Faktencheck

Peter Scholl-Latour: Zitate über „Massenverblödung“ und Freiheit der Presse fielen in unterschiedlichen Interviews

Im Netz kursieren vier Sätze, die dem Journalisten Peter Scholl-Latour zugeschrieben werden. Er habe Dinge gesagt, wie dass die deutsche Presse nicht frei sei und wir im „Zeitalter der Massenverblödung“ lebten. Stimmt das?

Peter SCHOLL-LATOUR
Peter Scholl-Latour arbeitete jahrzehntelang als Journalist und starb 2014 (Symbolbild: Picture Alliance / Ulrich Baumgarten)
Behauptung
Peter Scholl-Latour habe gesagt: „Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung. / Die Freiheit der Presse im Westen ist letztlich die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu veröffentlichen. / Die deutsche Presse ist nicht frei. / Deutschland hat keine eigene Position, sondern rennt bloß den USA hinterher.“
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Fehlender Kontext
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Fehlender Kontext. Die Sätze stammen aus zwei verschiedenen Interviews mit Peter Scholl-Latour. Der erste Satz stammt von 2014, Scholl-Latour bezog sich auf die Berichterstattung über die damaligen Ereignisse in der Ukraine. Der zweite Satz stammt aus einem Interview von 2013, wo Scholl-Latour die damalige Berichterstattung über den Syrien-Krieg kritisierte. Im gleichen Interview fiel auch der dritte Satz; Scholl-Latour zitierte dabei jedoch einen anderen Journalisten, FAZ-Mitgründer Paul Sethe. Im Bezug auf den Syrienkrieg sprach er auch über Deutschlands Position den USA gegenüber – so wie in dem vierten Satz auf Facebook angegeben, äußerte er sich wörtlich jedoch nicht.

Seit Monaten kursiert auf Facebook ein Bild mit Sätzen, die vom Journalisten Peter Scholl-Latour stammen sollen. Demnach habe er gesagt, wir würden in einem „Zeitalter der Massenverblödung“ leben, die deutsche Presse sei nicht frei und Deutschland habe keine eigene Position, sondern renne den USA hinterher. Einige Nutzerinnen und Nutzer fragen sich, ob die Aussagen echt sind. Einer schreibt: „Das hat er so nie gesagt. Das ist ein Text, der einfach unter Herrn Scholl Latours Konterfei gesetzt wurde.“ Ein anderer Nutzer fragt nach der Quelle, weil er bei einer Google-Suche nichts rausgefunden habe. 

Eine einfache Internetsuche ergibt tatsächlich keine Belege, dass Scholl-Latour die Sätze in dieser Kombination gesagt hat. Weil die Aussagen aber auch einzeln kursieren und eine davon in Zitat-Sammlungen genannt wird, haben wir auch einzeln danach im Internet gesucht – und sie in zwei verschiedenen Interviews von 2013 und 2014 gefunden. Einer der Sätze ist ein Zitat von einem anderen Urheber, dessen Ursprung Scholl-Latour auch nennt; ein Satz wurde offenbar falsch wiedergegeben.

Peter Scholl-Latour war von 1983 bis 1984 Chefredakteur des Magazins Stern, zuvor war er ein bekannter Auslandskorrespondent für ARD und ZDF. Seit 2004 schrieb er für die rechts gerichtete Wochenzeitung Junge Freiheit – CORRECTIV berichtete 2016 über Verbindungen dieser Zeitung zur AfD. Vor seinem Tod vertrat Scholl-Latour in Sachen Ukraine öffentlich einige pro-russische Positionen. Wie er die Lage in der Ukraine seit dem russischen Angriffskrieg einschätzen würde, können wir ihn nicht fragen. Er starb am 16. August 2014.

Zitat 1 – Scholl-Latour kritisierte 2014 die seiner Ansicht nach „einseitige“ deutsche Berichterstattung über die Ukraine

„Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung“

Der erste Satz auf der Zitat-Kachel stammt von Scholl-Latour. „Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung“, zitierte ihn das Online-Magazin „Telepolis“ von Heise Online am 9. März 2014 in Bezug auf die Ukraine. Anschließend kritisierte er die seiner Ansicht nach „einseitige“ deutsche Berichterstattung über die Ereignisse dort. Zudem äußerte er sich gegen eine EU-Erweiterung nach Osten. 

