Es gibt keine Belege, dass sich Stromausfälle durch die Energiewende oder den Atomausstieg häufen
Anfang Januar gab es mehrere Stromausfälle in Teilen von Berlin, in Hamburg und im Hochtaunuskreis. Einige Twitter-Nutzer behaupten, durch den Atomausstieg oder die Umstellung auf Erneuerbare Energien würden sich solche Ereignisse häufen. Dafür gibt es keine Belege. Die als Beispiele genannten Ausfälle wurden durch technische Defekte oder Wetterbedingungen verursacht.
Am 10. Januar kommentiert ein Nutzer auf Twitter: „Wir haben […] vor neun Tagen die Hälfte unserer AKW [Atomkraftwerke] abgeschaltet. Seitdem stolpern wir von einem Blackout zum nächsten.“ Ähnliche Beiträge kursieren seit einigen Tagen auf Twitter (hier und hier) und Facebook. Der Tenor: Stromausfälle würden sich häufen und Schuld daran seien die „grüne Energiewende“, also die Umstellung auf Erneuerbare Energien, oder der Atomausstieg.
Zum Hintergrund: In der Neujahrsnacht wurden drei Atomkraftwerke vom Netz genommen; die Hälfte der noch verbliebenen AKW in Deutschland. Die drei letzten Reaktoren werden laut Bundesumweltministerium bis Ende 2022 abgeschaltet.
Es gibt aber keine Belege, dass diese Abschaltung zu Versorgungsproblemen und somit zu Stromausfällen geführt hätte. Stromausfälle gab es Anfang Januar 2022 zum Beispiel in Teilen von Berlin (9. Januar), Hamburg (7. Januar) und im Hochtaunuskreis (8. Januar). Unsere Anfragen vor Ort ergaben jedoch: Die Stromausfälle waren alle auf technische Probleme oder Wetterbedingungen zurückzuführen und nicht auf einen Mangel an Strom.
Die Energiewende ist ein Prozess, der schrittweise seit Jahren vorangeht. Eine Zunahme oder Häufung von Stromausfällen gab es in Deutschland in den vergangenen Jahren aber nicht – im Gegenteil nehmen die Vorfälle laut Bundesnetzagentur ab.
Der Grund für den Stromausfall in Berlin war ein Defekt in einem Umspannwerk
Ein Facebook-Beitrag, der mehr als 1.680 Mal geteilt wurde (Stand: 11. Januar), bezieht sich beispielsweise auf einen großen Stromausfall im Berliner Osten am 9. Januar. Auf einem Bild, das von einem Account namens „Kein Tempolimit auf deutschen Autobahnen“ verbreitet wird, heißt es: „Die grüne Energiewende schreitet voran: Blackout in Berlin.“ Es wird also behauptet, der Grund für den Stromausfall sei die Energiewende.
Aus Medienberichten geht hervor: Mit dem Atomausstieg oder der Umstellung auf Erneuerbare Energien hatte der Stromausfall am 9. Januar in Berlin nichts zu tun. Mehrere Medien, darunter der Focus berichteten, der Grund sei ein Defekt in einem Umspannwerk gewesen. Der Stromausfall dauerte nur Minuten, dadurch sei aber das Heizkraftwerk Klingenberg im Ortsteil Rummelsburg für mehrere Stunden ausgefallen. Insgesamt mussten laut Tagesspiegel zeitweise 90.000 Berliner Haushalte ohne Warmwasser und Heizung auskommen.
Pressesprecher von Stromnetz Berlin: Keine Häufung oder Zunahme von Stromausfällen in Berlin
In einem Tweet schrieb der AfD-Bundestagsabgeordnete Steffen Kotré am 9. Januar, eine „Häufung solcher Vorfälle“ sei zu befürchten. Belege dafür nannte er nicht.
Auch eine andere Twitter-Nutzerin suggerierte, Ausfälle in Berlin würden sich häufen. Sie verweist auf Medienberichte über mehrere kleinere Stromausfälle in anderen Berliner Bezirken – zum Beispiel in Schöneberg und Wilmersdorf am 5. Januar, in Steglitz-Zehlendorf am 7. Januar und im Prenzlauer Berg am 8. Januar.
Wir haben bei Stromnetz Berlin am 10. Januar angefragt, ob es in Berlin häufiger als sonst zu Stromausfällen kommt. Pressesprecher Olaf Weidner verneinte das: Es gebe derzeit keine Häufung. Die Anzahl der Störungen im Berliner Stromnetz sei in den letzten Jahren insgesamt rückläufig. „Dass es aber (nahezu täglich) zu Störungen kommt, das betonen wir immer wieder. In den meisten Fällen merkt es nur kaum jemand“, schreibt er.
Er schickte uns Daten zu, die zeigen, dass sich die Zahl der Minuten, die jeder Mensch in Berlin im Schnitt pro Jahr von einem Stromausfall betroffen ist, 2020 im Vergleich zu 2018 und 2019 verringert hat.
