Warum dieser Impfplan nichts über die aktuelle Schutzwirkung von Corona-Impfstoffen aussagt

Eine Frau filmt sich und einen Impfplan. Den habe sie letzten Dienstag per Post erhalten, sagt sie, von der Apothekerkammer Schleswig-Holstein. Darin seien mehrere Impfstoffe aufgeführt, auch die gegen Covid-19 – das sei neu im Programm. Auf dem Impfplan steht, der Impfschutz der Corona-Impfstoffe sei „derzeit noch nicht bekannt“. Die Frau sagt: „Jetzt ist es offiziell: Sie spritzen etwas, was keine Wirkung hat auf den Verlauf, auf die Ansteckungsgefahr, auf die Wiedergabe eines Virus und was noch nicht mal die eigene Erkrankung beeinflusst.“

Wann das Video aufgenommen wurde, wissen wir nicht. Nutzerinnen und Nutzer halten den Impfplan jedenfalls im Mai 2023 für aktuell. Das Video ist auf sämtlichen Plattformen viral und versetzt Personen teilweise in Angst. Allein auf Tiktok wurde es knapp 200.000 Mal angezeigt. Bei Twitter teilten das Video über 1.000 Personen und auch bei Telegram kursiert es dutzendfach. Leserinnen und Leser schickten es uns per Whatsapp zur Überprüfung. In vielen Beiträgen heißt es, die Frau sei Apothekerin. 

Doch der Impfplan ist nicht aktuell, sondern stammt vom September 2021. Auch die Schlussfolgerung der Frau, was die Anmerkung in der Spalte „Impfschutz“ bedeutet, ist falsch. Damit ist lediglich der empfohlene Abstand zwischen Auffrischungsimpfungen gemeint. Der war damals tatsächlich noch nicht bekannt, denn die Stiko hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine generelle Booster-Empfehlung ausgesprochen.

Impfplan nicht aktuell, sondern von September 2021

Die Echtheit des Dokuments bestätigte uns Janet Schulz, Mitarbeiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bayerischen Landesapothekerkammer, die Kammer ist Herausgeberin des Impfplans. Anders als in einigen Beiträgen behauptet, ist der Plan aber nicht aktuell. Schulz schrieb: „Stand des Impfplans ist September 2021.“ Seit dieser Version sei kein aktualisierter Impfplan veröffentlicht worden. Schulz erklärte auch: Der Plan werde grundsätzlich nur Mitgliedern und Fachkreisen zur Verfügung gestellt, eine Weitergabe an Dritte oder eine Veröffentlichung sei nicht vorgesehen.

Ob die Frau im Video den veralteten Plan tatsächlich erst vor kurzem von der Apothekerkammer Schleswig-Holstein in der Post hatte, ist unklar. Schulz sagte uns, die Apothekerkammer Schleswig-Holstein habe diesen Impfplan „kürzlich“ nachbestellt. Die Apothekerkammer wollte sich zu unserer Anfrage, wann genau das war und ob die Pläne nicht nur bestellt, sondern auch verschickt wurden, nicht äußern.

Stiko gibt inzwischen konkrete Empfehlungen zum Impfschutz der Corona-Impfstoffe

Doch wieso steht auf dem Impfplan von September 2021 im Video, dass der Impfschutz „derzeit noch nicht bekannt ist“? 

Vorweg: Auf dem Impfplan in der Spalte „Impfschutz“ geht es nicht um die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen Covid-19. Die ist belegt: Die EU-Kommission gab die Corona-Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna, Astrazeneca und Johnson & Johnson im Winter 2020 und Frühling 2021 auf Grundlage klinischer Studien und Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) frei. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete bereits im September 2021: Studien deuteten darauf hin, dass Covid-19-Impfstoffe einen guten Schutz vor schwerer Erkrankung bieten. Das gilt laut der RKI-Webseite inzwischen für die zugelassenen Impfstoffe als erwiesen. 

Stattdessen geht es bei dem Wort „Impfschutz“ um den zeitlichen Abstand bis zur Auffrischungsimpfung, sagte uns Schulz. Bei Diphtherie zum Beispiel ist eine Auffrischungsimpfung etwa alle zehn Jahren empfohlen – so steht das auch in der Spalte „Impfschutz“ in dem Impfplan, den die Frau in die Kamera hält. Wie lange die Schutzwirkung der Corona-Impfstoffe hält, bis man die nächste Impfung benötige, sei im September 2021 eben noch nicht bekannt gewesen – deshalb die entsprechende Formulierung im Impfplan, sagte Schulz.

Tatsächlich hatte die Stiko mit ihrem Beschluss zur 11. Aktualisierung der Covid-19-Impfempfehlung die Auffrischung nur für Menschen empfohlen, die ein geschwächtes Immunsystem haben (Stand: 30. September 2021). Anfang Oktober empfahl sie die Booster-Impfung dann auch für ältere Menschen. Für alle über 18-Jährigen folgte die Empfehlung erst am 18. November 2021. 

Generell ist der empfohlene Abstand zur vorherigen Covid-19-Impfung laut RKI abhängig von der Personengruppe, der Impfhistorie und der Impfstoffdosis. Die konkreten Empfehlungen der Stiko stehen in ihrem jüngsten Bericht (PDF, Seite 3).

Redigatur: Viktor Marinov, Gabriele Scherndl

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

• 11. Aktualisierung der Covid-19-Impfempfehlung der Stiko, 30. September 2021: Link (archiviert)
• Pressemitteilung der Stiko zur Covid-Auffrischimpfung bei über 18-Jährigen, 18. November 2021: Link
• Informationen des Robert-Koch-Instituts zur Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe, 28. September 2021: Link (archiviert)
• Informationen des Robert-Koch-Instituts zur Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe, 28. März 2023: Link (archiviert) 
• Covid-19 und Impfen: Antworten auf häufig gestellte Fragen, Robert-Koch-Institut, 25. Mai 2023: Link (archiviert)
• Beschluss der Stiko zur Implementierung der Covid-19-Impfung in die allgemeine Empfehlungen der Stiko 2023, 25. Mai 2023: Link (archiviert)