Faktencheck

Nein, Pfizer-Dokument belegt keine Todesfälle oder Fehlgeburten durch Covid-19-Impfungen

Im Netz verbreitet sich ein Dokument von dem Impfstoffhersteller Pfizer, das nach einer Auskunftsanfrage von einer US-Gesundheitsbehörde veröffentlicht wurde. Die in dem Dokument aufgeführten Nebenwirkungen und Todesfälle werden als Beleg interpretiert, wie gefährlich die Impfung sei. Doch es fehlt wichtiger Kontext. Die Nebenwirkungen sind Verdachtsfälle, die nicht bestätigt wurden.

von Sophie Timmermann

Symbolbild Dokumente - Unsplash
Neue Dokumente sollen beweisen, wie gefährlich die Impfung von Pfizer/Biontech sei. Doch es fehlt wichtiger Kontext. (Symbolbild / Quelle: Unsplash / Wesley Tingey)
Behauptung
Vertrauliche Dokumente zeigten, dass es in den ersten 90 Tagen nach Freigabe des Impfstoffes 1.223 Todesfälle und 158.000 Nebenwirkungen gegeben habe.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Bei dem Pfizer-Dokument handelt es sich um einen Sicherheitsbericht, der standardgemäß vor und nach Zulassung eines Arzneimittels der zulässigen Behörde vorgelegt wird. Die aufgeführten Nebenwirkungen und Todesfälle, genau wie die gemeldeten Nebenwirkungen im Bezug auf Schwangerschaften, sind Verdachtsfälle. Ein Zusammenhang mit der Impfung von Biontech/Pfizer ist nicht bestätigt.

„Vertrauliches Pfizer-Dokument entlarvt Vertuschung der Impfstoff-Todesfälle durch die FDA“, titelte Report24 am 3. Dezember 2021. Laut der Webseite seien neue Dokumente des Herstellers Pfizer aufgetaucht, die belegen, dass der Impfstoff mit Wissen der US-Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde (FDA) „Tausende von Menschen tötete“ und „Spontanabtreibungen“ verursacht habe. Laut dem Analysetool Crowdtangle wurde der Bericht von Report24 mehr als 2.100 Mal auf Facebook geteilt. 

Die Behauptung verbreitete sich auch in den USA und wurde auf weiteren deutschsprachigen Webseiten wie Corona-Transition aufgegriffen, sowie auf Facebook, Telegram und Twitter

Doch die Behauptungen sind unbelegt und den Berichten über die Pfizer-Daten fehlt Kontext. Bei den in dem Dokument aufgelisteten Fällen handelt es sich um Verdachtsfälle ohne einen bestätigten Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung von Pfizer/Biontech (Comirnaty). 

Gruppe stellte im August 2021 einen Antrag zur Freigabe von Pfizer-Dokumenten in den USA

Vor der Zulassung eines Impfstoffes müssen die Hersteller den Zulassungsbehörden im jeweiligen Land Dokumente wie Daten der klinischen Studie und Berichte über mögliche Nebenwirkungen zur Verfügung stellen. Welche Daten für die Zulassung des Covid-19-Impfstoffes konkret notwendig sind, erklärt für Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut auf seiner Webseite. 

In den USA gibt es für US-amerikanische Bürgerinnen und Bürger seit 1967 die Möglichkeit, von Bundesbehörden die Veröffentlichung von Dokumenten mittels eines Antrags im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes (Freedom of Information ACT Request, FOIA) anzufordern. 

Einen solchen Antrag stellte eine Gruppe namens „Public Health and Medical Professionals for Transparency“ im August 2021. Sie forderten von der FDA die Freigabe aller Daten und Informationen zu dem Impfstoff von Pfizer/Biontech, die bislang nicht öffentlich zugänglich waren. 

Die FDA listet alle FOIA-Anträge auf ihrer Webseite. Dort findet sich auch der besagte Antrag unter der Nummer 2021-5683 (Excel-Datei, Zeile 7615). Die FDA lehnte eine beschleunigte Herausgabe der Dokumente zunächst ab, dagegen klagte die Gruppe. Aufsehen erregte das weitere Verfahren auch in den Medien, da es laut FDA etwa 55 Jahre dauern würde, um die gesamten Dokumente verfügbar zu machen.  

