Nein, Pfizer-Dokument belegt keine „fast 100-prozentige Todesrate“ unter ungeborenen Kindern bei Schwangeren
Eine Webseite behauptet, ein Sicherheitsbericht des Impfstoffherstellers Pfizer belege, dass in rund 90 Prozent der Fälle durch die Covid-19-Impfung Fehlgeburten bei Schwangeren ausgelöst worden seien. Doch der Bericht wird falsch interpretiert.
„Schock-Enthüllung bei Pfizer-Impfstoffstudien: Fast 100-prozentige Todesrate (!) unter ungeborenen Kindern bei Schwangeren!“, titelte die für Desinformation bekannte Webseite Unser Mitteleuropa am 20. Januar. Ein Dokument des Impfstoffherstellers Pfizer belege, dass „in mindestens 87,5 Prozent der Fälle Schwangere ihre Kinder nach der Corona-Impfung verloren“ hätten. Der Artikel wurde mehr als 3.100 Mal auf Facebook geteilt (Stand: 1. Februar 2022)
Über das Pfizer-Dokumen und die darin aufgelisteten Verdachtsfälle berichteten wir schon im Januar in einem Faktencheck. Die Behauptungen von Unser Mitteleuropa sind irreführend, weil die Daten falsch interpretiert wurden.
Pfizer-Dokument listet gemeldete Nebenwirkungen – sie bestätigen keinen kausalen Zusammenhang zu Covid-19-Impfungen
Woher kommt das Dokument, auf das sich der Artikel von Unser Mitteleuropa bezieht? Im August 2021 forderte eine Gruppe namens „Public Health and Medical Professionals for Transparency“ in den USA von der US-Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde (FDA) die Freigabe aller bislang nicht öffentlich zugänglichen Daten und Informationen zu dem Impfstoff von Pfizer/Biontech. Die FDA lehnte eine beschleunigte Herausgabe der Dokumente zunächst ab, dagegen klagte die Gruppe. Im Laufe des Gerichtsverfahrens veröffentlichte die FDA mehrere Dokumente, die die Behörde für die Zulassung des Comirnaty-Impfstoffs in den USA von der Firma Pfizer erhalten hatte.
Die Behauptung in dem Artikel von Unser Mitteleuropa bezieht sich auf eines der veröffentlichen Dokumente. Der Bericht trägt den Titel „Cumulative analysis of post-authorization adverse event reports of pf-07302048 (BNT162B2) received through 28-FEB-2021“ (übersetzt: Kumulative Analyse von Meldungen über unerwünschte Ereignisse nach der Zulassung). Es listet Verdachtsfälle von Nebenwirkungen auf, die Pfizer von der ersten Notfallzulassung des Comirnaty-Impfstoffes am 1. Dezember 2020 (in Großbritannien) bis zum 28. Februar 2021 nach eigenen Angaben bekannt waren.
Hersteller von Arzneimitteln legen Sicherheitsberichte standardgemäß und nach einer Zulassung durch die zuständigen Behörde vor. In den USA ist dafür die FDA zuständig, in der EU die Europäische Arzneimittelagentur (EMA).
FDA: Keine Hinweise auf Probleme bei Schwangerschaften und Stillzeit
In dem Pfizer-Dokument finden sich insgesamt 413 Meldungen, die Schwangerschaft und Stillzeit betreffen. Diese finden sich in Tabelle 6. Die meisten dort aufgeführten Fälle stammen aus den USA (205).
Das Dokument enthält 270 Meldungen mit Bezug auf Schwangere, aber nur ein kleiner Teil davon bezog sich tatsächlich auf Komplikationen der Schwangerschaft. Der Rest sind übliche Impfreaktionen, die nur die Mutter betrafen, so wie Kopfschmerzen. Gemeldet wurden 23 Fehlgeburten („spontaneous abortions“), zwei Frühgeburten, bei denen das Neugeborene anschließend starb, zwei Fehlgeburten, bei denen das Kind bereits im Mutterleib starb, und eine Fehlgeburt, bei der das Neugeborene außerhalb des Mutterleibs starb. Für 238 Schwangerschaften lag zu dem Zeitpunkt des Berichts noch kein Ergebnis vor.
Die Zahlen in dem Dokument werden falsch interpretiert
Addiert man die Zahlen der gemeldeten Schwangerschaftsausgänge, die mit dem Tod des Kindes endeten, kommt man auf 28 Fälle. Bei insgesamt 32 Schwangerschaften war der Ausgang der Schwangerschaft bekannt. Unser Mitteleuropa zog daraus den Schluss, dass „in mindestens 87,5% der Fälle Schwangere ihre Kinder nach der Corona-Impfung verloren“ hätten. Das ist jedoch falsch, denn bei den 32 Fällen handelt es sich nur um diejenigen, für die ein Ausgang der Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Berichts bekannt war. Wie die übrigen 238 Schwangerschaften ausgingen, ist in dem Bericht nicht zu lesen.
Zudem handelt es sich bei dem im Dokument aufgeführte Meldungen um Verdachtsfälle, bei denen ein Zusammenhang mit der Impfung lediglich vermutet, jedoch nicht bestätigt wurde. Das teilte auch eine Pressesprecherin von Pfizer der AFP im Dezember mit und wird in der Methodik des Berichts betont (PDF, Seite 5). Dort heißt es: Die Sicherheitsdatenbank von Pfizer beinhalte Fälle, die entweder „spontan“ an Pfizer gemeldet oder von Gesundheitsämtern übermittelt wurden. Auch Fälle aus medizinischen Veröffentlichungen oder klinischen Studien seien in der Datenbank enthalten. Diese Fälle würden unabhängig davon aufgenommen, ob ein Zusammenhang zur Impfung bestätigt worden sei oder nicht.
Eine Pressesprecherin der FDA, Abby Capobianco, schrieb uns zudem bereits für unseren Faktencheck im Januar, die gemeldeten Fälle in Bezug auf Schwangerschaften und Stillzeit seien überprüft worden, und man habe keine „Sicherheitssignale“ gefunden, also keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko durch Impfungen.
Aktuelle Studien zeigen: Covid-19-Impfungen führen nicht zu mehr Fehlgeburten
Die US-Behörde für Gesundheitsschutz (Center for Disease Control and Prevention, CDC) sprach offiziell am 11. August 2021 eine Impfempfehlung für Schwangere in den USA aus.
Vorher waren Schwangere aber teilweise schon geimpft und konnten sich in einem freiwilligen Meldesystem namens V-Safe melden. Eine Analyse von Daten aus dem Meldesystem habe kein erhöhtes Risiko von Fehlgeburten unter fast 2.500 Frauen gezeigt, die vor ihrer 20. Schwangerschaftswoche die Covid-19-Impfung erhalten hatten, so das CDC.
Eine andere Studie, die im April 2021 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, untersuchte rund 36.000 Meldedaten von Schwangeren von Mitte Dezember 2020 bis Ende Februar 2021 – etwa dem vom Pfizer-Dokument umfassten Zeitraum – genauer. Die Daten stammten aus dem V-Safe-Register sowie der US-amerikanischen Datenbank VAERS. Laut der Studie zählten zu den häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen bei schwangeren Frauen Schmerzen, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Muskelschmerzen – dies sind übliche Beschwerden nach einer Impfung, die auch bei bei nicht-schwangeren Frauen beobachtet wurden.
Von 827 Frauen, die durch das V-Safe Meldesystem erfasst wurden und bei denen die Schwangerschaft abgeschlossen war, meldeten laut der Studie 86,1 Prozent die Geburt eines lebenden Babys. 12,6 Prozent meldeten eine spontane Fehlgeburt, fast alle vor der 13. Schwangerschaftswoche. Auch in dieser Studie wurde kein erhöhtes Risiko für Schwangere durch die Impfung festgestellt.
Fehlgeburten kommen relativ häufig vor, vor allem zu Beginn einer Schwangerschaft. Laut dem Wissenschaftsmagazin „Quarks“, das sich auf verschiedene Studien beruft, betrifft es etwa jede sechste Frau.
Weitere wissenschaftliche Artikel und Studien zeigen, dass die Corona-Schutzimpfungen in der Schwangerschaft nicht zu einer erhöhten Fehlgeburtsrate führten.
Eine im Januar 2022 veröffentlichte Studie des CDC stellte zudem auch kein erhöhtes Risiko für Frühgeburten oder zu kleine beziehungsweise zu leichte Neugeborene fest. Die Studie untersuchte mehr als 46.000 schwangere Frauen, von denen etwa 10.000 mindestens eine Covid-19-Impfung zwischen Dezember 2021 und Juli 2021 erhielten – mehr als die Hälfte davon den Impfstoff von Pfizer.
Weitere Behauptungen zu angeblichen Totgeburten in Kanada sind falsch
Am Ende des Artikels stellt Unser Mitteleuropa zwei weitere Behauptungen zu Fehlgeburten auf, bei denen es um angebliche Vorfälle in Kanada gehen soll. Mit den Behauptungen beschäftigten sich letztes Jahr schon mehrere Faktencheck-Redaktionen und zahlreiche Medien vor Ort.
Laut Mitteleuropa habe es Angaben von zwei Ärzten zufolge im November 13 Totgeburten innerhalb von 24 Stunden im Lion’s Gate Hospital in Vancouver. Zudem habe es zwischen Januar und Juli 2021 mehr als 86 Totgeburten in Waterloo gegeben.
In einem Twitter-Beitrag wies die Firma Vancouver Coastal Health die Behauptungen zu dem von ihr betriebenen Krankenhaus Lion’s Gate zurück: „An diesen Behauptungen ist nichts dran.“ Und: „Während der Covid-Pandemie gab es keinen merklichen Unterschied in der Häufigkeit von Totgeburten in der Region.“
Eine Pressesprecherin von Vancouver Coastal Health sagte der AFP, es habe zwischen April und Ende August 2021 insgesamt 1.326 Geburten in sieben Kliniken geben, davon waren vier Totgeburten. Diese Zahlen seien vergleichbar mit dem Jahr zuvor (2020/2021), damals habe es 3.299 Geburten gegeben, davon elf Totgeburten.
Auch die zweite Behauptung über angeblich 86 Totgeburten in Waterloo ist falsch. Die kanadische Faktencheck-Redaktion von Global News verglich Daten aus dem Geburtenregister der Stadt. Laut dem Register habe es zwischen Januar und Juni 2021 in der Region Waterloo maximal 15 Totgeburten gegeben (je nach örtlicher Zuordnung der Krankenhäuser sind es 12) – und nicht 86, wie ein Arzt laut Unser Mitteleuropa berichtet haben soll.
Redigatur: Matthias Bau, Alice Echtermann
Die wichtigsten, öffentliche Quellen für diesen Faktencheck:
- Pfizer-Dokument, “Cumulative analysis of post-authorization adverse event reports of pf-07302048”: Link
- CDC-Studie über Covid-19-Impfungen bei Schwangeren, Januar 2022: Link
- Sicherheit der mRNA-Impfung bei Schwangeren, Studie im New England Journal of Medicine, Juni 2021: Link
- Impfempfehlung für Schwangere in den USA, CDC: Link
- Twitter-Beitrag von Vancouver Coastal Health: Link
- Faktencheck über angebliche Fehlgeburten in Kanada, Global News: Link