Nein, eine Unterrichtsbroschüre empfiehlt nicht Elektroschocks gegen Heterosexualität
Angeblich findet sich in einer Unterrichtsbroschüre zum Thema Homosexualität die Empfehlung, Elektroschocks gegen Heterosexualität einzusetzen. Das stimmt nicht. In der Broschüre werden homophobe Fragen auf Heterosexualität umgemünzt, um Vorurteile gegen homosexuelle Menschen begreifbar zu machen.
„Deutsche Unterrichtsbroschüre empfiehlt Elektroschocks gegen Heterosexualität“, titelte die Webseite Report24 in einem Artikel am 25. Juni. In der Broschüre der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fänden sich, so wird behauptet, „zahlreiche befremdliche Inhalte zur Glorifizierung der Homosexualität“. Zum Beispiel würden in der Broschüre Elektroschocks gegen Heterosexualität empfohlen. Das stimmt aber nicht: Es handelt sich um eine Broschüre für den Unterricht, bei der Fragen, die Homosexuellen häufig gestellt werden, auf Heterosexualität umgemünzt werden, um Diskriminierung zu veranschaulichen.
Frage in der Broschüre spielt auf veraltete „Behandlung“ von Homosexualität an
Die Broschüre ist in dem Artikel von Report24 verlinkt. Der Titel lautet „Lesbische und schwule Lebensweisen – ein Thema für die Schule“. Auf Seite 20 findet sich tatsächlich der im Artikel zitierte „heterosexueller Fragebogen“. An elfter Stelle steht: „Es scheint sehr wenige glückliche Heterosexuelle zu geben; aber es wurden Verfahren entwickelt, die es dir möglich machen könnten, dich zu ändern, falls du es wirklich willst. Hast du schon einmal in Betracht gezogen, eine Elektroschocktherapie zu machen?“.
Die Frage spielt auf Elektroschocks als Teil sogenannter Konversions- oder Aversionstherapien an, die Homosexuelle „heilen“, also in Heterosexuelle umwandeln sollte. Dahinter steckt die falsche Annahme, dass Homosexualität eine Störung sei, die man therapieren könne. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2014 erklärt, dass Homosexualität keine Krankheit und nicht therapiebedürftig ist. 2013 hat der Weltärztebund derartige Therapien als Menschenrechtsverletzung verurteilt. „Homosexualität ist keine Erkrankung und bedarf deshalb keinerlei Heilung“, erklärte 2013 auch die Bundesärztekammer. Konversionstherapien sind in Deutschland seit 2020 verboten.
Als Quelle ist unter dem Fragebogen in der Broschüre vermerkt: „Gekürzt nach: P. Baker, ‚The Language of Sex: The Heterosexual Questionnaire‘“. Der „heterosexuelle Fragebogen“ (Englisch: Heterosexual Questionnaire) ist eine Übung, die Anfang der 1970er Jahre vermutlich vom Psychologen Martin Rochlin entwickelt und im Laufe der Zeit verändert wurde. So finden sich in einer Version von 1972 22 Fragen, wobei tatsächlich eine ähnlich lautende Frage zur „aversion therapy“ an letzter Stelle kommt. Im 2001 erschienen Sachbuch „Conflict, Order and Action“ ist der Fragebogen – dieses Mal mit 18 Fragen – ebenfalls enthalten, Nummer 17 fragt nach der Therapie.
Fragebogen soll Homophobie erlebbar machen
Eine Übungsanleitung für Lehrkräfte zu dem Fragebogen von der Universität Kapstadt erklärt den Kontext, der im Artikel von Report24 und in der Broschüre der GEW nicht genannt wird: Nach der Übung soll den Schülern erklärt werden, dass der Fragebogen entwickelt wurde, um heterosexuellen Menschen nahezubringen, mit welchen Vorurteilen Homosexuelle konfrontiert werden, indem gängige Vorurteile auf das Konzept von Heterosexualität übertragen werden. Der Fragebogen zeige, so wird erklärt, einige der falschen Vorstellungen und Vorurteile gegenüber LGBT-Menschen.
Die Behauptung, dass in der Broschüre Elektroschocks gegen Heterosexualität empfohlen würden, ist also falsch.
Der heterosexuelle Fragebogen wird laut einer anderen Broschüre der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft ab Klasse 10 empfohlen (PDF, Seite 17 unten). Dort wird auch erklärt: „Der heterosexuelle Fragebogen dreht diese heteronormative Sichtweise um und stellt auf Heterosexualität bezogen genau die Fragen, mit denen oft Homosexuelle konfrontiert sind. […] Damit lädt er auf provozierende und auch humoristische Art zum Perspektivwechsel ein und deckt Vorurteile auf.“
Redigatur: Tania Röttger, Uschi Jonas