Corona: Es ist noch unklar, wie ansteckend infizierte Geimpfte sein können
Sind mit dem Coronavirus infizierte Geimpfte genauso ansteckend wie Ungeimpfte? Diese Frage beschäftigt aktuell viele. Studien deuten darauf hin, dass Geimpfte zwar ansteckend sein können, sich aber seltener infizieren und das Virus über einen kürzeren Zeitraum übertragen können als Ungeimpfte.
Hinweis: Dieser Faktencheck beschreibt ein Thema, zu dem die Forschung sich derzeit schnell entwickelt und immer neue Erkenntnisse publiziert werden. Wir gehen auf relevante neu erschienene Studien in Updates unter dem Text ein.
Angesichts der fortgeschrittenen Covid-19-Impfkampagne begleitet die Frage nach dem Umgang mit geimpften und ungeimpften Menschen seit einiger Zeit die Debatten um die Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland. Neben ethischen Aspekten wie der Frage, ob man Vorschriften ausschließlich für vollständig Geimpfte lockern dürfe, kommen nun auch vermehrt epidemiologische Fragen auf: Wie häufig infizieren sich Geimpfte mit dem Coronavirus? Und können sie das Virus auch übertragen?
Geimpfte seien laut Studien genauso ansteckend wie Ungeimpfte, hieß es in dem Facebook-Beitrag eines Kreisverbands der Partei Die Basis, die sich gegen die Corona-Maßnahmen und Impfungen ausspricht. Der am 14. August veröffentlichte Beitrag wurde auf Facebook bisher rund 500 Mal geteilt. Es kursieren derzeit mehrere Beiträge im Netz mit ähnlichen Behauptungen. Um zu überprüfen, ob sie stimmen, haben wir uns aktuelle Studien zu dem Thema angesehen und mit einem Virologen gesprochen.
Auch Geimpfte stecken sich mit dem Coronavirus an
Da die Covid-19-Impfstoffe laut Robert-Koch-Institut (RKI) keinen hundertprozentigen Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus bieten, ist schon länger klar, dass sich auch Geimpfte anstecken können. Die Impfung führe nicht zu einer „sterilen Immunität“ – also dem Schutz sowohl vor einer Erkrankung als auch vor der Infektion –, sondern schütze lediglich vor Covid-19-typischen Symptomen im Falle einer Infektion, erklärte uns RKI-Sprecherin Ronja Wenchel bereits für einen anderen Faktencheck im August.
Seit Beginn der Impfkampagne erfasst das RKI die „wahrscheinlichen Impfdurchbrüche“ in Deutschland. Im Situationsbericht vom 16. September heißt es dazu auf Seite 17: „Ein wahrscheinlicher Impfdurchbruch ist definiert als SARS-CoV-2-Infektion (mit klinischer Symptomatik), die bei einer vollständig geimpften Person mittels PCR oder Erregerisolierung diagnostiziert wurde.“
Doch wie ansteckend sind die Menschen, die sich trotz vollständiger Impfung mit dem Coronavirus infiziert haben?
Delta-Variante: Impfung schützt vor schwerem Krankheitsverlauf
Bei dem ursprünglichen Virus, das zu Beginn der Pandemie aktiv war, lag laut RKI die Wirksamkeit der mRNA-Impfungstoffe gegen eine Erkrankung bei etwa 95 Prozent. Bei der Alpha-Variante (B.1.1.7) seien die Auswirkungen auf die Effektivität des Impfschutzes noch „gering bis mäßig“. Bei der inzwischen auch in Deutschland dominierenden Delta-Variante sind diese Auswirkungen stärker, doch auch hier zeigten die Daten, dass eine vollständige Impfung gegen einen schweren Krankheitsverlauf schütze, schreibt das RKI.
Klar ist: die Delta-Variante ist ansteckender als das ursprüngliche Virus und auch als andere Varianten. Andererseits zeigt eine aktuelle Studie aus Großbritannien, die im August 2021 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, dass sich die Effektivität von mRNA-Impfstoffen bei vollständigem Impfschutz auch bei der Delta-Variante nur geringfügig veränderte.
Studien zeigen hohe Viruslast trotz Impfung
Inzwischen wurden mehrere noch zu begutachtende Studien (Preprints) veröffentlicht, die sich mit der Frage befassen, wie häufig sich Geimpfte mit der Delta-Variante des Coronavirus infizieren und inwiefern sie das Virus übertragen. Eine im US-Bundesstaat Wisconsin durchgeführte Studie vergleicht zu diesem Zweck PCR-Testergebnisse von positiv auf die Delta-Variante getesteten Personen und schlüsselten diese hinsichtlich ihres Impfstatus auf.
Ein PCR-Test kann mit dem sogenannten Ct-Wert (Zyklus-Schwellenwert) Aufschluss über die Menge der Viren geben, die sich im Körper des getesteten Menschen befinden. Man spricht hierbei von „Viruslast“. Je höher der Ct-Wert, desto geringer ist die Viruslast. Ein niedriger Ct-Wert steht laut RKI häufig in Verbindung mit einer Anzüchtbarkeit des Virus in Zellkulturen – was ein Hinweis sein kann, dass die Person ansteckend ist (Kontagiosität).
