Faktencheck

Hochwasser: Was ein Foto von Wasserständen aus der Schweiz mit dem Klimawandel zu tun hat 

In Sozialen Netzwerken kursiert ein Foto von einer Hauswand, an der Wasserstände von Hochwasser-Ereignissen der vergangenen Jahre markiert sind. Der höchste Wasserstand wurde 1852 dokumentiert. Viele Menschen sehen das als Hinweis, dass Hochwasser nichts mit dem Klimawandel zu tun habe. Wir erklären, wieso das nicht stimmt. 

von Alice Echtermann

Foto von Wasserständen in Olten, Schweiz
Dieses Foto wird aktuell in Sozialen Netzwerken verbreitet, um die Klimadebatte als übertrieben darzustellen (Quelle: Facebook / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Ein Foto zeige, dass es auch schon 1852 Hochwasser gab, daher habe die aktuelle Überschwemmung nichts mit dem Klimawandel zu tun. 
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Das Foto stammt aus Olten in der Schweiz. Seltene Ereignisse wie Starkregen und Überschwemmungen werden nicht direkt durch den Klimawandel verursacht. Sie werden jedoch laut Prognosen mit der Erwärmung der Erde wahrscheinlicher – ebenso wie extreme Hitze und Dürre. 

„Man hätte SUVs schon 1852 verbieten müssen“, schreibt jemand auf Facebook ironisch zu einem Foto, das Hochwasser-Stände aus verschiedenen Jahren an einer Hauswand zeigt. Auf Twitter verbreitete unter anderem der AfD-Politiker Max Kneller das Bild, ebenfalls mit einem ironischen Kommentar („Die Klimakatastrophe von 1852 war besonders schlimm“). Die Botschaft ist klar: Es wird suggeriert, der Ausstoß von CO2 und der Klimawandel hätten nichts mit Hochwasser zu tun, da es bereits 1852 ein Rekord-Hochwasser gab. 

Damit wird ein komplexes Thema verkürzt und wichtiger Kontext weggelassen. Richtig ist: Starkregen-Ereignisse (große Niederschlagsmengen, die in sehr kurzer Zeit fallen) sind selten; die langfristige Erwärmung des Klimas verursacht solche Ereignisse nicht direkt. Doch grundsätzlich kann Extremwetter laut Forschenden aufgrund des Klimawandels häufiger auftreten und intensiver werden. Dazu zählen nicht nur Starkregen, sondern auch Hitze und Dürreperioden. 

Auch in der Schweiz sind solche Trends zu beobachten. Von dort stammt das Foto, das in den Sozialen Netzwerken kursiert. 

Facebook-Beitrag mit dem Hochwasser-Foto
Facebook-Beitrag mit dem Foto der Wasserstände (Screenshot am 19. Juli 2021 und Schwärzungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Das Foto der Wasserstände ist aus der Stadt Olten in der Schweiz

Per Google-Bilderrückwärtssuche lässt sich herausfinden, dass das Bild in dem Facebook-Beitrag aus der Schweiz stammt. Das Foto ist mutmaßlich ein Ausschnitt eines Bildes von der Luzerner Zeitung vom 13. Juli 2021 (Bild 8 von 8). Dieselbe Hauswand ist auch in einem Tweet vom 13. Juli 2021 zu sehen. Das Foto zeigt also die Stadt Olten in der Schweiz und ist aktuell. Der Blog Volksverpetzer hat dazu auch bereits einen Artikel veröffentlicht.

Tweet mit dem Hochwasser-Foto aus Olten
Das Foto aus Olten wurde laut dem Nutzer beim höchsten Stand des Hochwassers aufgenommen. Wie hoch das Wasser insgesamt gestiegen ist, ist aber unklar. (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Mit den Suchbegriffen „Wasserstände Olten“ fanden wir außerdem ein anderes Foto der Hauswand auf der Webseite „Mapio“. Es ist schon älter, denn die Wasserstände der Jahre 2001, 2006 und 2007 fehlen. 

Hochwasser-Skala an der Hauswand in Olten
Ältere Version der Wasserstände-Skala an der Hauswand in Olten auf der Webseite „Mapio“ (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Was hat das aktuelle Hochwasser in Olten verursacht? 

Durch die Stadt Olten fließt der Fluss Aare. Das Foto von Twitter wurde wahrscheinlich von der Alten Brücke aus aufgenommen. Der Wasserstand auf dem Bild liegt knapp unter der 2001-Markierung. Der Twitter-Nutzer hat es am Dienstag, 13. Juli, um 19.53 Uhr hochgeladen; nach seinen Angaben war das der Höhepunkt des Hochwassers.