Die Energiewende oder der Atomausstieg haben laut Weidner mit den aufgetretenen Störungen im Berliner Verteilungsnetz nichts zu tun. „Denn bei keiner Störung im Berliner Stromnetz waren in den letzten Wochen und Monaten volatile Einspeisemengen (Erneuerbare Energien) oder systemseitige Probleme zum Beispiel durch Spannungseinsenkungen, Frequenzschwankungen, fehlende Strommengen (beispielsweise durch deutsche Kernkraftwerke) ursächlich.“
Bei einem Stromausfall in Hamburg lag ebenfalls eine technische Störung vor
Auf Twitter wurde der Vorfall in Berlin zum Anlass genommen, weitere Beispiele für Stromausfälle im Januar zu sammeln, die offenbar die These zu stützen sollen, dass es zu einer auffälligen Häufung komme. Auch ein Stromausfall in Hamburg am 7. Januar wird erwähnt, als Quelle dient ein Bericht der Internetseite 24hamburg.
Doch auch dieser Ausfall ging auf einen technischen Defekt zurück. Der Strombetreiber Stromnetz Hamburg twitterte am 10. Januar dazu: „Ein defektes Betriebsmittel löste den #Stromausfall aus.“ Dazu ergänzte das Versorgungsunternehmen, Gründe für Versorgungsunterbrechungen könnten beispielsweise Wettereinflüsse oder Beschädigungen sein.
Hochtaunuskreis: Schneefall führte in der Region zu mehreren Stromausfällen
Ein anderer Twitter-Nutzer behauptete ebenfalls, in Deutschland würden sich Stromausfälle häufen, und dies sei „der Anfang einer völlig verfehlten Energiepolitik“. Er teilte dazu als Beleg ein Bild von einem Medienbericht über Stromausfälle in mehreren Gemeinden im Hochtaunuskreis vom 8. Januar.
Es handelt sich offenbar um einen Bericht, der am 9. Januar in der Frankfurter Neuen Presse und der Tageszeitung HNA erschienen ist. Im Text hieß es, die Ursache der Stromausfälle sei noch unklar; es werden aber umgestürzte Bäume durch Schneefall erwähnt. Der Usinger Anzeiger zitiert Ansgar Gerling, Mitarbeiter in der Kommunikation des Stromversorgers Syna: „In allen Fällen waren die Ursache der Störungen bedingt durch umgestürzte Bäume, die Freileitungen beschädigt haben.“
Dass der Wintereinbruch mit Schnee die Ursache der Stromausfälle war, bestätigte auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck auch die Pressesprecherin des Landratsamts Hochtaunuskreis am 11. Januar.
Störungs-Index der Bundesnetzagentur zeigt, dass die Zahl der Stromausfälle in Deutschland sinkt
Wir haben bei der Bundesnetzagentur nachgefragt, ob die Zahl der Stromausfälle in Deutschland steigt, und ob das etwas mit der Energiewende oder dem Atomausstieg zu tun habe. Ein Sprecher teilte uns mit: „Die Energiewende und der steigende Anteil dezentraler Erzeugungsleistung haben bisher keine negativen Auswirkungen auf die Versorgungsqualität in Deutschland.“ Aktuelle Daten für das Jahr 2021 liegen laut dem Sprecher aber noch nicht vor, diese seien erst im Herbst 2022 zu erwarten.
Die Anzahl an Störungen in der Nieder- und Mittelspannungsebene sei aber von 2006 bis 2020 insgesamt gesunken.
Olaf Weidner vom Versorger Stromnetz Berlin erklärte uns: „Die Niederspannungsebene ist die Spannungsebene, mit der Strom an die Haushalte verteilt wird. Die Mittelspannung ist die Spannungsebene, mit der Stromversorger den Strom zwischen Umspannwerken und Netzstationen verteilen.“
Die Bundesnetzagentur misst Störungen auf Nieder- und Mittelspannungsebene seit 2006 beispielsweise in Form des „System Average Interruption Duration Index“ (SAIDI-EnWG). Der Index stellt die durchschnittliche Dauer der Versorgungsunterbrechungen je Verbraucher pro Jahr dar. Ein Blick auf die Daten belegt, dass dieser Wert von 2017 bis 2020 um rund fünf Minuten gesunken ist. Im Schnitt musste demnach 2020 jeder Mensch in Deutschland 10,73 Minuten lang auf Strom verzichten.
Fazit: Es gibt keine Belege für eine Häufung von Stromausfällen aufgrund des Atomausstiegs oder der Energiewende
Die in Sozialen Netzwerken als Beispiele genannten Stromausfälle sind auf technische Probleme oder umgestürzte Bäume zurückzuführen, wie aus Medienberichten hervorgeht. Mit Versorgungsproblemen aufgrund der Umstellung auf Erneuerbare Energien oder der Abschaltung von Atomkraftwerken hatten sie nichts zu tun.
Es gibt derzeit keine Belege, dass es aufgrund der Energiewende generell zu Versorgungsproblemen im Stromnetz oder mehr „Blackouts“ kommt. Es gab in den vergangenen Jahren keine Zunahme von Stromausfällen in Deutschland.
Redigatur: Matthias Bau, Alice Echtermann