Im Laufe des Gerichtsverfahrens veröffentlichte die FDA im November und Dezember 2021 mehrere Dokumente, die die Behörde für die Zulassung des Comirnaty-Impfstoffs in den USA von der Firma Pfizer erhalten hatte. Diese sind auf der Webseite der Gruppe zu finden. Die FDA bestätigte gegenüber der Faktencheck-Organisation Full Fact die Echtheit des besagten Dokuments. 

Daten aus der Pfizer-Zulassungsstudie wurden schon im Dezember 2020 in einem Fachmagazin veröffentlicht

Die meisten Dokumente beziehen sich auf Daten aus der Zeit vor der Zulassung, etwa zu den klinischen Studien, wo diese durchgeführt wurden, der Wirksamkeit des Impfstoffes, sowie Teile des Antrags auf die Arzneimittelzulassung („Biological License Application“). 

Die Behauptungen in den Blogbeiträgen von Report24 und Corona-Transition beziehen sich auf ein Dokument, in dem es um einen Zeitraum nach der Zulassung geht. Der Bericht mit dem Titel „Cumulative analysis of post-authorization adverse event reports of pf-07302048 ​​(BNT162B2) received through 28-FEB-2021“ listet potenzielle Nebenwirkungen auf, die Pfizer von der ersten Notfallzulassung des Comirnaty-Impfstoffes am 1. Dezember 2020 (in Großbritannien) bis zum 28. Februar 2021 nach eigenen Angaben bekannt waren. Auf diese „90 Tage“ beziehen sich die Artikel. 

Hersteller von Arzneimitteln legen solche Sicherheitsberichte standardgemäß vor und nach einer Zulassung der zuständigen Behörde vor. In den USA ist das die FDA, in der EU die Europäische Arzneimittelagentur (EMA). 

Ausgelassen wird in den Blogbeiträgen die Tatsache, dass Teile der Daten aus den veröffentlichten Pfizer-Dokumenten bereits vorher für die Öffentlichkeit zugänglich waren. Der Hersteller Pfizer/Biontech hat die Ergebnisse der Phase-3-Studie im Dezember 2020 im New England Journal of Medicine veröffentlicht. In der Studie werden auch gemeldete Nebenwirkungen dokumentiert.

Gemeldete Nebenwirkungen sind Verdachtsfälle ​​ sie bestätigen keinen kausalen Zusammenhang zu Covid-19-Impfungen 

In dem aktuell diskutierten Pfizer-Dokument finden sich Meldungen über mögliche Nebenwirkungen von rund 42.000 Personen, die 158.893 Ereignisse umfassen. Die meisten Fälle (knapp 35.000) stammen aus den USA. Insgesamt wurden 1.233 Todesfälle gemeldet. Bei allen Meldungen handelt es sich um Verdachtsfälle, bei denen kein Zusammenhang mit der Impfung bestätigt wurde. 

Die genaue Anzahl der Impfdosen, die innerhalb dieses Zeitraums verabreicht wurden, ist unklar. Allerdings stammen etwa 80 Prozent der gemeldeten Verdachtsfälle aus den USA, und dort wurden laut dem Center for Disease Control and Prevention CDC, der US-Behörde für Gesundheitsschutz, bis zum 28. Februar 2021 insgesamt rund 38,4 Millionen Dosen Pfizer-Impfstoff verabreicht. 

Tabelle verabreichte Impfdosen in den USA bis zum 28. Februar 2021
Laut der CDC wurden in den USA bis zum 28. Februar 2021 insgesamt 75.236.003 Covid-19-Impfdosen verabreicht. Etwas mehr als die Hälfte davon waren von Pfizer/Biontech (Quelle: CDC / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Eine Pressesprecherin von Pfizer teilte der AFP mit, dass die Daten in dem Bericht nicht zeigten, ob die gemeldeten Ereignisse auf eine Impfung zurückzuführen sind. Die Todesfälle und Nebenwirkungen seien „spontane“ Meldungen, etwa von Personen aus dem Gesundheitswesen, die ohne Prüfung der Todesursache gemeldet würden. 

Das wird auch in der Methodik des Berichts erklärt. Dort heißt es: Die Sicherheitsdatenbank von Pfizer beinhalte Fälle, die „spontan“ an Pfizer gemeldet wurden, von Gesundheitsämtern übermittelt wurden oder aus medizinischer Literatur oder von klinischen Studien stammen. Diese Fällen würden unabhängig davon aufgenommen, ob ein Zusammenhang zur Impfung bestätigt wurde oder nicht. 

Ein Beispiel: Kommt eine Person ein paar Wochen nach der Covid-19-Impfung in einem Verkehrsunfall ums Leben, so könnte dies auch in der Statistik als Todesfall zu finden sein, obwohl es keinen kausalen Zusammen mit der Impfung gab. 

Auszug aus dem Dokument des Impfstoffherstellers Pfizer
Auszug aus dem Dokument des Impfstoffherstellers Pfizer (Quelle: Pfizer; Screenshot und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck)

Report24 erwähnt zwar, dass bei den gemeldeten Nebenwirkungen der kausale Zusammenhang zur Impfung „nicht zwangsweise geklärt“ sei. Es wird aber trotzdem behauptet, der Impfstoff habe Tausende von Menschen getötet und „Spontanabtreibungen“ verursacht. Im Beitrag von Corona-Transition fehlt der Hinweis, dass es sich um unbestätigte Verdachtsfallmeldungen handelt, komplett. 

FDA: Keine Hinweise auf Probleme bei Schwangerschaften und Stillzeit

Report24 und Corona-Transition behaupten zudem, die Dokumente würden belegen, dass Pfizer und die FDA gewusst hätten, dass der Comirnaty-Impfstoff Fehlgeburten verursacht habe. Das ist irreführend.

In dem Pfizer-Dokument finden sich insgesamt 413 Meldungen, die Schwangerschaft und Stillzeit betreffen. 

Es gab 270 Meldungen in Bezug auf schwangere Mütter, aber nur ein kleiner Teil davon bezog sich tatsächlich auf Komplikationen der Schwangerschaft. Gemeldet wurden 23 Fehlgeburten („spontaneous abortions“), zwei Frühgeburten, bei denen das Neugeborene anschließend starb, zwei Stillgeburten, und eine Fehlgeburt, bei der das Neugeborene starb . In 146 Fällen sei keinerlei medizinische Komplikation gemeldet worden, heißt es in dem Bericht. Bei vielen Meldungen betraf die Nebenwirkung tatsächlich nur die Mutter, darunter waren Kopfschmerzen oder Schmerzen an der Impfstelle.

In Bezug auf gestillte Babys wurden bei 116 von 133 Fällen keine Nebenwirkungen gemeldet. Bei 17 Babys wurden Ereignisse wie Fieber, Ausschlag oder gesteigerter Appetit gemeldet. 

Wichtig ist, auch bei all diesen Ereignissen handelt es sich um Verdachtsfälle. Eine Pressesprecherin der FDA, Abby Capobianco, schrieb uns auf Anfrage, die gemeldeten Fälle in Bezug auf Schwangerschaften und Stillzeit seien überprüft worden, und man habe keine „Sicherheitssignale“ gefunden, also keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko durch Impfungen.

Behauptungen zu angeblich negativen Effekten der Corona-Schutzimpfung während Schwangerschaft und Stillzeit sind nicht neu. Oft werden dabei unbelegte Meldungen aus öffentlichen Datenbanken wie gesicherte Informationen dargestellt, wie wir bereits in einem Faktencheck im Dezember recherchierten. Bisherige Studien zeigen, dass die Corona-Schutzimpfungen in der Schwangerschaft nicht zu einer erhöhten Fehlgeburtsrate führten. Drei Untersuchungen zufolge (von März 2021, Mai 2021 und September 2021) wurden in der Muttermilch keine Impfstoffbestandteile, sondern nur von der geimpften Mutter gebildete Antikörper gegen das Coronavirus nachgewiesen.

