Faktencheck

Alte Falschbehauptung kursiert erneut: Julia Klöckner sagte nicht, dass Geflüchtete mehr Geld als Rentner bekommen

2020 sprach die damalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner im Fernsehen darüber, wie viel Geld Geflüchtete und Menschen im Ruhestand sich dazuverdienen können. Seitdem werden ihre Aussagen wiederholt falsch wiedergegeben und mit erfundenen Zahlen versehen.

von Viktor Marinov

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Julia Klöckner war bis Dezember 2021 Bundeslandwirtschaftsministerin (Symbolbild: Sven Simon / Frank Hoermann / Picture Alliance)
Behauptung
Die Bundeslandwirtschaftsministerin habe in einem ZDF-Beitrag indirekt zugegeben, dass Geflüchtete mehr als 1.100 Euro im Monat hätten und Rentner nur circa 600 Euro.
Bewertung
Falsch. Die Behauptung kursierte schon 2020 und bezieht sich auf ein Interview mit der damaligen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Sie verglich darin jedoch nicht die monatlichen finanziellen Mittel, die Geflüchtete und Rentner zur Verfügung haben, sondern sprach die Unterschiede beider Gruppen bei Hinzuverdiensten an. Es stimmt nicht, dass Asylsuchende mehr finanzielle Mittel zur Verfügung haben als Menschen in Rente, die angeführten Zahlen nannte Klöckner zudem nicht.

Seit Jahren kursiert ein Kettenbrief im Netz, dessen Verfasser sich über eine angebliche Ungerechtigkeit aufregt: Geflüchtete bekämen monatlich mehr Geld als Rentner. Die Behauptung verbreitet sich aktuell wieder auf Facebook und Tiktok. Sie bezieht sich auf einen ZDF-Beitrag, wonach sich die ehemalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) so geäußert hätte.

Doch weder hat Klöckner eine solche Aussage getroffen, noch stimmen die Geldbeträge, wie wir bereits im April 2020 berichteten. Inzwischen leitet sie auch nicht mehr das Ministerium, sondern der Grünen-Politiker Cem Özdemir.

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Diese falsche Behauptung über Aussagen der ehemaligen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner kursiert schon seit Jahren im Netz und taucht aktuell wieder auf. (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Julia Klöckner sprach 2020 in einem Interview über Zuverdienste für Rentner und Geflüchtete

Im Kettenbrief heißt es: „Im ZDF kam grad ein Bericht mit der Landwirtschaftsministerin! Es ging um Erntehelfer und jetzt bitte setzen! Rentner und Geringverdiener können sich ja was dazu verdienen! Auf die Frage, ob man nicht Asylanten nehmen kann, kam als Antwort: Für Asylanten ist der Dazuverdienst unattraktiv, weil es dann abgezogen wird! Also hat sie offiziell zugegeben, dass die Asylanten mehr wie 1.100 Euro im Monat haben und unsere Rentner ca. 600 Euro! Bitte teilen.“

Klöckner sprach am 1. April 2020 im ARD-Morgenmagazin (Video nicht mehr verfügbar) über fehlende Erntehelfer durch die Corona-Maßnahmen und mögliche Abhilfen. Laut der Ministerin sollten die Zuverdienstgrenzen unter anderem für Kurzarbeiter und Rentner angehoben werden, damit die Arbeit als Erntehelfer für sie attraktiver wird.  

Auf die Frage der Moderatorin, ob auch Asylbewerber für die Ernte eingesetzt werden könnten, antwortete Klöckner, es gebe viele Asylbewerber, mit oder ohne Arbeitserlaubnis. „Bei denjenigen, die eine Arbeitserlaubnis haben, ist natürlich die Zuverdienstgrenze sehr unattraktiv, was dann abgezogen wird, und hier müssen wir ran.“ 

Landwirtschaftsministerium: „Behauptungen zu Aussagen von Klöckner entbehren jeder Grundlage“

Wir fragten 2020 auch das Landwirtschaftsministerium, ob der Kettenbrief die Aussagen von Klöckner korrekt wiedergibt. In der Antwort hieß es: „Die in der besagten Nachricht gemachten Behauptungen in Bezug auf Aussagen von Bundesministerin Klöckner sind falsch und entbehren jeglicher Grundlage (…). Ein unmittelbarer Bezug zwischen Rentnern und Asylbewerbern wurde in diesem Interview also zu keiner Zeit hergestellt, auch gab es nie eine Aussage zu den in der Nachricht konkret genannten Summen.“ 

Klöckner sprach also über die sogenannte Zuverdienstgrenze. Einen konkreten Vergleich der finanziell zur Verfügung stehenden Mittel von Rentnern und Menschen, die sich um Asyl bewerben, stellte sie nicht auf.