Am Telefon sagte uns jedoch Franco Giori, Leiter der Abteilung Ordnung und Sicherheit bei der Stadtverwaltung Olten, der Höhepunkt des Hochwassers sei in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag gewesen (14. auf 15. Juli). Wie hoch das Wasser in Olten genau gestiegen ist, konnten wir nicht herausfinden.

Wenn die Aare in Olten über die Ufer steige, liege das meist an mehreren Faktoren, vor allem an den großen Seen in der Schweiz, erklärt Giori. Der Regen müsse gar nicht in Olten selbst fallen: Wenn die Seen voll liefen, werde daraus Wasser abgelassen, dieses laufe in Flüsse wie die Aare und könne zu Hochwasser in Olten führen. Das passiert aber nicht willkürlich. 

Giori sagt, das Ganze sei streng reguliert; es gebe ein Abkommen, das festlege, wie viel Wasser durch die Aare fließen darf. Nach dem letzten schweren Hochwasser 2007 sei dieses Abkommen nochmal aktualisiert worden. Ganz verhindern lassen sich Überschwemmungen aber nicht, wie der aktuelle Fall zeigt.

Klimawandel in der Schweiz: Steigende Temperaturen

Laut dem schweizerischen Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (Meteoschweiz) ist das Klima in der Schweiz großen Schwankungen unterworfen. „Diese Schwankungen waren bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorwiegend natürlich bedingt. Danach gibt es Effekte, insbesondere der Temperaturanstieg der letzten Jahrzehnte, die nur noch als Folge der steigenden Treibhausgasemissionen erklärt werden können (Klimawandel).“ 

Klimadaten zum Temperaturanstieg in der Schweiz
Jahrestemperaturen in der Schweiz – Abweichungen vom Durchschnitt (Quelle: Meteoschweiz / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die aktuellen Überschwemmungen in Deutschland wurden nicht von normalem Regen, sondern von Starkregen verursacht. Dabei fällt in kurzer Zeit extrem viel Regen. Auch in der Schweiz waren laut Medienberichten Unwetter die Ursache dafür, dass Flüsse und Seen überliefen. 

Im SRF sagte die Wissenschaftlerin Sonia Seneviratne, solche Ereignisse würden durch den Klimawandel häufiger und extremer werden. Wir haben Seneviratne per E-Mail kontaktiert, und sie wies uns auf eine Information des schweizerischen National Centre for Climate Services hin. „Seit 1901 hat die Niederschlagsmenge von einzelnen Starkniederschlägen in der Schweiz um 12 Prozent zugenommen“, heißt es darin. Das liege unter anderem physikalisch daran, dass wärmere Luft mehr Wasser aufnehmen könne. Dieser Trend werde sich in Zukunft fortsetzen.

Prognosen von Forschenden: Starke Niederschläge werden in der Schweiz zunehmen

Ein wissenschaftlicher Artikel von 2016 von Autorinnen und Autoren von Meteoschweiz und der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich kommt zu dem Schluss, dass trotz großer lokaler Schwankungen Trends in den Messungen zu beobachten seien. Eine Analyse der Daten von 1901 bis 2014/2015 zeige, dass sowohl schwerer Niederschlag als auch heiße Tage in der Schweiz zunehmen. Die beobachteten Entwicklungen im ganzen Land seien höchstwahrscheinlich nicht zufällig und stimmten mit Klimamodellen überein.  

Auf unsere Presseanfrage hin schickte uns Meteoschweiz außerdem per E-Mail ein Statement eines der Autoren zu. Simon Scherrer von der ETH Zürich erklärte: „Aus den bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen oder Veröffentlichungen wird klar, dass die klimaänderungsgetriebene Tendenz von stärkeren und starken Niederschlägen sowohl in Häufigkeit wie Intensität in Richtung Zunahme geht.“ 

Aufgrund der großen natürlichen Schwankungen seien in den nächsten Jahrzehnten sowohl Zunahmen als auch Abnahmen möglich. „Die Signale einer Zunahme von stärkeren und starken Niederschlägen werden nach 2050 deutlicher. […] Die Frage, ob ‘man heute schon in der beobachteten Entwicklung etwas Deutliches sieht’ ist somit eigentlich zweitrangig und deren Antwort ist zumindest für sehr starke Events im Prinzip ‘nein’. Das heisst aber nicht, dass im Hintergrund nichts passiert.“ Mit statistischen Methoden könne heute schon eine „schleichende Änderung“ wahrgenommen werden. 

