Faktencheck

Covid-19: Studie aus Innsbruck über Entzündungsreaktion in Verbindung mit Antikörpern sagt nichts über Impfungen aus

Eine Studie der Medizinischen Universität Innsbruck stellte fest, dass Covid-19-Patienten mit schweren Verläufen unter anderem viele Antikörper im Blut hatten. In einem Artikel wird daraus fälschlich abgeleitet, Menschen mit Antikörpern durch eine Impfung könnten auch schwer erkranken. Darauf gibt es aber keine Hinweise.

von Alice Echtermann

Symbolbild Impfen Covid-19
Eine Studie aus Innsbruck wird falsch interpretiert, um die Sicherheit von Covid-19-Impfungen infrage zu stellen (Symbolbild: picture alliance / DPA / Friso Gentsch)
Behauptung
Eine Studie aus Innsbruck zeige mögliche fatale Folgen der Impfstrategie: Mit jeder Impfung könne sich der Antikörpertiter „zu hoch aufbauen und autoimmune Reaktionen auslösen“.
Bewertung
Unbelegt. Die Studie beschäftigte sich nur mit ungeimpften Menschen und lässt keine Schlüsse über Impfungen zu. Es gibt seit Beginn der Impfkampagne keine Hinweise darauf, dass Impfungen solche Reaktionen hervorrufen. Studien zeigen, dass die Impfungen vor Covid-19 schützen und das Risiko für schwere Krankheitsverläufe senken.

Dieser Text entstand in Kooperation mit dem Faktencheck-Team des Magazins Profil aus Österreich.

Die Webseite „Transparenztest“ veröffentlichte Anfang September einen Artikel über eine neue Studie der Medizinischen Universität Innsbruck. Für die Studie wurden 37 Menschen, die mild, schwer oder lebensbedrohlich an Covid-19 erkrankt waren, untersucht. Es wurde unter anderem festgestellt, dass die schwer erkrankten Personen viele Antikörper gegen SARS-CoV-2 aufwiesen. Die Forschenden schreiben, ihre Daten zeigten einen Zusammenhang zwischen dieser hohen Antikörperkonzentration (hoher Antikörpertiter) und dem schweren Krankheitsverlauf. 

„Transparenztest“ zieht daraus die Schlussfolgerung, dass die Impfkampagnen gegen Covid-19 „fatal“ sein könnten, da auch Impfungen Antikörper gegen SARS-CoV-2 hervorrufen. Der Artikel wurde laut dem Analysetool Crowdtangle rund 4.000 Mal auf Facebook geteilt, sowohl in Deutschland als auch in Österreich. Die Hinweise würden sich „verdichten, dass hohe Antikörpertiter mit autoimmunen Reaktionen in Form eines Zytokinsturms zu schweren Verläufen führen können“, heißt es darin. Mit jeder Impfung könne sich der Antikörpertiter „möglicherweise zu hoch aufbauen und autoimmune Reaktionen auslösen“. 

Studie aus Innsbruck sagt nichts über Impfungen aus

Für diese Schlussfolgerung liefert die Innsbrucker Studie jedoch keine Grundlage. Ein Autor der Studie, der Immunologe und Molekularbiologe Wilfried Posch, teilt uns auf Anfrage mit, die Erkenntnisse bezögen sich nur auf ungeimpfte Patienten: „Das Resümee von ‚Transparenztest‘ entspricht nicht den Schlussfolgerungen, die wir aus der Studie gezogen haben, da wir ausschließlich Immunantworten in Gewebeproben von ungeimpften Covid-19 PatientInnen untersucht haben und diese Ergebnisse nicht auf Covid-19-Geimpfte übertragen werden können.“ 

Verfügbare Daten des Paul-Ehrlich-Instituts liefern keine Hinweise auf Zytokinstürme nach Impfungen. Studien zeigen, dass die Impfung gegen schwere Krankheitsverläufe von Covid-19 schützt. 

Schwere Entzündungsreaktion als Überreaktion des Immunsystems bei Covid-19 

Posch erklärt, seine Studie habe gezeigt, dass schwer an Covid-19 erkrankte Menschen eine niedrige T-Zellantwort, hohe Antikörpertiter und hohe Entzündungsmarker hatten. T-Zellen und Antikörper sind Bestandteile des Immunsystems, die vom Körper gebildet werden, um Fremdkörper (wie Krankheitserreger) zu bekämpfen. T-Zellen können zum Beispiel Zellen, die von Viren befallen wurden, erkennen und abtöten. 

„Im Unterschied zu Geimpften, muss die Immunantwort bei Covid-19 Patienten erst aufgebaut werden“, schreibt Posch uns in einer E-Mail. Bis T-Zellen vorhanden seien, dauere es etwa sieben bis zehn Tage, bis Antikörper gebildet werden etwa zehn bis zwölf Tage. 

„Das Problem bei schweren und kritischen Verläufen [von Covid-19] ist die Entzündungsreaktion“, so Posch. „Wenn diese nicht durch das Immunsystem reguliert wird (wie beim milden Verlauf), dann kommt es zu diesen überschießenden Immunantworten und die führen in weiterer Folge zur Schädigung des Gewebes“. Der Patient müsse dann meist intensivmedizinisch betreut werden. 