Sowohl im Jahr 2020 als auch jetzt durften Rentner mehr als Geflüchtete dazuverdienen – ohne Einbußen für ihre Rente

Die Zuverdienstgrenze regelt den Betrag, den man zusätzlich verdienen darf, ohne dafür Steuern oder Sozialabgaben leisten zu müssen. Wie viel Geld dürfen Rentnerinnen und Rentner im Vergleich zu Geflüchteten also dazuverdienen? 

In Deutschland können sich Rentnerinnen und Rentner so viel hinzuverdienen wie sie möchten, ohne dass ihnen die Rente gekürzt wird. Im Jahr 2020 galt das nur, sofern sie die Regelaltersgrenze erreicht hatten. Je nach Geburtsjahr liegt diese Grenze zwischen 65 und 67 Jahren.

Für sogenannte Vorruheständler, die dieses Alter noch nicht erreicht haben, galt vor 2023 die Verdienstgrenze. Das heißt, sie konnten bis zu einer gewissen Summe noch Geld zusätzlich verdienen, ohne dass sich ihre Rente dadurch verringerte. Als der Kettenbrief zum ersten Mal auftauchte, hatte die Bundesregierung im Laufe der Corona-Pandemie die Verdienstgrenze für Menschen im Vorruhestand deutlich angehoben: im Jahr 2020 von 6.300 Euro im Jahr auf 44.590 Euro. Vor der Anhebung waren das monatlich im Durchschnitt also 525 Euro, nach der Anhebung bis 2023 rund 3.716 Euro. Damit wollte die Regierung Personalengpässe während der Pandemie bekämpfen. 

Seit 2023 gibt es auch für Menschen im Vorruhestand gar keine Verdienstgrenze mehr.

Menschen im Ruhestand erhalten mehr Geld als Geflüchtete

Und wie sieht es bei Menschen aus, die sich um Asyl bewerben? Sie können, sofern sie eine Arbeitserlaubnis besitzen, laut dem Asylbewerberleistungsgesetz (Paragraph 7, Absatz 3) Einnahmen aus einer Erwerbstätigkeit höchstens bis zu 50 Prozent des ihnen zustehenden Regelbedarfs anrechnungsfrei behalten. Der Regelbedarf lag 2020 für einen alleinstehenden Menschen bei 344 Euro monatlich. Die Verdienstgrenze lag also bei 172 Euro. Das sind also weniger als die 525 Euro für Menschen im Vorruhestand vor der Anhebung 2020 und auch deutlich weniger als die 3.716 Euro nach der Anhebung – und seit 2023 gibt es die Verdienstgrenze für Menschen in Rente wie oben beschrieben gar nicht mehr. 

Bei Menschen, die sich um Asyl bewerben, gibt es weiterhin eine Grenze. Der Regelbedarf für 2023 liegt bei 410 Euro. Geflüchtete dürfen also mittlerweile 205 Euro im Monat zusätzlich verdienen. Für eigene Wohnungen von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern werden wie bei Hartz IV beziehungsweise dem Bürgergeld „angemessene“ Kosten für Miete und Heizung übernommen. Für Berlin sind das für eine alleinstehende Person zum Beispiel 426 Euro Kaltmiete im Monat.

Auch liegt der durchschnittliche Rentenzahlbetrag höher als der oben beschriebene Regelbedarf und die übernommenen Wohnkosten für Asylsuchende. Laut der Deutschen Rentenversicherung bekamen Menschen im Ruhestand im Jahr 2020 im Schnitt 989 Euro vor Abzug der Steuern (PDF-Download). Fallen Rentnerinnen und Rentner unter einen bestimmten Betrag, haben sie Anspruch auf Grundsicherung. „Wenn Ihr gesamtes Einkommen unter 924 Euro liegt, sollten Sie prüfen lassen, ob Sie Anspruch auf Grundsicherung haben“, schreibt die Deutsche Rentenversicherung als Faustregel auf ihrer Webseite. 

Fazit: Weder dürfen sich Geflüchtete in Deutschland mehr dazuverdienen als Rentnerinnen und Rentner, noch erhalten sie generell mehr Geld. Ein Kettenbrief bezieht sich auf ein altes Interview mit der damaligen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und gibt ihre Aussagen falsch wieder.

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Deutsche Rentenversicherung: Rente, Hinzuverdienst und andere Einkommen: Link 
  • Asylbewerberleistungsgesetz, Einkommen und Vermögen (Paragraph 7): Link
  • Deutsche Rentenversicherung: Durchschnittlicher Rentenzahlbetrag 2020: Link (PDF-Download)