Faktencheck

Selbstbestimmungsgesetz sieht Bußgeld vor, wenn man jemanden absichtlich oder fahrlässig mit falscher Geschlechtsbezeichnung anspricht

Gerhard Papke, ehemaliger Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in NRW, behauptet auf Twitter: Wer in Deutschland künftig einen „Mann in Frauenkleidern“ als Mann anspricht, werde bestraft. Es fehlt Kontext: Ein Bußgeld droht nur, wenn man eine Person vorsätzlich oder fahrlässig mit dem abgelegten Geschlecht anspricht.

von Kimberly Nicolaus

CSD 2022 in Köln
Wer absichtlich die abgelegte Geschlechtsangabe oder den alten Namen einer Person verwendet, begeht eine Ordnungswidrigkeit, laut Entwurf „Selbstbestimmungsgesetz“. Das kann mit einem Bußgeld geahndet werden. (Symbolbild: picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)
Behauptung
Wer in Deutschland künftig einen Mann in Frauenkleidern als Mann anredet, laufe durch das Selbstbestimmungsgesetz Gefahr, sich ein Bußgeld einzufangen.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Der Gesetzentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz sieht nicht pauschal vor, dass eine Person, die einen Mann in Frauenkleidern als Mann anspricht, ein Bußgeld erhält. Wenn jedoch absichtlich oder fahrlässig die abgelegte Geschlechtsangabe oder der alte Name einer Trans-Person verwendet wird, kann die betroffene Person Anzeige erstatten. Es handelt sich dann um eine Ordnungswidrigkeit und kann mit Bußgeld geahndet werden.

Gerhard Papke, ehemaliger Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in NRW, behauptet in einem Twitter-Beitrag, wer in Deutschland künftig „einen Mann in Frauenkleidern als Mann anredet“, könne dafür ein Bußgeld erhalten. Der Beitrag wurde tausendfach geteilt. Papke bezieht sich damit auf den Gesetzentwurf zum sogenannten Selbstbestimmungsgesetz, gibt dessen Inhalt jedoch verkürzt und ohne Kontext wieder.

Manche Menschen identifizieren sich nicht mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, und wechseln es im Laufe ihres Lebens. Man spricht von Trans-Personen. Diese ändern oft auch ihren Vornamen. Laut Gesetzentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz könnte künftig ein Bußgeld von bis zu 2.500 Euro verhängt werden, wenn jemand gegenüber einer solchen Person „vorsätzlich oder fahrlässig den zuvor geführten Vornamen oder den früheren Nachnamen verwendet oder sich auf die vorherige Geschlechtszuordnung bezieht“ (Paragraf 7, Absatz 1, Satz 3). Demnach stellt die Ansprache einer Person mit ihrem „Deadname“, also dem abgelegten Vornamen, oder ihres früheren Geschlechts, eine Ordnungswidrigkeit dar.

Gerhard Papke, ehemaliger Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in NRW, veröffentlichte einen Tweet zum Gesetzentwurf „Selbstbestimmungsgesetz“. Der Behauptung fehlt wesentlicher Kontext.
Gerhard Papke, ehemaliger Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in NRW, veröffentlichte einen Tweet zum Gesetzentwurf „Selbstbestimmungsgesetz“. Der Behauptung fehlt wesentlicher Kontext. (Quelle: Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Änderung gegenüber Transsexuellengesetz von 1981: Verstoß gegen Offenbarungsverbot gilt als Ordnungswidrigkeit

Tatsächlich ist nur die Einstufung als Ordnungswidrigkeit neu. Der Gesetzentwurf soll das seit 1981 gültige Transsexuellengesetz (TSG) ersetzen. Darin ist bereits ein „Offenbarungsverbot“ festgelegt, das besagt, dass „die zur Zeit der Entscheidung geführten Vornamen […] nicht offenbart oder ausgeforscht werden“ dürfen (Paragraph 5, TSG). Doch ein Verstoß dagegen sei „mangels einer entsprechenden Regelung stets sanktionslos“, schreibt Rechtsanwalt Christian Tümmler, spezialisiert unter anderem auf Allgemeines Strafrecht und Bußgeldrecht, auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck per E-Mail. 

Der Gesetzentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz konkretisiert eine solche Regelung nun. In Paragraf 7 wird der Verstoß gegen das Offenbarungsverbot für ordnungswidrig erklärt und die entsprechende Sanktion – das Bußgeld – festgelegt. Die Grünen haben den Gesetzentwurf am 10. Juni 2020 vorgelegt. Es soll in der zweiten Jahreshälfte 2023 in Kraft treten, wenn das Bundeskabinett den Entwurf bis Ende 2022 verabschiedet.

Ein Beispiel, bei dem eine Sanktionierung bereits drohte, obwohl es das Selbstbestimmungsgesetz noch nicht gab: Ende 2021 wurde ein Fall vor dem Amtsgericht Recklinghausen verhandelt. Die Klägerin wurde in einem männlichen Körper geboren, lebte aber seit Jahren als Frau. Ihr Nachbar hatte sie dennoch wiederholt mit „Rüdiger“ angesprochen. Das musste er nach dem Urteil unterlassen – bei Missachtung droht ein Ordnungsgeld.

Ein Versehen ist keine Ordnungswidrigkeit – der Verstoß muss vorsätzlich oder fahrlässig erfolgen

Bei einer versehentlich falschen Anrede einer Person mit dem falschen Geschlecht werde kein Bußgeld fällig, antwortet die Pressestelle der Bundestagsfraktion der Grünen auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck per E-Mail. Um als Ordnungswidrigkeit gewertet und mit einem Bußgeld geahndet zu werden, müsse der Verstoß vorsätzlich oder fahrlässig erfolgen, „also stets schuldhaft“, bestätigt uns auch Rechtsanwalt Tümmler. Das heißt, die Person weiß um die Unrechtmäßigkeit ihres Handelns. 

Außerdem gilt: „Wo kein Kläger, da kein Richter; wenn also niemand von dem Verstoß erfährt oder ihn zur Anzeige bringt, weil er sich nicht betroffen fühlt, wird kein Verfahren eingeleitet”, so Tümmler.

Wie der Lesben- und Schwulenverband betont, gehört die Anerkennung der Geschlechtsidentität zu den Grundrechten. Die vorsätzliche Ansprache mit dem abgelegten Geschlecht oder Namen kann für Betroffene verletzend sein.

Redigatur: Sarah Thust, Alice Echtermann

Update, 22. Juli 2022: Wir haben in der Überschrift, im Teaser und in der Bewertung das Wort „fahrlässig“ ergänzt.