Nein, diese Studie belegt nicht, dass das Tragen von Masken zu mehr Covid-19-Todesfällen in Europa geführt hat
Auf Twitter wird behauptet, dass das Tragen von Masken zu mehr Toten während der Corona-Pandemie geführt haben könnte. Als Beleg soll eine Studie eines brasilianischen Mikrobiologen dienen. Doch der Autor weist keinen kausalen Zusammenhang zwischen Masken und Todesfällen nach. Seine Studie hat laut Experten Schwächen.
Auf Twitter heißt es, eine Studie habe zeigen können, dass Schutzmasken die Covid-19-Fallzahlen nicht senken würden. Möglicherweise würden sie sogar zu mehr Todesfällen führen.
Als vermeintlicher Beleg für die Behauptung dient eine Studie eines brasilianischen Mikrobiologen, der Daten zur Nutzung von Masken, Covid-19-Fallzahlen und -Todesfällen in Europa verglichen hat. Wir haben mit zwei Experten über die Ergebnisse der Studie gesprochen. Ihr Fazit: Sie weise einige Mängel auf und besitze keine Aussagekraft. Der konkrete Nutzen von Masken ist zwar schwer zu messen, es gibt aber Studien, die auf eine Wirksamkeit zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus hindeuten.
Behauptung stützt sich auf Studie eines Mikrobiologen aus Brasilien
Der Twitter-Beitrag bezieht sich auf die Studie „Correlation Between Mask Compliance and Covid-19 Outcomes in Europe“, die im April 2022 in der Zeitschrift Cureus veröffentlicht wurde. Beny Spira, Autor der Studie, ist Professor für Mikrobiologie an der Universität São Paulo in Brasilien.
In der Studie untersuchte Spira verschiedene Daten: der Anzahl von Covid-19-Infektionen in europäischen Ländern mit mehr als einer Million Einwohnern, der Anzahl der Covid-19-Todesfälle in diesen Ländern und der Nutzung von Schutzmasken gegen Covid-19. Die Daten zur Anzahl der Covid-19-Infektionen und -Todesfälle sowie der Nutzung von Masken lud er nach eigenen Angaben am 14. Februar 2022 bei einem Institut der Universität Washington herunter.
Das Institut hat seine Daten darüber, wie häufig in den verschiedenen europäischen Ländern Schutzmasken getragen wurde, aus einer Umfrage, die Forschende anderer Universitäten unter anderem in Zusammenarbeit mit Facebook durchgeführt haben. Darin sollten Teilnehmende die Frage beantworten, wie häufig sie in den vergangenen sieben Tagen in der Öffentlichkeit eine Maske trugen. Dabei reichten die Antwortmöglichkeiten von „die ganze Zeit“ bis „ich war in den letzten sieben Tagen nicht in der Öffentlichkeit“. Bei der Umfrage wurde erfasst, aus welchem Land die teilnehmende Person stammt. Daraus hat der Studienautor Spira den Prozentsatz der Bevölkerung eines Landes entnommen, der von Oktober 2020 bis März 2021 in der Öffentlichkeit immer eine Maske getragen habe.
Auf der Informationsseite der Universität Maryland zu der Umfrage steht, man habe täglich einen repräsentativen Kreis von Facebook-Nutzenden eingeladen, an der Studie teilzunehmen. Pro Tag seien 100.000 Antworten registriert worden. Die Forschenden weisen aber selbst darauf hin, dass die gesammelten Daten Schwächen und Verzerrungen aufweisen – zum Beispiel, weil bestimmte Profildaten nur von Facebook (Meta) einsehbar sind. Es werde nicht empfohlen, auf Basis der Daten Prozentanteile der Bevölkerung zu berechnen, ohne sich noch auf weitere Datenquellen zu berufen.
Brasilianische Studie untersucht keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Tragen von Masken und Covid-19-Todesfällen
Wie es in der Studie von Beny Spira heißt, wird darin nicht untersucht, ob das Tragen von Masken dazu führt, dass es zu mehr Covid-19-Infektionen oder -Todesfällen kommt. Das bestätigte uns auch der Autor der Studie auf Nachfrage. „Ich kann nicht sagen, dass das eine das andere verursacht hat“, so Spira in seiner E-Mail an uns. Die Studie untersuche lediglich, ob es einen Zusammenhang zwischen diesen Daten geben könnte. Ihm sei bei dem Vergleich der Daten aufgefallen, dass die Covid-19-Zahlen in den Ländern, in denen mehr Masken getragen wurden, nicht viel niedriger gewesen seien. Zudem habe es in diesen Ländern mehr Todesfälle gegeben.
