Keine Hinweise darauf, dass russische Soldatinnen einen Kollegen vergewaltigt haben sollen
Im Netz kursiert ein Screenshot von einem angeblichen Nachrichtenartikel. Darin wird von einer Gruppenvergewaltigung durch russische Soldatinnen berichtet. Belege dafür gibt es keine, russische Seiten dementieren den Inhalt.
Ein Foto eines angeblichen Nachrichtenbeitrags kursiert vielfach auf Facebook (hier und hier). Die Meldung lautet: Russische Soldatinnen hätten einen schwulen Mann vergewaltigt. Er sei zu den Frauen versetzt worden, weil homosexuelle Männer rechtlich als Frauen gelten würden.
Unsere Recherche zeigt: Es gibt keine Belege für die angebliche Gruppenvergewaltigung. Ein wesentliches Detail im Text ist falsch: Homosexuelle Männer werden in Russland nicht als Frauen angesehen.
Foto stammt aus 2021: Wettbewerb unter weiblichen Militärangehörigen
Der Screenshot wirkt auf den ersten Blick wie von einer Nachrichtenseite – und doch findet man den Original-Artikel im Internet nicht. Von welcher Seite er stammen soll, ist nicht ersichtlich.
Eine Bilderrückwärtssuche mit dem Foto der Soldatinnen führt unter anderem zu einem Artikel, der am 8. März 2021 auf der Seite Russia Beyond veröffentlicht wurde. Russia Beyond berichtet über Ereignisse in Russland in mehreren Sprachen und wird vom russischen Medienunternehmen TV Novosti betrieben. In dem Artikel ist dasselbe Foto abgebildet, als Bildquelle ist das russische Verteidigungsministerium angegeben.
Auf dessen Webseite findet sich dasselbe Foto in einer Bildergalerie. Laut einer Pressemitteilung vom 2. März 2021 wurde es bei einem Wettbewerb für weibliche Militärangehörige mit dem Namen „Make-up unter Tarnung“ aufgenommen. Das Bild ist also nicht aktuell und steht nicht im Zusammenhang mit einer angeblichen Vergewaltigung.
Trotz Ähnlichkeiten zu Sky News ist die Originalquelle der Behauptung unbekannt
Der Screenshot liefert noch einen Ansatzpunkt. Dort stehen rechts neben dem Artikel in einer Spalte vier weitere Schlagzeilen. Diese Meldungen sind echt, wie eine Google-Suche zeigt. Sie tauchen auf verschiedenen Nachrichtenseiten auf. Auffällig ist: Das Nachrichtenportal Sky News veröffentlichte unter jeder der vier Schlagzeilen einen Artikel. Nur: Dort finden wir keinen Artikel über die angebliche Vergewaltigung.
Das Seitenlayout von Sky News ist zudem anders als jenes im Screenshot. Auf der Webseite gibt es zum Beispiel keine Spalte mit weiteren Texten an der rechten Seite und die Zeitangaben zu den einzelnen Artikeln haben ein anderes Format. Es liegt also nahe, dass der Screenshot nicht von Sky News stammt.
Russische Seite dementiert und spricht von „westlichen Fantasien“
Mit der russischen Übersetzung der Stichworte „Russische Soldatinnen vergewaltigen schwulen Mann“ finden wir einen russischen Bericht über die angebliche Nachricht. SM News, eine Seite, die nach eigenen Angaben vom russischen Ministerium für Digitale Entwicklung, Kommunikation und Massenmedien gefördert wird, titelt: „Westliche Medien berichteten, dass russische Soldatinnen mit roten Sternen auf den Wangen einen schwulen Mann vergewaltigt haben“. Im Artikel ist die Rede von der „Fantasie westlicher Journalisten“, die damit die „große Masse der westlichen LGBT-Gemeinschaft“ erschreckten. Abgebildet ist derselbe Screenshot, der in Sozialen Netzwerken kursiert. Ein Beleg dafür, dass die angebliche Nachricht tatsächlich von „westlichen Journalisten“ stammt, wird nicht genannt.
Und da ist noch eine Unstimmigkeit. Im geteilten Screenshot heißt es, schwule Männer würden in Russland als Frauen angesehen werden. Darum sei der Mann, der angeblich vergewaltigt wurde, erst in die Frauen-Division versetzt worden. Wir fanden keine Belege dafür, dass es in Russland ein derartiges Gesetz gibt.
Älteste Quelle für die angebliche Meldung ist ein anonymes Online-Forum
Der Screenshot stammt also nicht von Sky News. Es lässt sich auch nicht nachweisen, dass er der „Fantasie westlicher Journalisten“ entsprang, wie von SM News berichtet. Wir schlagen den Titel in Anführungszeichen auf Google nach und landen im Internetforum 4Chan. Dort tauschen sich Nutzerinnen und Nutzer anonym über allerlei Themen aus und laden Bilder hoch.
Die Behauptung wurde auf 4Chan schon am 15. Oktober frühmorgens veröffentlicht – dem Tag, an dem der angebliche Artikel erschienen sein soll. Damit ist das Forum die älteste Quelle, die sich für die Behauptung finden lässt. Ein Link zum Ursprung der Diskussion führt mittlerweile ins Leere. Nutzerinnen und Nutzer auf 4Chan zweifeln an der Echtheit des Artikels, der in dem aktuell verbreiteten Screenshot zu sehen ist. Eine Person schreibt etwa von „Fake Headlines“.
Fest steht: Mehrere Spuren in Richtung Originalquelle der Behauptung führen ins Leere. Dadurch lässt sich nicht belegen, ob russische Soldatinnen tatsächlich einen homosexuellen Mann vergewaltigt haben.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Kimberly Nicolaus, Viktor Marinov
Update, 27. Oktober 2022: Wir haben das Titelbild ausgetauscht sowie die Bewertung im Kasten oben gekürzt und ergänzt, dass der Medienbericht eine Fälschung ist.