Faktencheck

Nein, eine Änderung im Infektionsschutzgesetz bedeutet nicht, dass es keine Grundlage mehr für Corona-Maßnahmen gibt

In Sozialen Netzwerken wird eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes missverstanden. Damit hat der Bundesrat die Pandemie nicht für beendet erklärt, sondern nur einen kleinen Teil des Gesetzes geändert.

von Gabriele Scherndl

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Das Infektionsschutzgesetz wurde am 7. Oktober geändert, doch die Corona-Pandemie wurde damit nicht für beendet erklärt (Symbolbild: Pixabay / Leo2014)
Behauptung
Der deutsche Bundesrat habe Covid-19 am 7. Oktober als „unbedenklich“ eingestuft und als „besonders ansteckende Krankheit“ aus dem Infektionsschutzgesetz gestrichen. Damit sei die Pandemie für beendet erklärt worden. Es gebe also keine gesetzliche Grundlage mehr für Corona-Maßnahmen.
Bewertung
Falsch. Das Infektionsschutzgesetz wurde zwar geändert, damit wurde aber nicht die Pandemie für beendet erklärt. Covid-19 wurde nicht komplett aus dem Gesetz gestrichen und auch nicht als unbedenklich eingestuft.

Der deutsche Bundesrat soll die Pandemie mit einem Beschluss für beendet erklärt haben. Und zwar, indem er das Coronavirus als „besonders ansteckende Krankheit“ aus dem Infektionsschutzgesetz gestrichen habe. Damit, so wird in mehreren Facebook-Beiträgen behauptet, habe die Bundesregierung nun keine gesetzlichen Grundlagen mehr für Corona-Maßnahmen. „Corona ist vorbei“, heißt es dazu in Beiträgen, und: „Karl Lauterbach kann gehen, Covid-19 ist keine gefährliche Krankheit mehr.“

Diese Interpretation der Gesetzesänderung ist falsch. Der Bundesrat beschloss zwar eine Änderung im Infektionsschutzgesetz, Covid-19 gilt rechtlich aber nach wie vor als meldepflichtige Krankheit, gegen deren Ausbreitung Maßnahmen verhängt werden können. Aus dem Infektionsschutzgesetz wurde Covid-19 zudem nicht komplett gestrichen, die Krankheit wurde auch nicht als unbedenklich eingestuft.

In einem Schreiben, das auf Facebook kursiert, wird behauptet, es gebe nun keine juristische Grundlage mehr für Corona-Maßnahmen. Das ist falsch.
In einem Schreiben, das auf Facebook kursiert, wird behauptet, es gebe nun keine juristische Grundlage mehr für Corona-Maßnahmen. Das ist falsch. (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Streichung aus Paragraf 34 heißt nicht, dass Covid-19 im Infektionsschutzgesetz keine Rolle mehr spielt

Viele der Beiträge zeigen ein abfotografiertes Blatt Papier, auf dem die Behauptung mit Quellen gedruckt ist. Der Link führt zu einem Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages vom 29. September 2022, in dem es unter anderem um eine Änderung im Infektionsschutzgesetz geht. Die Änderung wurde am 7. Oktober im Bundesrat beschlossen.

In Paragraf 34 des Infektionsschutzgesetzes („Gesundheitliche Anforderungen, Mitwirkungspflichten, Aufgaben des Gesundheitsamtes“) soll dem Beschluss zufolge eine Liste von 23 auf 22 Krankheiten gekürzt werden. Die Liste enthält Krankheiten, die mit bestimmten Auflagen verbunden sind: Ist eine Person an einer dieser Krankheiten erkrankt oder besteht dieser Verdacht, darf sie in Kindertageseinrichtungen und Kinderhorten, Schulen und sonstigen Ausbildungseinrichtungen, Heimen und Ferienlagern „keine Lehr-, Erziehungs-, Pflege-, Aufsichts- oder sonstige Tätigkeiten ausüben, bei denen sie Kontakt zu den dort Betreuten“ hat. Das darf sie erst dann wieder, wenn „nach ärztlichem Urteil eine Weiterverbreitung der Krankheit […] durch sie nicht mehr zu befürchten ist“. 

Zu den aufgeführten Krankheiten gehören unter anderem Keuchhusten, Masern, Mumps, Röteln, Scharlach und Windpocken. Das Coronavirus wurde tatsächlich aus der Liste gestrichen – es stand zuvor auf Platz zwei, wie das Bundesgesetzblatt vom 16. September 2022 zeigt.

Gesetzliche Grundlage für Corona-Maßnahmen gibt es weiterhin

Das heißt aber nicht, dass Covid-19 völlig aus dem Gesetz gestrichen wurde. Im Infektionsschutzgesetz sind nach wie vor viele andere Passagen zu finden, in denen der Umgang mit dem Coronavirus geregelt wird. In der gültigen Fassung des Gesetzes kommt der Begriff Corona über 80 Mal, Covid-19 und Sars-CoV-2 über 50 Mal vor. 

