Faktencheck

Steigende Stromkosten betreffen auch Geflüchtete und Hartz-IV-Empfänger

Auf Facebook verbreitet sich ein Beitrag, in dem unter anderem behauptet wird, Hartz-IV-Empfängern und Geflüchteten seien steigende Energiekosten egal. Der Grund: Sie würden nicht arbeiten und von Hilfszahlungen des Staates leben. Das ist so pauschal formuliert falsch.

von Matthias Bau

Titelbild_Steigende Energiekosten
Europaweit steigen Preise für Sprit und Gas. Auf Facebook wird mit dem Thema Stimmung gegen Arbeitslose und Migranten gemacht. (Symbolbild: Picture Alliance / Eibner-Pressefoto / Drofitsch / Eibner)
Behauptung
Steigende Energiekosten spielten für Millionäre, Migranten, Flüchtlinge, Hartz-IV-Empfänger und Häftlinge keine Rolle. Diese Menschen würden nicht arbeiten.
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. Fast alle diese Menschen können einer Arbeit nachgehen. Menschen, die Sozialleistungen bekommen – auch Migrantinnen und Migranten oder Geflüchtete – müssen davon ihre Stromkosten selbst bezahlen und sind somit von steigenden Preisen betroffen.

Auf Facebook wird ein Bild mit Text geteilt, auf dem es heißt: „Es gibt fünf Gruppen in Deutschland, denen steigende Energiekosten ziemlich egal sind. Millionäre, Hartzer, Flüchtlinge, Migranten, Häftlinge. Der Rest geht arbeiten und bezahlt das.“ Bisher wurde das Bild rund 16.200 Mal geteilt (Stand: 9. November). 

Der Beitrag bedient Vorurteile gegenüber Migrantinnen und Migranten und Menschen, die Sozialleistungen beziehen. Die Behauptung ist zudem sachlich größtenteils falsch.

Anders als auf Facebook behauptet, sind auch Menschen, die Sozialleistungen vom Staat bekommen, von steigenden Strompreisen betroffen
Anders als auf Facebook behauptet, sind auch Menschen, die Sozialleistungen vom Staat bekommen, von steigenden Strompreisen betroffen (Quelle: Facebook / Screenshot und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)

Auch Menschen, die Hartz IV bekommen, sind von steigenden Stromkosten betroffen

Mit der Bezeichnung „Hartzer“ sind Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV gemeint. Bei Hartz IV handelt es sich eigentlich um das Arbeitslosengeld II (ALG II), das diejenigen erwerbsfähigen Menschen bekommen, die entweder kein Einkommen haben oder von ihrem Einkommen nicht leben können. 

Die Regelsätze, die Empfängerinnen und Empfänger des ALG II erhalten, wurden zu Beginn des Jahres erhöht. Alleinstehende können zum Beispiel bis zu 446 Euro im Monat erhalten. Auf einer Informationsseite der Bundesregierung heißt es, dass auch die „tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung“ übernommen würden soweit sie „angemessen“ seien. Was als „angemessen“ gelte, also zum Beispiel die Höhe der Miete, werde über das „Niveau der Mieten auf dem örtlichen Wohnungsmarkt“ bestimmt. 

Wie der Regelbedarf errechnet wird, wird auf der FAQ-Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erklärt. Dort heißt es, der Regelbedarf diene „zur Sicherung des Lebensunterhalts und solle Ausgaben für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat und Haushaltsenergie“ decken. Außerdem seien Bedarfe zur Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft in den Leistungen enthalten.

Das heißt: Individuelle Stromkosten werden nicht vom Staat übernommen, sondern die Menschen müssen diese als „Haushaltsenergie“ von ihren Regelsätzen bezahlen. Deshalb sind Menschen, die Hartz IV beziehen, auch von den steigenden Strompreisen betroffen.

Wie aus zahlreichen Medienberichten hervorgeht, reichen die Regelsätze oft nicht aus, um die steigenden Stromkosten zu decken. Daher müssen ALG-II-Beziehende Geld an anderen Stellen sparen. Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK sagte gegenüber dem MDR im September, dass es ein „Riesenproblem“ sei, dass steigende Stromkosten in den Hartz-IV-Regelsätzen nicht angemessen berücksichtigt würden. So reiche trotz Unterstützungen durch Wohngeld und Energiekosten „in Städten wie Leipzig, Dresden, München oder Frankfurt das Geld hinten und vorn nicht“. Und der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte im Oktober 2020 eine Übernahme der Stromkosten für Menschen, die Hartz IV beziehen. 