Unter den gemeldeten Nebenwirkungen finden sich typische Impfreaktionen, wie Kopfschmerzen und Müdigkeit

Irreführend ist auch eine Behauptung von dem Blog Reitschuster, der das Pfizer-Dokument ebenfalls aufgegriffen hat. Laut Artikel sei es bei allen rund 42.000 Personen zu „schweren Reaktionen“ gekommen. Wie in einer Tabelle aus dem Pfizer-Dokument sichtbar ist, sind unter den gemeldeten Impfreaktionen aber vor allem Muskelschmerzen (myalgia), Fieber (pyrexia), Schwindel (dizziness), Müdigkeit (fatigue), Übelkeit (nausea) und Kopfschmerzen (headache) zu finden. 

Laut dem Robert-Koch-Institut gehören Rötungen, Schwellungen und Schmerzen an der Impfstelle zu typische Beschwerden nach einer Impfung. Auch Reaktionen wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und Unwohlsein seien möglich. Denn: „Diese Reaktionen sind Ausdruck der erwünschten Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem Impfstoff und klingen in der Regel nach wenigen Tagen komplett ab.“

Ausschnitt einer Tabelle aus dem Pfizer-Dokument, die die häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen aufführt.
Ausschnitt einer Tabelle aus dem Pfizer-Dokument, die die häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen aufführt. Ein Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung ist stets nicht bestätigt. (Quelle: Pfizer / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Verdachtsmeldungen werden immer wieder genutzt, um Stimmung gegen die Covid-19-Impfungen zu machen

Immer wieder wird die Anzahl der gemeldeten Verdachtsfälle herangezogen, um Stimmung gegen die Covid-19-Impfstoffe zu machen. In der Vergangenheit wurden dabei schon die Zahlen aus der Datenbank der Europäischen Arzneimittelagentur oder der Weltgesundheitsorganisation aufgegriffen und fälschlicherweise als bestätigte Nebenwirkungen interpretiert, wie wir hier und hier berichteten. 

Auch auf die US-amerikanische Datenbank VAERS wird im Zusammenhang mit dem Pfizer-Dokument verwiesen, beispielsweise in diesem Twitter-Beitrag. Die Datenbank fungiert als Frühwarnsystem, um mögliche Sicherheitsprobleme bei zugelassenen Impfstoffen zu entdecken. Sie wird von der FDA und der CDC betrieben. Aber auch hier handelt es sich bei den Meldungen um Verdachtsfälle. 

Theoretisch kann jede Person in der Datenbank VAERS einen Vorfall melden, der Tage, Monate oder Jahre nach der Einnahme eines Medikaments oder einer Impfung geschah. Die Pressesprecherin der FDA, schrieb uns in einer E-Mail, dies geschehe unabhängig davon, ob es einen plausiblen Zusammenhang mit der Impfung gibt oder nicht. Das bedeutet: Auch für die Vorfälle, die in der Datenbank VAERS dokumentiert werden ist nicht nachgewiesen, dass die Impfung das gemeldete Gesundheitsproblem verursacht hat. 

Fazit: Das durch den FOIA-Antrag veröffentlichte Dokument von Pfizer ist echt, es belegt aber keine Todesfälle oder Fehlgeburten durch die Comirnaty-Impfung. Die in dem Dokument aufgeführten Daten sind Verdachtsfälle, für die es keinen bestätigten Zusammenhang mit der Impfung gibt. Eine solche Dokumentation ist bei der Erforschung und Zulassung von Impfstoffen üblich, um mögliche Sicherheitsrisiken erkennen zu können – zum Beispiel wenn eine bestimmte Krankheit bei Geimpften häufiger auftritt als normalerweise in der Bevölkerung zu erwarten wäre. Laut der US-Behörde FDA ließen sich solche Bedenken aus den gemeldeten Fällen aber nicht ableiten. 

Redigatur: Uschi Jonas, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentliche Quellen für diesen Faktencheck:

  • Pfizer-Dokument, “Cumulative analysis of post-authorization adverse event reports of pf-07302048”: Link