Einige Medien haben in diesem Jahr über seine damalige Aussage berichtet und sie in Bezug zum aktuellen Krieg in der Ukraine gesetzt. Im Februar 2014 kam es zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland, ein wichtiger Punkt im Russland-Ukraine-Konflikt, der dem Angriffskrieg vorausging. 

Zitat 2 – Scholl-Latour sagte 2013 in Bezug auf die Syrien-Berichterstattung, die deutsche Presse sei nicht frei 

„Die deutsche Presse ist nicht frei.“

Die nächsten drei Sätze auf dem Bild, das in Sozialen Netzwerken kursiert, stammen offenbar aus dem Interview einer Frau mit Peter Scholl-Latour – es wurde am 30. Juni 2013 bei Youtube veröffentlicht. 

Interview mit Scholl-Latour
Die Suche nach den Zitaten führt zu einem aufgezeichneten Interview mit Peter Scholl-Latour, in dem er über die Lage in Syrien sprach (Quelle: Youtube; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Ab Minute 2:39 deutet der Journalist an, über manche Verbindungen der USA zu syrischen „Aufständischen“ werde in deutschen Medien nicht berichtet. In diesem Kontext sagte er damals: „Die deutsche Presse ist eben nicht frei.“ Anschließend folgt der dritte Satz, der im aktuell kursierenden Sharepic auftaucht. 

Zitat 3 – Scholl-Latour zitiert FAZ-Mitgründer Paul Sethe 

„Die Freiheit der Presse im Westen ist letztlich die Freiheit von 200 reichen Leuten.“

Auf die Frage der Interviewerin, warum dies so sei [„die deutsche Presse ist nicht frei“], antwortete Scholl-Latour mit Verweis auf ein Zitat von Paul Sethe, einen der Gründungsherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Die Freiheit der Presse im Westen ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu veröffentlichen.“ Scholl-Latour wiederholte den Satz in einem Interview mit dem Radiosender „Stimme Russlands“ (ab Minute 17:00). Das Zitat stammt somit, wie von Scholl-Latour in beiden Interviews angegeben, nicht von ihm selbst. 

Zitat 4 – Scholl-Latour sagte bezüglich Syrien: „Entweder laufen die Deutschen den Amerikanern nach oder sie machen mal […] was anders“

„Deutschland hat keine eigene Position, sondern rennt bloß den USA hinterher.“

Für den vierten Satz fanden wir keine Belege, dass sich Scholl-Latour genau so geäußert hat. Eine Google-Recherche führt jedoch ebenfalls zu dem Video-Interview über den Syrien-Krieg aus dem Jahr 2013.

Am Anfang des Videos fragt die Interviewerin, wie Scholl-Latour die Position der deutschen Bundesregierung zu Syrien einschätze. Darauf antwortet er: „Die gibt es gar nicht, ich meine entweder laufen die Deutschen den Amerikanern nach oder sie machen mal einen verzweifelten Versuch, mal was anders zu machen, wie das in Libyen der Fall war und beides geht meistens daneben.“ 

Diese Aussage wird in Sozialen Netzwerken stark verkürzt und nicht wortgetreu wiedergegeben.

Fazit: Die vier Sätze gehören nicht zusammen. Tatsache ist: Scholl-Latour kritisierte die deutsche Berichterstattung mit ähnlichen Worten in Interviews von 2013 und 2014 – die meisten bezogen sich auf den Krieg in Syrien, eins auf die Ukraine. Ein Zitat wird fälschlicherweise Scholl-Latour zugeordnet, er zitierte jedoch Paul Sethe. Dass Deutschland „bloß“ den USA hinterherrenne, sagte er so nicht. Er kritisierte aber, dass Deutschland seiner Meinung nach bis dato keine Position im Syrien-Krieg bezogen hatte. 

Autorin: Christina Quast

Redigatur: Sarah Thust, Sophie Timmermann