Ob jemand „Migrant“ ist oder nicht, spielt für den Bezug von Sozialleistungen keine Rolle  

Auch für „Flüchtlinge und „Migranten spielten steigende Energiepreise keine Rolle und sie würden nicht arbeiten, heißt es auf Facebook. Auch das ist so pauschal ausgedrückt falsch. 

Wer genau mit „Migranten“ gemeint ist, ist unklar. Formal gilt diese Bezeichnung für Menschen, „die auf der Suche nach besseren Lebensperspektiven aus eigenem Antrieb ihre Heimat verlassen“, wie das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit schreibt. Das können beispielsweise auch Menschen sein, die aus einem Land der EU in ein anderes auswandern, um dort zu arbeiten. 

Für die Frage, ob Menschen Sozialleistungen erhalten, spielt es keine Rolle, ob sie „Migranten“ sind oder nicht. Jemand, der als „Migrant“ bezeichnet wird, erhält nicht automatisch Sozialleistungen. Das bestätigte uns auch eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) per E-Mail: „Die Zugehörigkeit zu der […] Personengruppe ‚Migranten‘“ lasse keinerlei Rückschluss auf Ansprüche auf „Leistungen der sozialen Mindestsicherungssysteme“ zu.

Ein Flüchtling“ ist laut der Genfer Flüchtlingskonvention eine Person, die ihr Land aufgrund von Furcht vor Verfolgung, zum Beispiel aufgrund ihrer Religion oder Rasse, verlässt. In Deutschland regelt den Flüchtlingsschutz das Asylgesetz, in dem unter Paragraf 3 die Definition der Genfer Konvention angewandt wird. 

Arbeitslose Asylbewerberinnen und Asylbewerber erhalten dieselben Sozialleistungen wie alle anderen Menschen in Deutschland

Geflüchtete erhalten in Deutschland in der Anfangsphase Geld- und Sachleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Leistungsberechtigt sind dem Gesetz zufolge zum Beispiel Menschen, die in Deutschland offiziell als Flüchtlinge anerkannt wurden oder sich in einem Asylverfahren befinden. Eine alleinstehende Person bekommt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz pro Monat 364 Euro. Leben die Menschen in einer Aufnahmeeinrichtung, dann werden Strom und Heizung als sogenannte Sachleistung erbracht, erklärte uns eine Sprecherin des BMAS per E-Mail. 

Nach 18 Monaten Aufenthalt in Deutschland erhalten Geflüchtete und Asylbewerberinnen und Asylbewerber meist dieselben Regelleistungen wie Empfängerinnen und Empfänger des ALG II, teilte die Sprecherin weiter mit. Für eigene Wohnungen werden dann wie bei Hartz IV „angemessene“ Kosten für Miete und Heizung übernommen. 

Asylbewerberinnen und Asylbewerber stehen damit vor den gleichen Problemen wie Empfängerinnen und Empfänger des ALG II. Auch sie müssen sparen, wenn die Regelsätze nicht an die Stromkosten angepasst werden. 

Asylbewerberinnen und -bewerber dürfen arbeiten

In dem Facebook-Beitrag wird auch fälschlicherweise unterstellt, dass Asylbewerberinnen und -bewerber nicht arbeiten würden oder könnten. 

Wie aus Informationen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Agentur für Arbeit hervorgeht, sind Asylbewerber auch während des laufenden Asylverfahrens unter verschiedenen Bedingungen berechtigt zu arbeiten. Sie brauchen dafür eine Genehmigung und müssen zuvor eine dreimonatige Wartefrist verstreichen lassen. Personen, die verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen oder die aus einem sicheren Herkunftsland stammen, dürfen in der Regel nicht arbeiten.

Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde aber die als „geduldet“ gelten, also deren Abschiebung ausgesetzt wurde, können nach sechs Monaten in Deutschland arbeiten. 

