Nein, die Spanische Grippe wurde 1918 nicht durch Impfungen gegen andere Krankheiten hervorgerufen
Im Netz verbreitet sich vielfach ein Kettenbrief zur Spanischen Grippe von 1918. So sollen laut des „Berichts einer Augenzeugin“ angeblich Impfstoffe gegen andere Krankheiten erst zu den Symptomen der Erkrankten geführt haben. Das ist falsch.
Ein Kettenbrief zur Spanischen Grippe 1918 erhitzt im Netz die Gemüter. Angeblich handele es sich um den „Bericht einer Augenzeugin“, die in dieser Zeit Ungeheuerliches beobachtet habe: Die Menschen seien gar nicht an dem neuartigen Influenza-Virus erkrankt, sondern hätten erst durch Impfungen gegen andere Krankheiten die typischen Symptome entwickelt. Der Text ist mindestens seit August 2021 in mehreren Versionen im Netz zu finden, wird auf Blogs zitiert (hier) oder auf Facebook geteilt (hier, hier, hier, hier oder hier).
„Auffällig ist, dass die Spanische Grippe die Eigenschaften genau jener Krankheiten hatte, gegen die diese Leute direkt nach dem 1. Weltkrieg geimpft worden waren (Pest, Typhus, Lungenentzündung, Pocken). Praktisch die gesamte Bevölkerung war mit giftigen Impfstoffen verseucht worden“, wird behauptet. Als Fazit heißt es, es seien „ausschließlich Geimpfte an der Spanischen Grippe“ erkrankt.
Offensichtlich soll mit dem Text Stimmung gegen die Covid-19-Impfung gemacht werden. Er wird der US-Amerikanerin Eleanor McBean zugeschrieben, laut eines Faktenchecks der DPA war diese eine bekannte Impfgegnerin.
Wir haben die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) und Wilfried Witte, Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie am Bethel-Klinikum in Bielefeld und Gastwissenschaftler der Charité in Berlin, um eine Einordnung gebeten. Das Ergebnis: Unter den Experten ist unstrittig, dass ein Influenza-Virus die Spanische Grippe verursacht hat – und keine Impfungen gegen andere Krankheiten.
WHO und ECDC: Impfungen gegen andere Krankheiten hätten die Spanische Grippe nicht verursachen können
Impfungen gegen drei von den im Kettenbrief genannten Krankheiten gab es zur damaligen Zeit tatsächlich, wie uns ein Sprecher des ECDC per E-Mail schreibt. Demnach wurden Impfstoffe „gegen die Pest (in den 1890er-Jahren)“, „Typhus (1890er-Jahre)“ und „Pocken (1790er-Jahre)“ entwickelt. Diese seien auch millionenfach verimpft worden, schreibt der Sprecher. Eine Ausnahme sei „die Pneumokokken-Pneumonie, gegen die es 1918 keinen Impfstoff gab“. Dieser sei erst in den 1970er-Jahren entwickelt worden. Die Pneumokokken-Pneumonie verursacht bakterielle Lungenentzündungen – vermutlich ist das im Kettenbrief gemeint.
Dass diese Impfungen jedoch zu Symptomen oder gar zur Entstehung der Spanischen Grippe geführt hätten, verneint der Sprecher des ECDC: „Der ECDC sind keine Beweise dafür bekannt.“ Und: „Die meisten Impfstoffe können systemische Symptome (Anm. der Red.: zum Beispiel Fieber oder Schüttelfrost) hervorrufen, die den Grippesymptomen ähneln und einige Stunden oder einige Tage andauern, jedoch keine so schwere Erkrankung verursachen.“
Das bestätigt auch ein Sprecher der WHO per E-Mail: „Impfungen gegen andere Krankheiten hätten nicht zum Auftreten des Influenza-A-H1N1-Virus geführt.“ Das H1N1-Virus gilt als Auslöser der Spanischen Grippe, die Millionen Menschen das Leben kostete.
„Die Tatsache, dass es eine Grippepandemie gab, bedeutet, dass es sich um ein neuartiges Influenzavirus handelte, da die Menschen keine vorherige Immunität besaßen“, schreibt der Sprecher der WHO. Forscher hätten Analysen durchgeführt, die zeigten, „dass das Influenza-A-H1N1-Virus von 1918 von einem verwandten Schweinegrippevirus abstammt, das sich von einem Vogelgrippevirus ableitet.“ Das ergebe sich aus mehreren Studien (hier, hier, hier oder hier).
Auch laut Mediziner Wilfried Witte von der Charité in Berlin gibt es „keine Hinweise“ darauf, dass die Spanische Grippe durch Impfungen gegen andere Krankheiten verursacht wurde. Auf die Frage, ob diese zu Symptomen der Spanischen Grippe geführt haben könnten, schreibt Witte: „Das ist nach meiner Einschätzung abwegig.“
Menschen starben laut Experten mehrheitlich an einer bakteriellen Folgeinfektion
Zur Todesursache der Opfer der Spanischen Grippe schreibt der Sprecher der WHO bezugnehmend auf mehrere Studien, teils von 1918 (hier, hier oder hier): „Wissenschaftler gehen davon aus, dass die meisten Todesfälle während der Pandemie 1918 bis 1919 auf sekundäre bakterielle Infektionen zurückzuführen sind. In einer Arbeit wird beschrieben, dass die durchschnittliche Zeit vom Ausbruch der Krankheit bis zum Tod sieben bis zehn Tage betrug und viele Todesfälle etwa zwei Wochen nach Ausbruch der Krankheit auftraten, was auf eine sekundäre bakterielle Lungenentzündung schließen lässt.“
Das bestätigen sowohl der Sprecher des ECDC als auch Mediziner Witte von der Berliner Charité. Er ergänzte außerdem, das viele Menschen, die bereits an Tuberkulose erkrankt gewesen seien, an der Spanische Grippe starben oder als Folge der Spanischen Grippe an Tuberkulose starben. Mit Impfungen habe das „überhaupt nichts zu tun“.
Redigatur: Uschi Jonas, Matthias Bau