlussempfehlung vom 22. Juni steht
Änderungsvorschlag zum Infektionsschutzgesetz, wie er in der Beschlussempfehlung vom 22. Juni steht (Quelle: Beschlussempfehlung zur Stiftungsrechtsreform, Drucksache 19/30938 / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Es geht also bei dieser Änderung nicht um Zwangsimpfungen. Es geht darum, wie lange die Bundesregierung von Einreisenden aus Risikogebieten bestimmte Dinge verlangen kann. 

Das steht auch auf der ersten und zweiten Seite der Beschlussempfehlung: „Durch eine der im Ausschuss vorgenommenen Änderungen soll auch das Infektionsschutzgesetz dahingehend geändert werden, dass die Geltung einer Rechtsverordnung zur Regelung der Einreise aus Risikogebieten auf bis zu ein Jahr nach Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite verlängert werden kann.“

Da durch solche Maßnahmen gegenüber Einreisenden deren Grundrechte eingeschränkt werden, wird diese Einschränkung in der Beschlussempfehlung noch einmal explizit benannt (Artikel 10).

Weshalb wird das Infektionsschutzgesetz geändert, wenn es im Gesetzentwurf um Stiftungsrecht geht? 

Eigentlich ging es bei dem Gesetzentwurf, der am 24. Juni vom Bundestag beschlossen wurde, ausschließlich um Stiftungsrecht. Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes wurde vom Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz als Änderung beziehungsweise Zusatz empfohlen. 

Auch der AfD-Politiker Peter Boehringer schreibt, dass es in dem Beschluss um das Stiftungsrecht gehe und nicht um das Infektionsschutzgesetz. Er erklärt, es handele sich bei der Stiftungsreform um ein „Omnibusgesetz“. 

So nennt man es, wenn ein bereits bestehendes Gesetz, in diesem Fall das Infektionsschutzgesetz, minimal geändert werden soll, ohne dass dafür der gesamte Gesetzgebungsvorgang durchlaufen werden soll. Man fügt dann diese Änderung dem Entwurf eines anderen Gesetzes an. Das sei ein „relativ häufiger Vorgang“, der Zeit und Ressourcen spare, wie uns ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums telefonisch erklärte. 

Das bedeutet jedoch nicht, dass im aktuellen Fall „versteckt“ neue Grundrechtseinschränkungen beschlossen wurden. Wie bereits erwähnt, sieht die Änderung keine neuen Einschränkungen von Grundrechten durch das Infektionsschutzgesetz vor. 

Redigatur: Matthias Bau, Sarah Thust, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Paragraf 28 Infektionsschutzgesetz (seit November 2020): Link
  • Alte Fassung von Paragraf 36 Infektionsschutzgesetz: Link
  • Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz an den Bundestag vom 22. Juni 2021, „Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts“: Link
  • Erklärung eines Omnibusgesetzes: Link