In früheren Faktenchecks berichteten wir bereits mehrfach (hier und hier) über Studien, deren Schlussfolgerungen durch Dritte als kausale Aussage fehlinterpretiert wurden. In der Wissenschaft wird unterschieden: Treten zwei Sachverhalte lediglich gleichzeitig auf, spricht man von einer „Korrelation“. Sie kann zufällig sein. Ist dagegen ein Sachverhalt nachweislich der Grund für das Auftreten des anderen Sachverhalts, spricht man von „Kausalität“.
Einen kausalen Zusammenhang nachzuweisen sei besonders schwierig, erklärt die Universität Leipzig. Dafür müsse ausgeschlossen werden, dass „andere Dinge zur Wirkung geführt haben“ könnten.
Daten zum Tragen der Maske basieren auf sehr allgemeinen Fragen
Wir haben uns für eine Einschätzung der Behauptung und der Studie an die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie gewandt. Dort vermittelte man uns an den Mikrobiologen und Infektionsepidemologen Andreas Podbielski als Ansprechpartner. Podbielski ist Mitarbeiter am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene an der Universitätsmedizin Rostock.
Im Interview mit uns sagte Podbielski, dass die Studie mehrere Mängel aufweise. Ein grundsätzliches Problem bei Spiras Studie sei, dass sie öffentlichen Daten nutze. Diese Daten seien aber nicht speziell für die Studie erhoben worden, sodass es „keinerlei Kontrolle über die Güte der Daten“ gebe. Ein weiteres Problem sieht er in den Daten zur Verwendung von Masken, denn diese beruhten auf einer freiwilligen Selbstauskunft und seien daher wenig verlässlich. Es fehle zudem eine Angabe, welche Masken getragen wurden.
Auch Emanuel Wyler, Wissenschaftler am Max Dellbrück-Centrum für Molekulare Medizin, schreibt uns hierzu auf Anfrage, dass die Daten sehr unkonkret seien: Sie basierten auf der allgemeinen Frage, ob man „in der Öffentlichkeit“ immer eine Maske trage und lieferten daher zum Beispiel keine Aussage über den Nutzen des Masketragens speziell in Zügen oder Büros.
Studie vernachlässigt Störfaktoren, die ebenfalls Einfluss auf die Covid-19-Zahlen haben können
Wie zuvor beschrieben hätte Spira zudem prüfen müssen, ob es auch weitere Faktoren geben könnte, die zu mehr Covid-19-Infektionen und -Todesfällen in einem Land führten. Als Beispiele für solche Faktoren nennt Andreas Podbielski zum Beispiel die Altersstruktur in der Bevölkerung und die Qualität der Gesundheitsversorgung in den jeweiligen Ländern. Das sei in der Studie aber „alles ist nicht da“.
Die Seite Health Feedback, die Faktenchecks zu medizinischen Themen veröffentlicht und sich ebenfalls mit der Studie befasst hat, benennt weitere unbeachtete Faktoren: Gab es neben der Verwendung von Masken in einigen Ländern andere Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19, wie zum Beispiel Kontaktbeschränkungen? Gab es bereits neue Virusvarianten, die in den verschiedenen Ländern verzögert auftraten? Berücksichtige man diese Faktoren nicht, könne es zu falschen Schlussfolgerungen und der Annahme falscher Korrelationen kommen. Anders ausgedrückt, in solchen Fällen werden Zusammenhänge zwischen Sachverhalten hergestellt, die lediglich zufällig bestehen.
Andreas Podbielski nennt ein klassisches Beispiel für eine Scheinkorrelation: „Wenn man sich über ausgewählte Jahrzehnte vor dem Zweiten Weltkrieg die Storchenpopulation und gleichzeitig die Geburtenrate in Ostpreußen anschaut, dann sieht man, dass da ein positiver Trend bei beidem ist. Und wenn man sagt, das ist miteinander assoziiert, hätten wir damit den Beleg, dass Störche Kinder bringen. Und wir wissen, dass das nicht zutrifft.“
Auch wenn der Autor Beny Spira all diese Störfaktoren mit einbezogen hätte, wäre das beste Ergebnis, das seine Studie erzielen könne, nach Ansicht von Podbielski: „Es gibt eine Assoziation, aber null Beleg für einen kausalen Zusammenhang.“ So sieht es auch Emanuel Wyler: „Die Aussagekraft der Studie ist eigentlich null.“
Da die Studie von Spira nicht mit individuellen Daten arbeitet, kann sie laut Health Feedback zudem nichts darüber aussagen, ob am Ende die Personen gestorben sind, die eine Maske getragen haben, oder diejenigen, die keine getragen haben.
Verschiedene Studien bestätigen grundsätzliche Wirksamkeit von Masken
Die Sachverständigenkommission aus zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Experten, die für eine externe Evaluation der Maßnahmen während der Covid-19-Pandemie von der Bundesregierung und dem Bundestag beauftragt wurde, weist in ihrem Bericht vom 30. Juni 2022 (PDF, S. 88) darauf hin, dass es schwer sei, den Schutzeffekt von Masken in der täglichen Praxis zu bewerten. Der Grund dafür sei das Fehlen randomisierter klinischer Studien.
