Keine Inszenierung: BBC-Reporter berichtete während Beschuss auf ukrainische Stadt Irpin
Ein Standbild aus einem Video soll belegen, dass die Berichterstattung eines BBC-Reporters aus der ukrainischen Stadt Irpin eine „schauspielerische Darbietung“ gewesen sei. Doch der Vorwurf ist falsch: Aus dem gesamten Videobeitrag geht hervor, dass der Reporter berichtete, während die Stadt Irpin unter Beschuss stand.
Warnung: In diesem Beitrag ist Videomaterial verlinkt, das Kriegsszenen zeigt.
Angeblich hat ein Reporter des britischen Nachrichtensenders BBC in seinem Bericht aus der umkämpften ukrainischen Stadt Irpin die Gefahr, in der er sich befand, übertrieben dargestellt. Das jedenfalls behaupteten Nutzerinnen und Nutzer Anfang Oktober auf Facebook, Telegram und TikTok. Ihr Beweis: Während der Journalist mit Helm und Schutzweste auf dem Boden liegt, nähert sich im Hintergrund eine Zivilistin mit Handtasche. Daraus folgern sie, die Situation sei offenbar nicht so gefährlich, wie von dem Journalisten dargestellt.
Doch es fehlt wesentlicher Kontext: Die Bilder, die online als Beleg dienen, sind einem BBC-Video vom 6. März 2022 entnommen. Darin ist der Beschuss auf die Stadt Irpin zu hören und zu sehen, wie auch die Zivilistin und weitere Personen in Deckung gehen. Immer wieder werfen sich Menschen auf den Boden, wenn das Geräusch herannahender Geschosse zu hören ist – der Reporter der BBC befand sich demnach tatsächlich in Gefahr.
Standbild aus BBC-Fernsehbeitrag – vollständiges Video zeigt Beschuss auf die Stadt Irpin
Die britische Faktencheck-Redaktion Fullfact fand die Originalquelle der Fotos: Ein BBC-Fernsehbeitrag (archiviert), der am 6. März 2022 veröffentlicht wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zwei Wochen vergangen. Im Beitrag heißt es: „Die Stadt befindet sich seit einer Woche an der Frontlinie zwischen russischen und ukrainischen Truppen.“ Zu sehen ist BBC-Reporter Jeremy Bowen, der aus der ukrainischen Stadt Irpin, nahe der Hauptstadt Kiew, berichtet.
Das vollständige Video veröffentlichte die BBC auf Youtube mit dem Titel: „Schreckliche Szenen im Kampf um Kiew: Familien auf der Flucht vor dem russischen Angriff getötet.“ Die Szene aus der das Bild stammt, ist ab Minute 2:14 zu sehen. Die Zivilistin, die als Beweis dienen soll, dass es keine Gefahr gab, ist unmittelbar vorher noch gemeinsam mit anderen Personen zu sehen, die in Deckung hocken. Als der Beschuss endet, kommen sie aus der Deckung hervor, während Bowen noch liegt. Er sagt: „Es gibt eine Menge Beschuss, Artilleriefeuer, viele Zivilisten kommen, […] das ist der Rand der Stadt, die die Russen erreicht haben“ – auch Explosionen sind zu hören. Irpin, der Ort, von dem Bowen berichtet, liegt unmittelbar vor Kiew.
Auch deutsche Medien berichteten über die Kämpfe um den Vorort von Kiew und zeigten dabei ähnliche Szenen. Etwa die Welt, die am 8. März ein Youtube-Video mit dem Titel „Kampf um Kiew: Erbitterte Schlacht um Vorort Irpin – Traumatisierte Zivilisten fliehen“ veröffentlichte..
Human Rights Watch: Angriffe auf Zivilisten in Irpin am 6. März
Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schrieb in einem Bericht vom 8. März 2022: „Russische Streitkräfte bombardierten am 6. März 2022 mehrere Stunden lang eine Straßenkreuzung [in Irpin], die Hunderte von Zivilisten benutzen, um vor dem Vormarsch der russischen Armee in der Nordukraine nach Kiew zu fliehen.“ Am selben Tag entstand der Fernsehbeitrag mit BBC-Reporter Jeremy Bowen in Irpin. Die Zerstörung der Stadt Irpin und Angriffe auf Zivilisten am 6. März sind in Medienberichten dokumentiert.
Bowen selbst dementierte die Anschuldigungen. Am 6. Oktober 2022 schrieb er auf Twitter: „[Es] wird behauptet, ich hätte im März in der Ukraine einen Beitrag für die Kamera gefälscht. Die Behauptungen sind völlig falsch. Beleidigen Sie mich, wenn Sie wollen. Beleidigen Sie aber nicht Tausende von Zivilisten, die vor dem russischen Beschuss und Kriegsverbrechen über die Irpin-Brücke nach Kiew fliehen.“
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Matthias Bau, Steffen Kutzner
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck: