Faktencheck

Keine Belege dafür, dass Acrylamid Pringles-Chips krebserregend macht

Im Netz kursiert seit Jahren die Behauptung, Pringles-Chips seien „Krebs in der Tube“, weil sie Acrylamid enthalten. Es stimmt, dass Pringles den Stoff enthalten. Er steckt aber auch in anderen Chips-Marken und in weiteren verarbeiteten Lebensmitteln. Ob er für Menschen wirklich krebserregend ist, gilt wissenschaftlich als unbelegt.

von Viktor Marinov

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Pringles-Chips enthalten nach einer Auswertung von Stiftung Warentest im Vergleich mit anderen Herstellern nicht außergewöhnlich viel Acrylamid. Ob der Stoff überhaupt Krebs bei Menschen verursachen kann, ist wissenschaftlich nicht belegt. (Symbolfoto: Picture Alliance / Zoonar / Channel Partners)
Behauptung
Pringles-Chips seien „Krebs in der Tube“. Chips allgemein seien voll mit Acrylamid, einem krebserregenden Stoff.
Bewertung
Unbelegt. Chips vieler Hersteller und andere verarbeitete Lebensmittel enthalten Acrylamid. Es ist wissenschaftlich nicht belegt, ob der Stoff für Menschen krebserregend ist. Bezogen auf den Acrylamidwert schneiden Pringles in einem Vergleich von Stiftung Warentest mit insgesamt 25 verschiedenen Chips-Produkten nicht schlechter ab als andere.

„Krebs in der Tube: Die schreckliche Wahrheit über Pringles Chips“: So beginnt ein Beitrag, der aktuell auf Facebook und Telegram kursiert. Laut einem als Quelle verlinkten Artikel seien Chips allgemein voll mit Acrylamid, das krebserregend sei. Pringles würden außerdem nicht aus Kartoffeln hergestellt. Allein einer der Telegram-Beiträge hat rund 180.000 Aufrufe. 

Was ist an dieser Behauptung dran? Die Hauptzutat in Pringles ist Pulver aus Kartoffelpüree. Es stimmt, dass Chips vieler Hersteller Acrylamid enthalten. Ob der Stoff bei Menschen Krebs verursacht, ist wissenschaftlich nicht belegt, wie uns eine Professorin für Onkologie erklärte. Auf eine potenzielle Gefahr des Stoffs deuten zwar Versuche mit Tieren hin. Ob und inwiefern Gesundheitsgefahren für den Menschen bestehen, ist bislang wissenschaftlich nicht belegt.

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Die Behauptung, Pringles-Chips seien „Krebs in der Tube“ verbreitet sich auch auf Facebook (Quelle: Facebook; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Was ist Acrylamid und wie entsteht es?

Acrylamid ist ein unerwünschter Stoff, der als Nebenprodukt beim Erhitzen bestimmter Lebensmittel entstehen kann. Kartoffelchips können erhöhte Mengen des Stoffs enthalten, aber auch eine Reihe anderer Lebensmittel: etwa Brot, Kaffee oder Pommes Frites. Auch durch Zigaretten und andere Tabakprodukte nehmen Menschen Acrylamid auf. 

Acrylamid kann nicht nur bei der industriellen Herstellung, sondern auch beim Braten, Frittieren, Backen oder Grillen zu Hause entstehen. Laut einem Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) von 2015 reichen dafür schon 120 Grad Celsius. Diese Temperatur wird etwa beim Frittieren in Fett überschritten. Dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zufolge bildet sich bei Temperaturen über 180 Grad deutlich mehr Acrylamid als bei niedrigeren Temperaturen. 

Ob Acrylamid bei Menschen krebserregend wirkt, ist wissenschaftlich nicht belegt

Doch ist der Stoff krebserregend? Aus der aktuellen wissenschaftlichen Literatur sei das nicht eindeutig zu beantworten, sagte uns Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie am Universitätsklinikum Jena. „Wir haben dazu zum einen klinische Daten von Menschen und zum anderen experimentelle Daten von Tieren und Zellen.“ Bei Tieren und Zellen würden die getesteten Substanzen in sehr hoher Konzentration eingesetzt. „Unter diesen experimentellen Bedingungen muss man sagen: Ja, Acrylamid kann Veränderungen verursachen, die Krebs auslösen könnten.“

Anders sehe es bei den menschlichen Daten aus. Das Problem: Man könne nicht einfach eine potenziell schädliche Substanz am Menschen testen, erklärte Hübner. Die Daten für Menschen stammten also etwa aus Ernährungstagebüchern, in denen Probanden und Probandinnen dokumentieren, was sie an einem typischen Tag essen. „Dann wird aus Tabellen hochgerechnet, wie viel Acrylamid das pro Tag gewesen sein könnte.“

Das Problem an solchen Studien seien sogenannte Störfaktoren: Versuchspersonen unterscheiden sich. Die eine ist womöglich sportlicher als die andere oder hat allgemein einen gesünderen Lebensstil – solche Störfaktoren können Studienergebnisse beeinflussen. Ob Acrylamid tatsächlich die Ursache für die Bildung von Tumoren sei, ließe sich daher schwer beurteilen, sagt Hübner. „Manchmal sieht man eine bescheidene Risikoerhöhung und manchmal nicht“, fasst die Forscherin die Studienlage zusammen. 