Für solche Studien werden die Versuchspersonen zufällig in mindestens zwei Gruppen aufgeteilt. Nur eine der Gruppe trägt eine Maske, die andere dient als Kontrollgruppe. So wäre es möglich, den direkten Effekt der Masken zu messen. Dieses Verfahren ist jedoch im Fall von Covid-19 aus ethischen Gründen problematisch, da man so Menschen bewusst der Gefahr einer Infektion aussetzen würde.
Aufgrund mehrerer anderer Studien aber könne laut Sachverständigenkommission „[d]ie grundsätzliche Wirksamkeit von medizinischen Gesichts- und partikelfiltrierenden Halbmasken zur Verhütung und Bekämpfung der SARS-CoV-2- Infektion […] als weitgehend gesichert gelten.“
Die Kommission beruft sich unter anderem auf eine Studie des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen vom 7. Dezember 2021: Die Forschenden hatten für verschiedene Szenarien mit und ohne Maske das Risiko einer Coronainfektion berechnet. Sie berücksichtigten dabei unter anderem die Verteilung infektiöser Partikel in der Atemluft, die Physik der Ausatmung und wie gut die Maske sitzt. Ihr Fazit: „Tragen sowohl die infizierte als auch die nicht-infizierte Person gut sitzende FFP2-Masken, beträgt das maximale Ansteckungsrisiko nach 20 Minuten selbst auf kürzeste Distanz kaum mehr als ein Promille. Sitzen ihre Masken schlecht, steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion auf etwa vier Prozent.“
Darüber hinaus verweist die Kommission auf eine Fall-Kontroll-Studie aus Kalifornien vom 11. Februar 2022. Die Forschenden befragten dafür zufällig ausgewählte Personen in zwei Gruppen: Menschen mit positivem Covid-19-Testergebnis (PCR) und – als Kontrollgruppe – Menschen mit negativem Ergebnis. Sie hielten sich in den 14 Tagen vor ihrem Testergebnis in öffentlichen Räumen auf und hatten keinen Kontakt zu einer nachweislich infizierten Person. Einbezogen wurde unter anderem die Häufigkeit des Masketragens und die Art der Maske. Die Probanden der Kontrollgruppe wurden unter anderem nach Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status und Wohnort ausgewählt, um möglichst viele Störfaktoren auszuschließen.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Personen, die angaben, immer eine medizinische OP-Maske getragen zu haben, eine 66 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit für ein positives Testergebnis hatten als Personen, die angaben, nie eine Maske getragen zu haben. Den höchsten Schutz bieten laut Studie N95-Masken mit einem 83 Prozent geringeren Infektionsrisiko.
Keine Belege, dass Masken gesundheitliche Schäden verursachen
Der Effekt von Masken sei zwar nicht einfach zu messen, schreibt uns auch Emanuel Wyler vom Max Dellbrück-Centrum, aber er sei klar vorhanden: „Daher ist angesichts der niedrigen Belastungen (von Geld bis Stress) der Masken ihr (gezielter!) Einsatz nach wie vor gerechtfertigt.“
Dafür, dass das Tragen von Masken negative gesundheitliche Folgen haben könnte, wie Beny Spira in seiner Studie suggeriert, gibt es laut der Sachverständigenkommission bisher keine Belege (S. 89): „Befürchtungen, dass das Tragen von Gesichtsmasken – insbesondere von partikelfiltrierenden Halbmasken – zu besorgniserregenden gesundheitlichen Schäden oder Beeinträchtigungen der physischen und kognitiven Leistungsfähigkeit durch erhöhte CO2-Rückatmung führt, haben sich in zahlreichen Studien nicht bestätigt.” Auch wir haben für diese Behauptung bei Recherchen für Faktenchecks und in einem Selbstversuch für einen Hintergrundbericht keine Belege dafür finden können.
Redigatur: Matthias Bau, Alice Echtermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik, Bericht des Sachverständigenausschusses nach § 5 ABS. 9 IFSG , 30. Juni 2022: Link (PDF)
- Studie: „Correlation Between Mask Compliance and COVID-19 Outcomes in Europe“, Cureus, 14. April 2022: Link
- Studie: „An upper bound on one-to-one exposure to infectious human respiratory particles“, Proceedings of the National Academy of Sciences, 7. Dezember 2021: Link
- Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen, 2. Dezember 2021: Link
- Studie: „Effectiveness of Face Mask or Respirator Use in Indoor Public Settings for Prevention of SARS-CoV-2 Infection – California, February–December 2021“, US Department of Health and Human Services/Centers for Disease Control and Prevention, Morbidity and Mortality Weekly Report, 11. Februar 2022: Link