In der Studie aus Wisconsin wird kein Unterschied zwischen der Viruslast bei vollständig Geimpften und Ungeimpften ausgemacht. Die Viruslast deute darauf hin, dass das Virus auch übertragbar sei, schreiben die Forschenden.
Eine andere Analyse des CDC aus Massachusetts kommt zu dem gleichen Ergebnis: Mit der Delta-Variante infizierte Personen hatten zum Zeitpunkt des PCR-Tests eine ähnlich hohe Viruslast wie ungeimpfte Infizierte.
Die Viruslast ist allerdings nur einer von mehreren Faktoren, die bei der Ermittlung der Ansteckungsfähigkeit relevant sind. Dem RKI zufolge reicht dieser Wert allein nicht aus, um die Kontagiosität eines Patienten zu bestimmen. Weitere Faktoren seien beispielsweise die seit Symptombeginn vergangene Zeit oder der klinische Verlauf der Infektion.
Viruslast allein bestimmt nicht die Ansteckungsfähigkeit
Ralf Bartenschlager ist Leiter der Abteilung für Molekulare Virologie an der Uniklinik Heidelberg und Präsident der Gesellschaft für Virologie. Er weist in einer E-Mail an uns darauf hin, dass es noch wenig Daten gebe, die es ermöglichten, anhand der Viruslast Schlüsse auf die Ansteckungsfähigkeit von infizierten Geimpften zu ziehen. „Grundsätzlich scheint die Zeit der hohen Viruslast in Geimpften immer noch geringer zu sein als bei Infektionen von Nichtgeimpften.“
Bartenschlager verweist als Quelle dafür auf eine Preprint-Studie aus Singapur. Sie kommt zu dem Schluss, dass zum Zeitpunkt des positiven Befundes die Viruslast bei Geimpften zwar ähnlich hoch war wie bei Ungeimpften, sie aber bei Geimpften schneller abnahm. Man könne, wenn auch nicht mit Sicherheit, davon ausgehen, dass aufgrund der kürzeren Zeitspanne, in der Geimpfte eine hohe Viruslast haben, die Übertragungsrate bei ihnen geringer sei als bei Ungeimpften.
Ansteckungsfähigkeit nimmt durch Impfung wohl ab
Eine vorveröffentliche Studie aus den Niederlanden deutet ebenfalls darauf hin, dass die Impfung einen Einfluss auf die Übertragbarkeit des Coronavirus hat. Die Forschenden untersuchten aus einer Gruppe von mehr als 24.000 vollständig geimpften Pflegekräften die Proben derjenigen, die dennoch positiv getestet wurden (161 Menschen). Diejenigen mit Krankheitssymptomen (84,5%) hatten niedrigere Ct-Werte, also eine höhere Viruslast, als diejenigen ohne Symptome. Bei allen erkrankten Geimpften verlief die Krankheit mild und erforderte keinen Krankenhausaufenthalt.
Die Forschenden untersuchten die Atemwegsproben der infizierten Pflegekräfte auch auf die Anzüchtbarkeit des Virus in Zellkulturen. Bei knapp 69 Prozent der Proben fanden sich infektiöse Viren – bei ungeimpften Infizierten waren es jedoch 85 Prozent. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass infizierte Geimpfte seltener infektiöse Viren mit sich tragen als Ungeimpfte. Nichtsdestotrotz wurden in der Studie bei mehr als zwei Dritteln der infizierten Geimpften anzüchtbare Coronaviren nachgewiesen.
Das RKI schreibt (Stand 2. November) zu der Frage, ob Geimpfte das Virus übertragen können: „In der Summe ist das Risiko, dass Menschen trotz Impfung PCR-positiv werden und das Virus übertragen, auch unter der Delta-Variante deutlich vermindert.“ Das liegt in erster Linie daran, dass die Impfung zu einer deutlichen Reduktion der SARS-CoV-2-Infektionen führt. Hinzu komme die Möglichkeit, dass auch bei Menschen, die trotz vollständiger Impfung positiv getestet werden, die Dauer der Virusausscheidung reduziert sei.
Fazit: Geimpfte sind gut gegen schwere Krankheitsverläufe von Covid-19 geschützt. Sie können dennoch infiziert werden und das Coronavirus auch auf andere Menschen übertragen. Studien zeigen, dass die Viruslast bei Geimpften genauso hoch sein kann wie bei Ungeimpften. Es gibt aber Hinweise, dass Geimpfte kürzere Zeit ansteckend sind als Ungeimpfte, weil die Viruslast bei ihnen schneller abnimmt.