So ist etwa in Paragraf 20b geregelt, wer Corona-Schutzimpfungen durchführen darf, Paragraf 22a regelt Details zu Test-, Impf- und Genesenen-Nachweisen. Covid-19 steht auch weiterhin im Infektionsschutzgesetz als „meldepflichtige Krankheit“. Außerdem ist in Paragraf 28b ausdrücklich geregelt, dass Schutzmaßnahmen auch ohne das Bestehen einer „epidemischen Notlage von nationaler Tragweite“ getroffen werden dürfen. Es können also weiterhin bestimmte Corona-Maßnahmen verhängt werden. Etwa die Pflicht für Menschen über 14 Jahren zum Tragen von Schutzmasken im öffentlichen Nahverkehr. 

Die Pandemie wurde also nicht für beendet erklärt, Covid-19 wurde nicht als ungefährlich eingestuft.

Testpflicht für Schulen wurde nach politischer Debatte wieder aus dem Gesetz gestrichen

Wichtig ist als Kontext zudem: Covid-19 war nur sehr kurze Zeit Teil der Liste in Paragraf 34, bevor es wieder gestrichen wurde – konkret vom 17. September bis 14. Oktober 2022. Was hat es also damit auf sich? 

Die Streichung ist das Resultat einer politischen Debatte im Herbst, die sich anhand von Medienberichten rekonstruieren lässt. Im Rahmen einer größeren Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes wollte die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP auch Corona in die Liste ansteckender Krankheiten aufnehmen, vor denen Schulen und andere Bildungseinrichtungen geschützt werden sollten. Das hätte bewirkt, dass eine Person, die Covid-19 hat oder den Verdacht hat, Covid-19 zu haben, erst dann wieder in die genannten Einrichtungen darf, wenn sie nachweisen kann, dass sie die Krankheit nicht oder nicht mehr hat. Sie hätte sich also freitesten müssen.

Nachdem aber in den allermeisten Berufen und Gesellschaftsbereichen kein Freitesten mehr vorgeschrieben ist, wurde Kritik an dem Vorhaben laut. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien von der CDU sagte der Bild Mitte September, die Regelung sei „eine Katastrophe für Schülerinnen und Schüler“ und unverhältnismäßig, weil man zum Beispiel bereits nach fünf Tagen die häusliche Quarantäne verlassen dürfe. 

Große Reform des Infektionsschutzgesetz kam Mitte September unter Vorbehalt, Paragraf 34 wurde wenig später abgeändert

Die Änderung der Liste kam im Zusammenhang mit einer größeren Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes, die viele verschiedene Aspekte betraf. Sie wurde am 16. September im Bundesrat beschlossen. Einige Bundesländer machten laut Süddeutscher Zeitung ihre Zustimmung zur kompletten Gesetzesänderung aber davon abhängig, dass die Passage mit der Änderung der Liste in Paragraf 34 später wieder gestrichen würde. 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD kündigte genau das am 16. September in einem Redebeitrag vor dem Bundesrat an. „Ich mache das gerne, ich nehme das gerne da heraus“, sagte er und betonte, dass das oberste Ziel sei, Schulschließungen zu verhindern – dafür müsste man nun andere Lösungen finden. Das ist in einem Video auf der Webseite des Bundesrats bei Minute 10:22 nachzuhören.

Auch eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums bestätigt auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck, dass die Bundesregierung im Zuge der Reform des Infektionsschutzgesetzes diese Passage mit einer Formulierungshilfe wieder strich. 

Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien äußerte sich auf Twitter zur umstrittenen Gesetzespassage. Sie schreibt, sie sei erleichtert und dankbar, dass "dieser Irrweg" gestoppt worden sei.
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien äußerte sich auf Twitter zur umstrittenen Gesetzespassage. (Quelle: Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Das besänftigte Kritikerinnen und Kritiker, der Bundesrat stimmte dem gesamten Änderungspaket zu. Zum 17. September landete Corona also auf der Liste von Krankheiten, vor denen man Schulen schützen wollte, und schon am 29. September verabschiedete die Bundesregierung den Beschluss, diese einzelne Passage wieder zu streichen. Dem stimmte der Bundesrat am 7. Oktober zu. Am 14. Oktober trat die Änderung in Kraft. 

Genau dieser Beschluss ist es, der nun gemeinsam mit der Behauptung, „Corona ist vorbei“ durch Soziale Netzwerke geht – mit einer völlig falschen Interpretation dessen, was er bedeutet.

Redigatur: Matthias Bau, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Redebeitrag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor dem Bundesrat, 16. September 2022: Link
  • Änderung des Infektionsschutzgesetzes, 16. September 2022: Link
  • Gesetzesbeschluss der Bundesregierung, 29. September 2022: Link
  • Zustimmung des Bundesrats, 7. Oktober 2022: Link
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