Video über Silvester-Randale stammt nicht aus Berlin-Neukölln, sondern aus Hongkong
In Berlin kam es in der Silvesternacht mehrfach zu Ausschreitungen. Ein Video, das die Randale belegen soll, stammt jedoch von Protesten in Hongkong im Jahr 2019.
An Silvester kam es deutschlandweit zu Ausschreitungen. Auch in Berlin wurden Einsatzkräfte angegriffen und verletzt. Nutzerinnen und Nutzer teilen in Sozialen Netzwerken Bilder und Videos der Vorfälle. Doch unter die Aufnahmen mischen sich auch Videos, die gar keinen Bezug zur Silvesternacht haben.
„Wenn solche Angriffe auf Rettungssanitäter kein Grund für Abschiebungen sind, was dann?“, fragte der NPD-Politiker Udo Voigt am 2. Januar auf Facebook. Dazu veröffentlichte er ein knapp 30 Sekunden langes Video, in dem ein Rettungswagen attackiert wird – kurz danach war es allerdings nicht mehr abrufbar. Das Video zeigt mehrere Personen, die Gegenstände durch die geöffnete Hintertür eines Rettungswagens werfen. Im Inneren des Wagens duckt sich eine uniformierte Person hinter einem Sitz, draußen ist die Stimmung aufgeheizt. Menschen schreien durcheinander, was sie schreien, ist nicht zu verstehen.
Auch Daniel Wald, AfD-Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt, verbreitete das Video, um Stimmung gegen Migration zu machen. Er schrieb dazu, Medien würden nicht berichten, von wem diese Gewalt in der Silvesternacht ausgegangen seien: „Von Christian, Michael und Thomas auf jeden Fall schon mal nicht.“ Sein Beitrag wurde über 400.000 Mal aufgerufen. Auf Twitter nannte eine Nutzerin als angeblichen Aufnahmeort des Videos den Berliner Stadtteil Neukölln.
Das ist falsch. Weder ist die Aufnahme aktuell, noch stammt sie aus Neukölln oder einem anderen Ort Deutschlands. Sie wurde schon 2019 in Zusammenhang mit Protesten in Hongkong veröffentlicht.
Video stammt aus Hongkong – chinesische Fernsehkanäle veröffentlichten es im November 2019
Über eine Bilderrückwärtssuche mit einem Standbild des Videos findet sich ein Instagram-Beitrag von Ende 2019; als Ortsmarke ist Hongkong angegeben. Auch auf Youtube wurde das Video schon 2019 hochgeladen. Auf Twitter kommentierte ein Nutzer einen aktuellen Beitrag mit dem Video, mit einem Twitter-Beitrag des chinesischen Fernsehkanals CCTV Asia Pacific – dort wurde das Video schon am 18. November 2019 veröffentlicht.
Diese Aufnahme hat eine bessere Auflösung als die aktuell verbreiteten Videos – es sind chinesische Schriftzeichen auf dem Rettungswagen zu erkennen. Der Fernsehkanal schreibt in seinem Twitter-Beitrag, ein „Mob von Randalierern“ habe Polizeibeamte angegriffen und einer festgenommenen Person zur Flucht verholfen.
In Hongkong kam es 2019 und 2020 zu Massenprotestengegen den Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas. Im Zuge der Proteste verschanzten sich im November 2019 Studierende in der Hong Kong Polytechnic University. Laut der singapurischen Zeitung Straits Times entstand in dem Zusammenhang die Videoaufnahme mit dem Rettungswagen. Auch der chinesische Auslands-Fernsehsender CGTN veröffentlichte das Video 2019 zusammen mit der Angabe, es sei an der Ecke Jordan Road und Ferry Street entstanden. Die Ecke liegt gut einen Kilometer von der Polytechnic Universität entfernt.
Silvester-Randale in Berlin zum Jahreswechsel
Das Video hat also keinen Bezug zur Silvesternacht oder dem Berliner Stadtteil Neukölln. Dennoch kam es in Berlin an Silvester zu Ausschreitungen. Laut einem Bericht des Tagesspiegel wurden 41 Einsatzkräfte verletzt, auch in Neukölln sind laut RBB Rettungskräfte angegriffen worden.
Wenige Tage nach dem Jahreswechsel gab die Polizei die Nationalitäten der mutmaßlichen Täter bekannt. Demnach wurde unter den 145 Personen, die rund um die Ausschreitungen in Berlin festgenommen wurden, 18 verschiedene Nationalitäten erfasst. Deutschlandfunk schreibt, 45 der Verdächtigen hätten die deutsche Staatsangehörigkeit, 27 seien Afghanen und 21 seien Syrer. Sie alle seien wieder auf freiem Fuß.
Redigatur: Kimberly Nicolaus, Sophie Timmermann
Update, 18. Januar 2023: Mehrere Medien aktualisierten ihre Angaben über die Silvesternacht. Laut Tagesspiegel wurden 44 Personen wegen Delikten auf Einsatzkräfte erfasst, davon hätten 15 eine deutsche Staatsbürgerschaft, 10 eine Doppelstaatsbürgerschaft, 19 der 44 Personen seien keine Deutschen. Auch diese Zahlen seien aber als „vorläufig zu betrachten“, sagte ein Polizeisprecher dem Tagesspiegel. Die Zahl von 145 Festgenommenen habe sich auch auf andere Delikte bezogen, nicht nur auf Angriffe gegen Einsatzkräfte.
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Twitter-Beitrag von CCTV Asia Pacific, 18. November 2019: Link (archiviert)