Verordnung der EU-Kommission legte 2018 Richtwerte für Acrylamid in Lebensmitteln fest

Auch das BVL schreibt dazu: „Untersuchungen in Tierstudien haben gezeigt, dass Acrylamid bei hoher Dosierung im Futter die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von Erbgutveränderungen und Tumoren erhöht. Die Wirkung von Acrylamid auf den Menschen ist jedoch nach wie vor nicht abschließend geklärt.“ Als Gesundheitsvorsorge solle der Acrylamidgehalt in Lebensmitteln jedoch minimiert werden.

Zu einem ähnlichen Schluss kam auch die EFSA 2015 in ihrem ausführlichen Gutachten zum wissenschaftlichen Stand über Acrylamid in Lebensmitteln: Für Ratten und Mäuse könne Acrylamid laut Studien krebserregend sein, für Menschen sei das nicht eindeutig.

Aufgrund des Gutachtens trat am 11. April 2018 eine Verordnung zu Acrylamid der EU-Kommission in Kraft. Demnach sollen Hersteller Lebensmittel so auswählen und verarbeiten, dass das Endprodukt möglichst wenig Acrylamid enthält. Die Verordnung legte auch Richtwerte fest, wie viel Acrylamid Produkte enthalten sollten. Bei Pommes Frites sind es zum Beispiel 500 Mikrogramm pro Kilogramm, bei Kartoffelchips 750, bei Lebkuchen 800 Mikrogramm oder bei Instant-Kaffee 850 Mikrogramm.

Stiftung Warentest fand bei Pringles im Vergleich zu anderen Chips-Herstellern keinen erhöhten Acrylamid-Gehalt 

Wie viel Mikrogramm Acrylamid enthalten Pringles? Das haben wir die Pressestelle des Unternehmens gefragt, erhielten jedoch keine Antwort. Einen Hinweis zum Acrylamidgehalt fanden wir jedoch in einer kostenpflichtigen Auswertung von Stiftung Warentest vom 19. Oktober 2022. Die Stiftung analysierte 25 Kartoffelchips, -snacks und Stapelchips verschiedener Hersteller. Neben Geschmack und Preis spielten dabei auch Schadstoffe und Acrylamid eine Rolle.

Alle der 25 getesteten Chips enthalten Acrylamid. Stiftung Warentest vergab für den Acrylamidgehalt 15-mal die Note gut, siebenmal befriedigend, einmal ausreichend und zweimal mangelhaft. Pringles war unter den 15 Sorten mit der Note gut. Bei der Vergabe der Noten für Acrylamid habe sich Stiftung Warentest an dem Richtwert aus der Verordnung der EU-Kommission orientiert, erklärte uns Lebensmitteltechnikerin und Projektleiterin Janine Schlenker per E-Mail. Wie viel Acrylamid die einzelnen Chips-Sorten genau enthalten, wollte uns Stiftung Warentest nicht sagen. Bei einer Sorte, die für den Acrylamid-Gehalt die Note mangelhaft erhielt, heißt es im Testbericht, dass sie den Richtwert um das Doppelte überschreitet.

Bei anderen Schadstoffen schnitt Pringles schlechter ab. Im Gesamturteil erhielt die Marke neben vier weiteren Sorten die Note mangelhaft – und ist damit nach Definition von Stiftung Warentest „durchgefallen“. 

Behauptung über Pringles und Acrylamid kursiert schon seit mindestens 2013

Die Behauptung, dass Pringles „Krebs in der Tube“ seien, kursiert schon seit Jahren im Netz. Eine Google-Suche mit den entsprechenden Begriffen auf Englisch führt zu einem Blog-Artikel, der mindestens seit 2013 kursiert. Sein Titel lautet übersetzt „Krebs in der Dose: Die schockierende Wahrheit über die Herstellung von Pringles“ und ähnelt damit stark dem Titel des aktuell kursierenden Artikels auf Deutsch: „Krebs in der Tube. Die schreckliche Wahrheit über Pringles Chips“. 

In beiden Artikel geht es unter anderem darum, dass Pringles-Chips angeblich nicht aus Kartoffeln hergestellt würden. Das ist zum Teil falsch. Zwar werden die gepressten Chips nicht wie manche anderen Chips-Sorten aus geschnittenen Kartoffelscheiben hergestellt, doch ihre Hauptzutat ist nach Informationen des Herstellers Pulver aus Kartoffelpüree. Beide Artikel thematisieren außerdem Acrylamid und stellen es fälschlicherweise als nachgewiesen krebserregend dar.

Die Faktencheck-Redaktion Snopes beschäftigte sich schon 2014 mit dem Thema und kam ebenfalls zu dem Schluss, dass es keine ausreichenden wissenschaftlichen Hinweise dafür gibt, dass Acrylamid für Menschen krebserregend ist. Onkologin Hübner sagte uns dazu, es sei wie bei vielen Lebensmitteln eine Frage der Menge. Wer sich ausgewogen ernähre, müsse sich über Acrylamid in Chips keine Sorgen machen. 

Redigatur: Paulina Thom, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Gutachten zum wissenschaftlichen Stand über Acrylamid, Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, 2015: Link (archiviert) 
  • Gesundheitsrisiko Acrylamid: zum aktuellen Stand von Forschung, Wissenschaft und den behördlichen Maßnahmen zur Minimierung von Acrylamid, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Link (archiviert)
  • Verordnung der EU-Kommission zur Festlegung von Minimierungsmaßnahmen und Richtwerten für die Senkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln, 20. November 2017: Link (archiviert)