Diese Überreaktion des Immunsystems wird teilweise als Zytokinsturm bezeichnet. Diesen Begriff nennt „Transparenztest“ in dem Artikel. Zytokine sind regulierende Proteine, die unter anderem von T-Zellen gebildet werden. Es ist schon länger bekannt, dass eine Entgleisung des Immunsystems bei Covid-19-Patienten vorkommen kann. Für einen früheren Faktencheck erklärte uns Anne Dudeck, Leiterin der Arbeitsgruppe Immunregulation an der Universität Magdeburg, das Phänomen so: „Unter einem Zytokinsturm versteht man eine übermäßige und potentiell lebensgefährliche Ausschüttung von Zytokinen ins Blut.“ Der Begriff Zytokinsturm ist jedoch nicht eindeutig definiert. 

Durch Impfungen werden nur Antikörper gegen das Spike-Protein gebildet

Im Artikel von „Transparenztest“ wird spekuliert, auch Impfungen könnten einen solchen Zytokinsturm auslösen. Dafür gibt es jedoch keine Belege. 

Impfungen gegen Covid-19 bewirken laut Robert-Koch-Institut (RKI) zwar auch eine T-Zell-Immunität und die Bildung von neutralisierenden Antikörpern. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied zwischen einer natürlichen Infektion und einer Impfung. Antikörper, die durch die Impfung vom Körper produziert werden, seien nur gegen das virale Spike-Protein gerichtet, erklärt Posch. „Bei (nicht geimpften) Covid-19-Patienten werden nicht nur gegen das Spike-Protein, sondern auch gegen weitere virale Proteine Antikörper gebildet, und diese machen wahrscheinlich den großen Unterschied, jedoch haben wir das in unserer Studie nicht genauer untersucht.“ 

Das Spike-Protein sitzt auf der Oberfläche des Coronavirus. Die Antikörper von der Impfung können es erkennen und die Infektion daher schnell stoppen oder ganz verhindern. Es gebe zwar teils Impfdurchbrüche mit der Delta-Variante, so Posch, aber es habe sich gezeigt, dass es nicht mehr zu schweren Krankheitsverläufen komme. Als Belege nennt er drei aktuelle Studien von August und September 2021, die sich mit den mRNA-Impfstoffen von Moderna und Biontech befassen (hier, hier und hier).

Auch das Robert-Koch-Institut schreibt mit Verweis auf mehrere Studien, die Impfungen hätten auch bei der Delta-Variante eine hohe Schutzwirkung gegen schwere Krankheitsverläufe. Das heißt, Geimpfte können sich infizieren, werden aber nicht schwer krank. Eine solche Studie, die die Effektivität der Impfstoffe von Biontech und Astrazeneca gegen symptomatische Krankheitsverläufe auch bei der Delta-Variante zeigt, wurde zum Beispiel im August im New England Journal of Medicine veröffentlicht.  

Keine Hinweise, dass Überreaktionen des Immunsystems nach Impfungen häufiger auftreten

Behauptungen wie die von „Transparenztest“ sind nicht neu: CORRECTIV.Faktencheck hat bereits mehrfach darüber berichtet. Oft wird verbreitet, die Covid-19-Impfung schütze nicht vor der Krankheit, sondern mache Menschen womöglich anfälliger dafür. Darauf gibt es auch viele Monate nach Beginn der Impfungen keine Hinweise

Bei der Recherche fanden wir lediglich eine wissenschaftliche Publikation über einen einzelnen Krebspatienten mit spezieller Immuntherapie, der nach einer Corona-Impfung ein „Zytokin-Freisetzungs-Syndrom“ entwickelte. Schwere Verläufe dieses Syndroms werden auch als Zytokinsturm bezeichnet. Der Patient war nicht mit SARS-CoV-2 infiziert. 

Im Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) zu unerwünschten Ereignissen nach Impfungen werden Zytokinstürme auch nicht erwähnt. Lediglich bei einer Jugendlichen wurde nach der Impfung das sogenannte Pims-Syndrom dokumentiert, eine Entzündungsreaktion, die ebenfalls eine Überreaktion des Immunsystems ist und bei Covid-19-Infektionen vorkommen kann. Die Jugendliche war allerdings nicht mit dem Coronavirus infiziert und ist laut PEI inzwischen wieder genesen. In zwei weiteren Fällen seien ähnliche Symptome aufgetreten, diese würden noch untersucht, schreibt das PEI (Bericht vom 20. September 2021, PDF, Seite 19).  

Wir sind in einem Faktencheck im Mai 2021 bereits ausführlich auf das Thema Zytokinsturm eingegangen. Günther Schönrich, stellvertretender Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, wies damals darauf hin, dass diese Komplikation auch nach mehr als einer Milliarde Corona-Impfungen weltweit nicht aufgefallen sei. 

Redigatur: Tania Röttger, Steffen Kutzner

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Studie der Medizinischen Universität Innsbruck: „Potent SARS-CoV-2-Specific T Cell Immunity and Low Anaphylatoxin Levels Correlate With Mild Disease Progression in COVID-19 Patients“: Link
  • Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts zu Covid-19-Impfungen: Link
  • Studie: „Effectiveness of BNT162b2 and mRNA-1273 covid-19 vaccines against symptomatic SARS-CoV-2 infection and severe covid-19 outcomes in Ontario, Canada: test negative design study“: Link
  • Studie: „Effectiveness of mRNA Covid-19 Vaccine among U.S. Health Care Personnel“: Link
  • Studie: „Efficacy of the mRNA-1273 SARS-CoV-2 Vaccine at Completion of Blinded Phase“: Link
  • Studie: „Effectiveness of Covid-19 Vaccines against the B.1.617.2 (Delta) Variant“: Link