E-Mail von Meteoschweiz
Die E-Mail eines Sprechers von Meteoschweiz mit einer Erklärung des Klimatologen Simon Scherrer (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Extreme Wetterereignisse werden mit dem Klimawandel wahrscheinlicher

Für Deutschland gibt es laut Deutschem Wetterdienst (DWD) ebenfalls wissenschaftliche Prognosen, die mit einer Zunahmen von Starkregen und somit Überschwemmungen rechnen. Diese Zunahme sei bedingt durch den Klimawandel. Auch der DWD betont, solche extremen Wetterereignisse seien dennoch insgesamt selten. 

Das Science Media Center hat zum aktuellen Hochwasser in Deutschland Einschätzungen von Forschenden zusammengetragen. Sebastian Sippel, Mitglied der Forschungsgruppe Klimaphysik an der ETH Zürich, sagt: „Es ist nach wie vor sehr schwierig, Einzelereignisse kausal auf den Klimawandel zurückzuführen. Das dürfte auch für den aktuellen Starkregen gelten.“ Die Attributionsforschung könne jedoch in vielen Fällen aufzeigen, dass die Wahrscheinlichkeit für solche Ereignisse und ihre Intensität durch den Klimawandel zunehmen. Das sei auch durch „Trends in Beobachtungsdaten“ und „physikalische Gesetzmäßigkeiten“ belegt.

Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ordnet das Geschehen ähnlich ein: „Das Wettergeschehen ist heute immer ein Zusammenspiel aus dem üblichen Wetterzufall und den veränderten Randbedingungen durch die stark erhöhte Treibhausgasmenge in unserer Atmosphäre“, sagt er dem Science Media Center. Bei Niederschlagsextremen sei die Zunahme noch nicht so groß, weil die natürlichen Schwankungen im Vergleich zum Effekt der Erderwärmung stärker seien. „Man kann daher nicht sagen, ob dieses Ereignis eine Folge der Erderwärmung ist, aber man kann festhalten, dass derartige Ereignisse durch die Erderwärmung häufiger werden.“

Fazit: Verkürzte Debatten sind irreführend

Das Foto von Wasserständen in der Stadt Olten in der Schweiz sagt nichts über das Zusammenspiel von Klimawandel und Starkregen aus. Es ist weder ein Beleg gegen einen Einfluss des Klimawandels auf solche Wetterereignisse, noch ist es ein Beleg dafür. 

Eine einzelne Katastrophe, wie die aktuellen Überschwemmungen, kann nicht als direkte Auswirkung des Klimawandels bezeichnet werden. Die Wissenschaft beobachtet daher die langfristigen Entwicklungen und erstellt Prognosen. Und diese sind eindeutig: Forschende warnen, dass extremes Wetter – darunter Starkregen, Hitze und Trockenheit – mit der Erwärmung der Erde häufiger werden wird. 

Update, 22. Juli 2021: Auch das schweizerische Bundesamt für Umwelt (Bafu) hat sich nun auf unsere Anfrage zurückgemeldet. Es teilte mit, in der Schweiz habe es in den letzten 30 Jahren zehn Hochwasser-Ereignisse gegeben: Im August 1978, August 1987, September 1993, das Pfingsthochwasser 1999, Oktober 2000, das Alpenhochwasser August 2005, August 2007, Mai/Juni 2013, Juli/August 2014 und Juli 2021. Als Folge des Hochwassers 2005 habe die Schweiz ihr Warnsystem angepasst und viele Schutzmaßnahmen umgesetzt.

Laut Michèle Oberhänsli, Hydrologin beim Bafu, wird Hochwasser meist durch langanhaltende und intensive Niederschläge verursacht. „In den letzten Jahrzehnten wurden in der Schweiz und in vielen anderen Regionen Europas eine Häufung von großräumigen Hochwassern beobachtet. Betrachtet man die letzten 500 Jahre, so waren die letzten 30 Jahren die hochwasserreichsten von Europa.“

Redigatur: Tania Röttger, Matthias Bau

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (Meteoschweiz) über den Klimawandel in der Schweiz: Link
  • National Centre for Climate Services über heftige Niederschläge in der Schweiz: Link
  • Journal of Geophysical Research: „Emerging trends in heavy precipitation and hot temperature extremes in Switzerland“ (2016): Link
  • Deutscher Wetterdienst über Unwetterklimatologie und Starkregen: Link
  • Stimmen von Forschenden zum aktuellen Hochwasser im Juli 2021, gesammelt vom Science Media Center: Link