Sowohl der Mediendienst Integration, als auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) haben Daten zu der Frage bereitgestellt, wie viele Geflüchtete arbeiten. Laut dem Mediendienst Integration, der sich auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit bezieht, waren im August 2021 436.000 Menschen aus „Asylherkunftsstaaten“ sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die Zahl umfasse jedoch auch Menschen, die schon lange in Deutschland lebten und solche, die keine Geflüchteten seien. Laut dem IAB lag die Beschäftigungsquote von Menschen aus „Asyl-Herkunftsländern (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien) im Juli 2021 bei 39 Prozent.“

Häftlinge sind nicht direkt von steigenden Stromkosten betroffen

Anders als auf Facebook behauptet, können laut „Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherungauch Gefangene an den Kosten ihrer Haft und somit an den Energiekosten beteiligt werden. Das trifft jedoch nur auf wenige Inhaftierte zu. 

Wie uns Manuel Matzke, Sprecher der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) telefonisch erklärte, würden Inhaftierte dann an den Kosten ihrer Haft beteiligt, wenn sie ein regelmäßiges Einkommen haben, das nicht durch Arbeit im Gefängnis zustande kommt. Das trifft zum Beispiel auf sogenannte „Freigänger“ zu, die tagsüber außerhalb des Gefängnisses arbeiten und nach der Arbeit wieder in die Haft zurückkehren. Das schreibt auch der Berliner Justizvollzug auf seiner Internetseite. Im Hessischen Strafvollzugsgesetz ist zum Beispiel festgelegt, dass Gefangene an den Kosten ihrer Haft beteiligt werden können, wenn sie eine Rente oder „sonstige regelmäßige Einkünfte beziehen“.

Wie viel diese Inhaftierten bezahlen müssen, legt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz jährlich fest. Am 28. Dezember 2020 veröffentlichte das Ministerium die aktuellen Sätze im Bundesanzeiger. Demnach können Volljährige mit 199,75 Euro pro Monat an ihrer Haft beteiligt werden, wenn sie eine Einzelzelle haben. Zusätzlich fallen Kosten für die Verpflegung an.

Wie uns eine Sprecherin des Justizministeriums per E-Mail mitteilte, umfassen die Haftkostenbeiträge auch die Kosten für Heizung und Beleuchtung. Also bekommen Inhaftierte tatsächlich die Auswirkungen von höheren Energiepreisen nicht direkt zu spüren. Es kann allerdings sein, dass die Sätze für die Haftkostenbeiträge aufgrund der steigenden Energiepreise erhöht werden. 

Über die Arbeitsbedingungen von Gefangenen hat CORRECTIV kürzlich in einer ausführlichen Recherche berichtet. 

Fazit: Die pauschale Aussage, „Migranten“ oder Geflüchtete würden nicht arbeiten, ist falsch. Ob ein Mensch als Migrantin oder Migrant bezeichnet wird, sagt nichts darüber aus, ob er Sozialleistungen bezieht, oder eine Arbeit hat oder nicht. 

Auch Menschen, die Sozialleistungen bekommen, wie Asylbewerber oder Hartz-IV-Empfänger, sind von steigenden Stromkosten betroffen, da diese nicht vollständig vom Staat übernommen werden. Laut Sozialverbänden müssen die Betroffenen oft an anderer Stelle sparen und Geld aus ihren Regelsätzen, das eigentlich für andere Ausgaben vorgesehen ist, für diese steigenden Kosten ausgeben. 

Lediglich Inhaftierte müssen sich tatsächlich nur dann an den Kosten ihrer Haft beteiligen, wenn sie ein regelmäßiges Einkommen haben.   

Redigatur: Till Eckert, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales „Arbeitslosengeld II / Sozialgeld“: Link
  • Die Bundesregierung „Mehr Geld bei Sozialleistungen“: Link
  • Bericht des MDR über Sozialleistungen und steigende Energiekosten „DGB und Sozialverbände fordern Neuberechnung von Hartz-IV-Sätzen“: Link
  • Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes „Sozialstruktur und soziale Lagen“: Link
  • Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit „Flucht und Migration. Grundlagen und Begriffe“: Link
  • Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung „Die Arbeitsmarktwirkungen der Covid-19-Pandemie auf Geflüchtete und andere Migrantinnen und Migranten“: Link