Nein, die Bundeswehr hat nicht 65.000 Bierdosen aus Afghanistan ausgeflogen, statt Menschen zu evakuieren
Hat die Bundeswehr Menschen in Not in Afghanistan zurückgelassen, um stattdessen 65.000 Dosen Bier aus dem Land auszufliegen? Unsere Recherche zeigt: Nein.
Hat die Bundeswehr in Afghanistan Menschen in Not zurückgelassen, um 65.000 Dosen Bier auszufliegen? Diesen Eindruck erwecken mehrere Facebook-Beiträge. Auch Bild schrieb am 17. August: „Für Alkohol waren Transportkapazitäten da, für die Ortskräfte in Afghanistan nicht.“
Bereits Anfang Juni gab es Medienberichte – etwa bei NTV und Welt – darüber, wie die Bundeswehr mit den alkoholischen Restbeständen in Afghanistan umgehen werde. Darin ging es auch um die genannten 65.000 Bierdosen. Nach unserer Recherche wurden sie letztendlich nicht ausgeflogen, sondern verkauft. Mit dem ersten Evakuierungsflug der Bundeswehr am 16. August, bei dem sieben Menschen gerettet werden konnten, hat das nichts zu tun.
Wie uns ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr auf Anfrage per E-Mail mitteilt, wurde der Alkohol nicht zurück nach Deutschland geflogen. Ein ziviles Unternehmen habe „die Getränke eigenständig abgeholt, auf dem Landweg in einen Anrainerstaat transportiert und dort verkauft“.
Bundeswehrsprecher: Alkohol wurde vor Ort verkauft, nicht zurückgeflogen
Der Sprecher erklärt weiter: „Die Bundeswehr hat zu keinem Zeitpunkt mit eigenen Transportmitteln alkoholische Getränke von Afghanistan nach Deutschland transportiert, weder auf dem Land- noch auf dem Luftweg.“ Das bestätigte auch eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums bei einer Pressekonferenz am 7. Juni (Protokoll).
Dass Material nicht zurückgebracht, sondern vor Ort verkauft wird, ist offenbar nicht ungewöhnlich. Dasselbe geschieht laut Informationen auf der Webseite der Bundeswehr beispielsweise auch mit anderen Verbrauchsgütern: „Nichtmilitärische Verbrauchs- und Gebrauchsmaterialien werden aus Kostengründen nicht zurückgeführt, sondern vor Ort verkauft. Dazu zählen unter anderem Büro- und Sanitärcontainer, Büromaterial, Möbel und Ähnliches.“
Hintergrund des großen Restbestands von Alkohol ist laut des Bundeswehrsprechers die sogenannte Zwei-Dosen-Regel. Diese Regel erlaubt jedem Soldaten zwei 0,33-Liter-Dosen Bier pro Tag zu trinken, sofern die Situation es zulässt. In Afghanistan sei die Zwei-Dosen-Regel „aufgrund der hohen Bedrohungslage vor Ort“ am 1. Mai 2021 eingestellt und die Alkoholausgabe beendet worden.
Weshalb wurden beim ersten Flug nur sieben Personen mitgenommen?
Das Bild auf Facebook erweckt den Eindruck, die Bundeswehr habe die vermeintlich ausgeflogenen Bierdosen höher priorisiert als die auszufliegenden Personen, weshalb nur sieben Menschen mitgenommen werden konnten. Das ist falsch.
Die Gründe dafür, dass nur sieben Personen ausgeflogen wurden, sind unter anderem das kurze Zeitfenster, in denen die erste Maschine am Flughafen Kabul bleiben konnte. Laut des Sprechers der Bundeswehr war die Maschine nur 45 Minuten vor Ort. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich „nur sieben zu evakuierende Personen im Abflugbereich des Flughafens Kabul“ befunden.
Am Abend des 16. August war die Lage vor Ort zudem noch sehr unübersichtlich. Außenminister Heiko Maas erklärte nach einer Sitzung des Krisenstabes am folgenden Tag, dass sich die Lage inzwischen „stabilisiert“ habe, die Bundeswehr den Zugang zum Flughafen gesichert habe und mit der zweiten Maschine 125 Menschen evakuiert werden konnten (ab Minute 4:09 im Video). Wie uns der Bundeswehrsprecher in seiner E-Mail mitteilte, wurden inzwischen (Stand: 20. August) „knapp 1.300 Menschen aus Kabul evakuiert“.
Redigatur: Till Eckert, Matthias Bau