Redigatur: Alice Echtermann, Matthias Bau
Update, 5. Oktober 2021: Nach dem Erscheinen dieses Faktenchecks wurden wir auf eine weitere, am 29. September vorveröffentlichte Studie aus Großbritannien aufmerksam. In der Studie werden die PCR-Testdaten von tausenden Menschen, die Kontakt zu Infizierten hatten, ausgewertet. Die Auswertung zeige, dass Geimpfte im Falle einer Infektion – obwohl eine ähnlich hohe Viruslast möglich ist – das Coronavirus seltener übertragen als Ungeimpfte. Als mögliche Erklärung geben die Forschenden an, dass die Viren im Körper von Geimpften schneller zerstört werden könnten und der PCR-Test lediglich auf das Erbgut der nicht mehr infektiösen Viren reagiere. Um das zu belegen, seien aber weitere Studien nötig.
Update, 15. Oktober 2021: Leserinnen und Leser haben uns gebeten, auf einen weiteren Aspekt hinzuweisen, der aus der hier zitierten Studie hervorgeht. Die Ergebnisse der am 29. September vorveröffentlichten Studie aus Großbritannien deuten den Forschenden zufolge auch darauf hin, dass bei der Delta-Variante der Übertragungsschutz durch die Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff nach drei Monaten stark nachlasse und auch beim Biontech-Impfstoff „substanziell gedämpft“ sei. Somit könnten Geimpfte nach einiger Zeit, wenn ihr Impfschutz nachlässt, auch das Virus mutmaßlich wieder häufiger übertragen. Auffrischungsimpfungen könnten dabei helfen, das Übertragungsrisiko zu mindern, schreiben die Forschenden in der Studie.
Korrektur, 27. Oktober 2021: Wir hatten fälschlicherweise geschrieben, in der Studie aus den Niederlanden habe sich gezeigt, dass die Viruslast im Laufe von drei Tage nach Beginn der Symptome signifikant sank. Das stimmt nicht; es waren die Ct-Werte, die sanken. Wir haben den entsprechenden Satz gelöscht.
Update, 3. November 2021: Eine am 29. Oktober 2021 in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte Studie erforscht, wie oft Menschen, die sich mit der Delta-Variante infizierten, weitere Menschen ansteckten – abhängig vom Impfstatus. Die in Großbritannien durchgeführte Studie bestätigt größtenteils die Ergebnisse der in diesem Faktencheck erwähnten Preprint-Studien. Sie beruht auf der Analyse von Atemwegsproben, die 602 Kontaktpersonen von knapp 500 Infizierten bis zu drei Wochen lang täglich entnommen wurden. 53 Kontaktpersonen infizierten sich mit der Delta-Variante, alle hatten Kontakt zu einer infizierten Person innerhalb desselben Haushalts. 38 Prozent der ungeimpften Kontaktpersonen infizierten sich, im Vergleich zu 25 Prozent der geimpften Kontaktpersonen.
Wie in den Preprint-Studien fanden die Forschenden bei den Menschen mit Impfdurchbruch-Infektionen in der Spitze eine ähnlich hohe Viruslast im Laufe der Infektion wie bei ungeimpften Menschen. Bei doppelt Geimpften nahm diese Viruslast schneller wieder ab als bei Ungeimpften. Die Wahrscheinlichkeit der Virusübertragung durch Geimpfte und Ungeimpfte war aber laut der Studie etwa gleich hoch: Von den 39 Infizierten, die 53 weitere Menschen in ihrem Haushalt mit der Delta-Variante ansteckten, waren 15 vollständig geimpft und 16 ungeimpft.
Die Studienlage zu der Frage, wie häufig Geimpfte andere anstecken, ist also nicht eindeutig. Wir haben nach diesem Update die Überschrift und die Bewertung dieses Faktenchecks angepasst, um das besser abzubilden. Wir haben außerdem die Einschätzung des RKI zu diesem Thema neu zitiert, da das RKI diese inzwischen verändert hat und – anders als zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels – nicht mehr schreibt, dass Geimpfte aus epidemiologischer Sicht keine Rolle bei der Verbreitung des Coronavirus spielen würden.
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Studie: „Effectiveness of Covid-19 Vaccines against the B.1.617.2 (Delta) Variant“, New England Journal of Medicine: Link
- Studie (Preprint): „Vaccinated and unvaccinated individuals have similar viral loads in communities with a high prevalence of the SARS-CoV-2 delta variant“: Link
- CDC-Bericht: „Outbreak of SARS-CoV-2 Infections, Including COVID-19 Vaccine Breakthrough Infections, Associated with Large Public Gatherings — Barnstable County, Massachusetts, July 2021“: Link
- Studie (Preprint) aus Singapur: „Virological and serological kinetics of SARS-CoV-2 Delta variant vaccine-breakthrough infections: a multi-center cohort study“: Link
- Studie (Preprint) aus den Niederlanden: „Virological characteristics of SARS-CoV-2 vaccine breakthrough infections in health care workers“: Link
- Studie (Preprint) aus Großbritannien: „The impact of SARS-CoV-2 vaccination on Alpha & Delta variant transmission“: Link
- Studie: „Community transmission and viral load kinetics of the SARS-CoV-2 delta (B.1.617.2) variant in vaccinated and unvaccinated individuals in the UK: a prospective, longitudinal, cohort study“, The Lancet (29. Oktober 2021): Link